dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

24. August 1946

Lieber Gerhard!

Ihr Brief vom 21. Juli erreichte mich am 5. August. Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte bezüglich meiner Rekonvaleszenz und kann Ihnen bestätigen, dass ich jetzt die unmittelbaren Nachwirkungen der Krankheit überwunden habe. Die erforderliche Kräftigung ist allerdings noch nicht eingetreten und auch schwer zu erlangen. Ich werde vielleicht in acht Tagen für zwei Wochen nach einem bäuerlichen Gute übersiedeln, wo sich ja die Ernährungsschwierigkeiten auch auf legalem Wege besser überwinden lassen.
Das Leumundszeugnis enthält durchaus nicht mehr, als was gesagt werden musste und gesagt werden konnte. Was den Buchhandel angelangt, so scheint Goldmann noch nicht wieder hier angelangt zu sein.
Mit herzlichem Dank habe ich kürzlich den Sonderdruck über die Gedächtnisreden beim Tode des Reichsgerichtspräsidenten von Seckendorff erhalten. Ich habe diesen Mann in seiner amtlichen Tätigkeit kennen gelernt und ihn aufs höchste geschätzt. Er war das kaum zu übertreffende Vorbild eines Richters, der bedeutendste juristische Fähigkeiten mit unverrückbarem Gerechtigkeitssinn verband.
Auf Ihren Wunsch will ich Ihnen mitteilen, was wir über die Umstände erfahren haben, unter denen Heinrichs Leben geendet hat.
Er war bis zuletzt in einem Lager bei Radom gewesen, und wir konnten annehmen, dass dieses Lager rechtzeitig geräumt würde. Heinrichs letzter Brief kam dann auch aus einer kleinen schlesischen Stadt. Er berichtete, dass seine Einheit vom Lager abgezogen worden und bis in diese Stadt gelangt sei und dass man dort ihn und einen Hauptmann von einer anderen Einheit für einige Tage zurückgelassen habe, um noch gewisse Arbeiten zu erledigen (offenbar hat es sich um eine ganz überflüssige militärisch bürokratische Zusammenstellung, die schriftlich gemacht werden musste, gehandelt). Er schrieb, dass er am 27. Januar den Ort verlassen und seiner Truppe nachreisen werde.
Etwa am 10. Februar bekam aber Ursel den Brief eines einer ganz anderen Formation angehörigen Stabsgefreiten mit der Mitteilung, er habe in einem Strassengraben an der Strasse, die von jenem Ort nach Berlin führt, Heinrichs Leiche aufgefunden. Sie sei vollständig ausgeplündert gewesen, sogar die Erkennungsmarke habe gefehlt.
In dem einzigen Kleidungsstück, das an dem Körper noch vorhanden gewesen sei, der Diensthose, habe er in der Tasche zwei Briefe von Ursel gefunden, die er ihr zurückschickte.
Es waren tatsächlich die beiden letzten Briefe, die sie ihm geschrieben und die er seiner Gewohnheit gemäss noch bei sich getragen hatte, um sie bei Gelegenheit nochmals zu lesen. Ursel schrieb sofort an den Uebersender, bekam aber von ihm keine Nachricht mehr. Sie schrieb nun auch an seine Formation und erhielt von dem Feldwebel die Mitteilung, man sei aufs höchste bestürzt über diese Nachricht, denn man habe geglaubt, dass Heinrich wieder zu seiner Truppe stossen werde, und man werde nun sofort eine besondere militärische Stelle – die Bezeichnung ist mir augenblicklich nicht gegenwärtig, die Funktion bestand in der Nachforschung bei derartigen Fällen – unterrichten, damit weiteres aufgeklärt werde.
Das ist das letzte, was wir gehört haben. Die Ereignisse haben sich ja in diesen Woche derart überstürzt, dass alle normalen und ausserordentlichen Formationen auseinandergefallen sind. Wir haben die Hoffnung aufgegeben, jemals wieder etwas zu erfahren. Da uns aber jener Stabsgefreite geschrieben hat, er habe Heinrichs Leiche begraben, so hoffen wir, dass es doch einmal möglich sein wird, das Grab aufzusuchen. Vorläufig liegt es freilich in polnisch besetztem Gebiet.
Ich brauche Ihnen gegenüber nicht Worte darüber zu verlieren, wie diese besonders hässlichen Umstände bei Heinrichs Tode mich ergreifen. Peter ist im Kampf gefallen, Heinrich offenbar ermordet worden, und wahrscheinlich nicht von den Russen.

Wir alle grüssen Sie herzlich

Ihr (Drucker)