dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Herrn Prof. Dr. Kohlrausch
Berlin-Wannsee, Lohengrinstraße 10

(Leipzig), d. 7. Juni 1929

Sehr verehrter Herr Professor!

Für die Weitergabe der Briefe an (Gustav?) Kleffel danke ich Ihnen verbindlichst; ich habe inzwischen Kleffels Antwort bekommen.
Die anerkennenden Worte, mit denen Sie mein Referat beurteilen, weiss ich als den liebenswürdigen Ausdruck Ihrer mir stets bewiesenen freundlichen Gesinnung zu würdigen. Ich glaube aber, dass Sie doch etwas übertreiben. Wenn ich aus Ihrer Meinung und der verächtlichen Ablehnung, mit der der Vorwärts zu mir Stellung genommen hat, das Mittel ziehe, so lande ich auf dem Niveau der Brauchbarkeit, und das muss ja schliesslich genügen.
Auf Ihre Frage, wann Sie das Referat nachlesen können, muss ich aber erwidern, dass die Entscheidung darüber ausschiesslich dem Stenografen, Herrn Elkert, zufällt. Er hat mir in Breslau versprochen, das Stenogramm mir nicht später als am 15. Juni zugehen zu lassen. Korrigieren werde ich meiner Gewohnheit gemäss am Inhalte nichts. Ob die Durchsicht der Form mich aufhält, vermag ich nicht zu sagen, da ich ja tatsächlich nicht weiss, welche Worte für die allerdings wohlüberlegte Sachse mir  der Augenblick eingegeben hat.
hinsichtlich der Beurteilung des Ergebnisses der Verhandlungen teile ich im grossen und ganzen Ihre Auffassung. Ich hatte Ihnen ja schon früher schriftlich und auch bei unserer Berliner Besprechung mündlich gesagt, dass nach meinem Dafürhalten Gwicht gelegt werden müsse auf die Herausschälung der Feststellung, das neue Strafgesetz erzwinge keine wesentlichen proizessualen Aenderungen. In dieser Hinsicht ist mir eigentlich nicht widersprochen worden. Ich trug aber Bedenken, meine diese Auffassung zum Ausdruck bringende These zur Abstimmung zu stellen, weil ich es um jeden Preis vermeiden wollte, dass sie etwa abgelehnt würde. Wir müssen aber die grosse Reform des Prozesses trotzdem in Angriff nehmen. Ich gehe mit dem Gedanken um, meine Ansicht über die Ausgliederung der Strafverfolgungsbehörde aus der Justiz literarisch weiter zu verfechten. Es wird sich dabei zeigen, dass diese Auffassung doch viel mehr Anhänger hat, als in Breslau bemerkbar wurde.
Mit grosser Befriedigung habe ich den Erfolg Ihrer zum Kreuzverhör aufgestellten These begrüsst. Ich war mir bei meinen Bericht vollkommen bewusst der Tatsache, dass dieses Spezialthema nur mit einer gewissen leichten Gewalt in meine Gedankengänge eingeschaltet werden könnte, habe mich aber doch dazu entschlossen, weil ich in dieser Richtung die Förderung des Salzburger Beschlusses geradezu als einen Unfug empfunden haben würde. Inzwischen haben Sie wohl auch (Ernst) Mamroths Bemerkungen in der letzten Juristenzeitung gelesen, die noch vor der Breslauer Tagung niedergeschrieben sind. Alsberg befindet sich insoweit unter den Verteidigern in einer splendid isolation.
Für (Ludwig) Ebermayers eingreifen in die Diskussion muss ich ihm ja dankbar sein, weil er mir dadurch Gelegenheit zu der Feststellung gab, dass unter seiner Leitung die I.K.V. von ihrem Gründer Franz v. Liszt recht weit abzurücken scheint. Es war in der Tat ein lustiger Zufall, dass ich unter dem Büdnel von Monografien, die ich morgens zu mir gesteckt hatte, gerade Liszts alte Schrift über die Reform des Strafverfahrens vorfand. Ebermayers Zwischenruf: „Das beweist gar nichts“ machte auch mir grosses Vergnügen. Es ist doch immerhin lustig, wenn einem Mitglied der I.K.V. von dem Vorsitzenden entgegen gehalten wird, es habe eine ganz unbegreifliche Idee vertreten und dann prompt nachgewiesen werden kann, dass diese Idee von Liszt selbst mit mindestens gleicher Schärfe ausgesprochen worden ist.
Wenn man diese Episode ernste beurteilt, so wird man allerdings auf den Gedanken kommen, wie sie (Erich) Eyck in der Vossischen Zeitung vom 30. Mai vertreten hat: Die I.K.V. ist im Begriffe ihren Traditionen untreu zu werden.
Dabei stehe ich unter einem Eindrucke, den ich Ihnen mit aller Vorsicht und nur ganz schüchtern anvertrauen möchte und den ich Sie bitte, wenigstens vorläufig nicht verlauten zu lassen.
Sas ist meine aus den anderen Referaten und auch aus den Aesserungen in der Diskussion abgeleitete Meinung, dass selbst in diesem Kreise von Sachkennern die Literatur über die Reformfragen doch recht wenig bekannt zu sein scheint. Man hält Ansichten für neu und revolutionär, die eine grosse Literatur aufweisen. (Paul) Merkel sprach mir seine Verwunderung darüber aus, dass ich seine Schrift über Amtsbetriebe und Parteibetriebe erwähnt hatte, die doch in der Festgabe (Berlin 1910)  für (Karl) Güterbock erschienen und infolgedessen kaum bekannt geworden sei. Aber es ist doch eigentlich ganz selbstverständlich, dass, wer sich mit solchen Fragen befasst, die Literatur kennen muss. Das habe ich, ganz offen gesagt, bei Ebermayer vermisst, auch bei Reichert und auch bei einigen anderen Diskussionsrednern, von (Arthur) Schlosky gar nicht zu reden. Ich habe natürlich zu diesen Problemen nur in Andeutungen Stellung nehmen können und vorausgesetzt, dass das Auditorium satifest sei. Es scheint aber notwendig zu sein, dass man auch heute noch zur Erörterung jeder einzelnen Frage eine besondere Kommission einsetzt.
Spätestens bei der  (Wilhelm) Kahl-Feier (Feier anlässlich seines 80. Geburtstages in Berlin) hoffe ich, die Freude zu haben, wieder mit Ihnen zusammen zu treffen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihr aufrichtig ergebener (Drucker)