dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

17. Dezember 1946

Lieber Eberhard!

Wenige Tage nach meinem Geburtstage traf Ihr freundlicher Brief vom 27. September ein. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Glückwünsche. Die seitdem verflossene Zeit hat allerdings, was meine Gesundheit angeht, sich nicht gerade angemessen benommen. Anfang November bekam ich einen Rückfall  in die Rippenfellentzündung des Frühjahrs oder, wie man nun will, eine neue Rippenfellentzündung, deren Nachwirkungen mich noch jetzt an das Haus fesseln. Die Krankheit selbst ist überwunden, aber ich bin noch ziemlich matt und darf schon wengen des jetzigen ungünstigen Wetters mich noch nicht der Strasse und der Strassenbahn aussetzen. Ich diktiere nur ein wenig in meiner Wohnung.
Diese Wohnung bietet in mancher Beziehung einen recht grotesken Anblick dar, weil die in ihr befindlichen Möbel und Einrichtungsgegenstände aus verschiedenen Haushaltungen zusammengeborgt und gemietet worden sind. Aber in dieser Beziehung müssen ja die meisten Menschen die Vergangenheit vergessen. Von der Bibliothek der Schwägrichenstrasse ist ein Teil gerettet, weil wir nach und nach zehn Bücherkisten auswärts untergebracht hatten. Einige davon haben wir noch nicht wieder heimholen können, weil die Beförderungsmöglichkeiten fehlen. Wir besitzen immerhin hier eine grosse Anzahl Bücher, aber leider werden wohl ungefähr 2000 oder mehr in der Schwägrichenstrasse verbrannt sein.
Mit Freuden las ich in ihrem Brief, dass es Ihnen gesundheitlich gut geht. Ich weiss schon, wie ich das von Ihnen beigefügte Wort „verhältnismässig“ zu deuten habe: es würde Ihnen gesundheitlich besser gehen, wenn Sie mehr und bessere Nahrung hätten. In dieser Beziehung soll es doch eigentlich in Ihrem Bezirk besser sein als in dem ehemalig industrialisierten sächsischem Gebiet.
Die Trägheit im Wiederanlaufen der Industrie in Ihrer Zone ist allerdings eine sehr unerwünschte Prognose für die Zukunft.
Vor kurzer Zeit sind Ihr Herr Vater und Ihr Fräulein Schwester hier gewesen, allerdings, ohne mich sprechen zu können. Ihr Herr Vater denkt daran, sich in Leipzig bei einem Unternehmen seiner Branche zu beteiligen, und hat in Aussicht gestellt, mich nächstens zu besuchen, damit ich ihn beraten kann. Es wird natürlich schwierig sein, die Zuzugsgenehmigung zu bekommen.
Mit Hilde Gerlach steht Ursel in Briefwechsel, dagegen haben wir von Fritz Nachod noch nichts gehört. Die Adressen teilt Ihnen Ursel in einem eigenen Schreiben mit. Ob die von Fritz Nachod noch zutrifft, wissen wir allerdings nicht bestimmt.
Ist auch die Leipziger Herbstmesse ausgefallen, so soll doch die Frühjahrsmesse 1947 gross aufgezogen werden. Gerade heute werden in der Zeitung nicht weniger als 42 000 Unterkünfte gesucht, die zweimal belegt werden sollen. Ob es Ihnen möglich sein wird, hierher durchzubrechen, weiss ich nicht. Aber wahrscheinlich würde, wenn sich diese Hoffnung erfüllt, eine Liegestätte für Sie bei uns vorhanden sein.
In der Akademischen Verlagsanstalt sind wesentliche Veränderungen eingetreten. Der Dr. Becker musste schon vor einer Reihe von Monaten ausscheiden. Die Firma wurde in ihrem Bestehen dadurch erschüttert, dass eine Stelle in Dresden die Liquidation wollte. Glücklicherweise setzten sich aber massgebliche Berliner Stellen für die Aufrechterhaltung des nach ihrer Meinung unentbehrlichen Unternehmens ein, woran allerdings die Bedingung geknüpft wurde, dass auch Dr. Erler ausscheide, und zwar nicht nur aus seiner Rechtsstellung, sondern auch als Kommanditist und Mitarbeiter. Es blieb nichts übrig, als diesem Verlangen zu entsprechen, um die Lizenz zu erhalten, die nun hoffentlich in der allernächsten Zeit eintrifft. Ich habe diese mühsame Sache hier bearbeitet, weil ich ja der Vertrauensanwalt der früheren Inhaber bin. Die Firma soll nunmehr lauten: Akademische Verlagsanstalt Geest & Portig K. G. Leider ist auch Herr Geest seit Monaten so krank, dass mit seinem Tod gerechnet werden muss.  Ich hoffe, einen Weg zu finden, auf dem die wissenschaftliche Mitwirkung des Herrn Dr. Erler gewährleistet wird. Wann ihr Buch erscheinen kann, lässt sich noch nicht absehen. Beabsichtigt ist zunächst die Herausgabe einiger Standardwerke, die ganz dringend gebraucht werden.
Dieser Brief bringt Ihnen auch die besten Wünsche für Weihnachten und für das neue Jahr. Wir wollen ihm zwar nicht mit unbegrenztem Vertrauen, aber auch nicht ohne Hoffnung entgegen sehen.
Mit herzlichen Grüssen, auch von Renate und Ina, da ja Ursel Ihnen selbst schreibt.
Ihr alter (Drucker)