dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Upsala, 23. April 1946

Mein lieber Martin.
Du kannst Dir kaum vorstellen, wie wir uns gefreut haben,  als heute morgen Dein Brief vom 4. (oder 9.?) April ankam. Seit Empfang Deiner Karte vom Februar vorigen Jahres war es die erste directe Nachricht von Euch, und sie war besser, trotz schmerzlicher Einzelheiten, als wir erwartet hatten. Obwohl Du vielleicht inzwischen eine Karte von mir erhalten haben wirst, die ich vorige Woche absandte, als wir erfuhren, dass der Postverkehr wieder eröffnet sei, will ich den Brief doch nochmals beantworten. – Du erwähntest eine Nachricht aus Frankfurt über uns; die wird der deutsche Emigrant Dir gegeben haben, der vor einigen Monaten von hier nach Deutschland zurückgekehrt ist. – Ich hatte ihm mitgeteilt, was wir über Euch erfahren hatten, nämlich das bei Mannsfelds und auch bei Dir viel Unglück geschehen sei, dass wir aber nicht genau Bescheid über Einzelheiten wüssten. Nun hast Du uns alles mitgeteilt. Dass Carl Mannsfeld einer Bombe zum Opfer gefallen ist, geht uns sehr nahe, aber er hat wenigstens nicht leiden müssen. Und unser alter Hans (Sickert) ist ruhig entschlafen, wie er es sich wohl immer gewünscht hat. Von Betty hoffen wir, dass sie sich von der schweren Verwundung bald erholen möge, so dass wir auch sie bei gute Gesundheit treffen, wenn wir, wie wir planen, in absehbarer zeit die Möglichkeit haben sollten Euch zu besuchen. Vorläufig freilich besteht diese noch nicht.
Eine grosse Freude aber war es nun die Bestätigung zu erhalten, dass Du selbst nach all dem Elend, das über Dich gekommen ist, wieder die frühere Stellung in Deinem Berufe und bei Deinen Berufscollegen einnimmst wie vor der Verbrecherherrschaft.
Gertrud ist dauernd in augenärztlicher Behandlung, besser gesagt Controle, da das rechte Auge schwach ist. Sie ist auch ziemlich mitgenommen von Sorgen, vom Winter, den sie gar nicht verträgt, und von vieler Arbeit. Augenblicklich quält sie sich mit einer halben Influenza. Doch arbeitet sie regelmäßig und malt. Ihre Schwester Clara (Flatow) wohnt nach wie vor hier bei uns in der Nähe und versucht Gesangsstunden zu geben, findet natürlich als Ausländerin ohne Protection nur wenige Schüler, obwohl sie, soviel ich verstehe, eine sehr gute Lehrerin sein dürfte. Von mir ist nur zu berichten, dass ich mich körperlich wohl fühle und arbeite wie gewöhnlich.
Was Conrad und die Seinen betrifft, so stehen wir wieder in Briefwechsel. Er scheint nicht ohne Berufssorgen zu sein; näheres weiss ich jedoch nicht. Bertha und Hannchen haben beide Erwerbstätigkeit, Hannchen schrieb heute, dass sie wahrscheinlich im Sommer auf zwei Wochen nach Stockholm reisen wird, wo sie irgend etwas zu tun hat. Conrad hat auch die Verbindung zu Richard wieder hergestellt, von dem ich mehrere Briefe habe. Ihm ist Institut, Wohnung und sein gesamtes wissenschaftliches Material, dass er jetzt im Ruhestand zu veröffentlichen dachte, zerstört worden. Er hat lange bei einem ehemaligen Schüler gewohnt und schrieb am 1. März, dass er am 15. nach America zu seinen Kindern reisen werde, wo er hoffentlich inzwischen angekommen ist. Seine Adresse dort ist: c/o Hermann Burian, M.D., 520 Commonwealth Avenue, Boston, Mass. Conrads Adresse lautet: 6 Fraser House, Albion Avenue, London S.W. 8. Von Isa (Maria Luise Huntington, geb. Burian) habe ich seit vorigem Jahre direct nichts gehört; hoffentlich hat sie sich von dem schweren Unglück etwas erholt, dass ihr ihr drittes Söhnchen geraubt hat. Ihr Mann hat eine gute Stellung. Ihre letzte Adresse, die wohl noch gilt, war: Box 695, Socorro, New Mexico, USA.
Wir wollen versuchen, Euch wieder einmal ein kleines Paket zu schicken, vorausgesetzt, dass man die Erlaubnis erhält. Es heisst, dass das jetzt geht.
Die Adressen von Fritz Cohn und Hanna Dobriner würden wir gern haben; Briefe von ihnen haben wir nicht erhalten. Schreib recht bald wieder und grüsse einstweilen Alle recht herzlich von uns beiden Schweden.
Dein Carl