dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

30. Juni 1946

Lieber Carl!

Heute erst kann ich auf Deinen Brief vom 23. April dieses Jahres antworten, der am 7. Mai hier einging. Seit dem darauf folgendem Tage bin ich nämlich krank zu Hause, aber, wie ich gleich bemerke, nun soweit wieder hergestellt, dass ich am 1. Juli meine Tätigkeit wieder aufnehmen kann. Die Erkrankung war eine etwas mysteriöse Angelegenheit, und bin gewissermaßen ein medizinisches Wunder geworden. Seit längerer Zeit schon litt ich an Atembeschwerden, die aber auf das Herz zurückgeführt wurden. Das Herz wurde deshalb einer ordnungsmässigen Behandlung unterzogen. Am 4. Mai erklärte ich aber unserem ausgezeichneten Arzt, dass nach meinen Dafürhalten doch etwas anderes vorliegen müsse, weil sich zu der Atemnot auch noch Schmerzen gesellten. Eine sofort vorgenommene Blutsenkung ergab die Notwendigkeit einer Röntgenuntersuchung, die dann am 6. Mai vorgenommen wurde. Zur allgemeinen Verblüffung wurde festgestellt, dass ich schon seit einiger Zeit an einer Lungenentzündung laboriere, der sich nunmehr eine Rippenfellentzündung, die Ursache der mich störenden Schmerzen, angeschlossen hatte. Ich wurde sofort ins Bett gesteckt.Ihr werdet mir zugeben, dass die Besorgung einer sehr umfangreichen Praxis – ich hatte beispielsweise noch am 2. Mai in Leisnig (dort bestand zu dieser Zeit ein Amtsgericht) in einer großen Strafsache plädiert – bei Lungen- und Rippenfellentzündung nichts Alltägliches ist. Die intensive Behandlung, die nun einsetzte, hat verhältnismässig schnell zur Beseitigung der Entzündung geführt, mich aber zunächst in einem recht schwächlichen Zustand zurückgelassen. Jetzt erst, wie gesagt, bin ich wieder in Ordnung. Die Aerzte weisen darauf hin, dass ich doch eine ungewöhnlich gesunde Natur haben müsse, um diese Entzündungen so gewissermassen ganz ignorieren zu können. Ich danke Euch schon hierdurch für die gütigen Glückwünsche zu meiner Genesung, die Ihr mir senden werdet.
Viel Neues habe ich nicht zu berichten. Betty ist inzwischen jängst zu Boses nach Borna übergesiedelt, wird uns aber in der nächsten Woche auf zwei Tage besuchen, weil sie für einige Zeit nach Dresden zu Man(n)sfelds geht und die Reise von Leipzig aus leichter als von Borna aus zu bewerkstelligen ist.
Grüsse habe ich Dir zu bestellen von Professor (Alexander) Bittorf , der jetzt hier die Leitung der Medizinischen Klinik übernommen hat, die durch die Ausschaltung des bisherigen Inhabers dieser Stelle frei geworden ist. Ich lernte ihn kennen, als ich in seiner Klinik zum Röntgen vorsprach. Als er meinen Namen hörte, fing er sofort von Dir an zu sprechen, von einer Art wissenschaftlichen Kränzchens, dass ihr hier gehabt hättet, auch von Breslau und von Abegg. Es interessierte ihn ausserordentlich, von Dir zu hören. Behandelt er mich dann übrigens nicht. Der Klinik ist ein selbstständiges Röntgeninstitut mehr oder weniger eng angeschlossen.
Dass Gertrud in augenärztlicher Kontrolle steht, bedaure ich sehr und kann es deshalb gut nachempfinden, weil es mir ähnlich geht. Mein Augenarzt – es ist (Friedrich) Leskien, dessen Name Dir noch von früher her bekannt sein wird – wurde neulich, da ich ja noch nicht ausgehen konnte, in die Wohnung gerufen, weil mein linkes Auge seinen Dienst nur noch in ganz geringfügigem Masse versieht. Er glaubte aber, mich wegen der Zukunft beruhigen zu können.
An Konrad habe ich einen langen Brief schon vor Wochen geschickt, aber noch keine Nachricht erhalten. Wenn Hannchen im Sommer nach Stockholm reist, werdet Ihr sie doch wohl sehen. Frage sie doch einmal, wie es eigentlich gekommen ist, dass sie auf Isas Brief niemals geantwortet hat. Die Korrespondenz mit uns hätte ihr vielleicht Unannehmlichkeiten eingetragen, aber der Briefwechsel mit einer in Amerika lebenden Kusine war doch risikolos. Du erwähnst ein schweres Unglück, das Isa ihres dritten Sohnes beraubt habe. Davon wissen wir nichts. Bitte schreibe uns doch etwas näheres darüber.
Die Adresse von Fritz Cohn und Hanna Dobriner brauche ich Euch nun nicht mehr zu schreiben, denn ich habe gehört, dass sie den Briefwechsel mit Euch wieder aufgenommen haben.
Meine Adresser verändert sich übermorgen insofern, als wir eine Etage höher ziehen. Die neue Wohnung hat nämlich nicht nur ein Zimmer mehr, so dass Ina dann nicht mehr in der Mansarde zu hausen braucht, sondern auch einen wirklich prächtigen Dachgarten, den wir zum Aufenthalt für unsere ganz reizenden kleinen Jungen gestalten werden.
In der Hoffnung, bald von Euch zu hören, grüsse ich Euch beide im Namen aller herzlichst als

Dein Bruder (Martin)