dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Lieber Herr Kollege Dr. List!
Ihre Adresse habe ich verlegt, seitdem ich Ihre freundlichen Zeilen vom Frühjahr 1947 (am 8. Mai letzten Jahres) beantwortet hatte, aber ich glaube doch, dass dieser Brief Sie erreichen wird. Anlass zu dem gegenwärtigen Schreiben ist Ihr schöner Nachruf über Drucker, der mit dieser Tage von Krämer-Berchtesgaden (früher Rechtsanwalt beim Reichsgericht) in Abschrift zuging. Er scheint schon vor längerer Zeit in der DRZ erschienen zu sein und ist jedenfalls der einzige Nekrolog auf unseren Freund, der mir bis jetzt bekannt geworden ist. Ich weiß, dass Dittenberger, mit dem ich hierüber korrespondiert hatte, einen solchen für die Süddeutsche Juristen Zeitung geschrieben hat, der aber infolge irgend eines Versehens bis jetzt nicht erschienen ist. Umso mehr hat es mich gefreut, Ihre warmempfundenen Worte zu lesen, und als einer von denen, die dem Verstorbenen nie vergessen und seine Größe stets in vollem Maße Masse würdigen werden, darf ich Ihnen für den Ausdruck derselben Gefühle von Herzen Dank sagen.
Meine Erinnerungen an Drucker gehen bis ins Jahr 1909 zurück. Damals war Anwaltstag in Rostock und sein Name wurde zum ersten Male in weiteren Kreisen der Anwaltschaft genannt und bekannt. Zur Debatte stand unter anderem die Reform der StPO und Drucker hatte kurz vorher eine Broschüre über dieses Thema geschrieben. Als erster Diskussionsredner erhob sich damals Justizrat von Gordan ein hervorragender Berliner Verteidiger, der mit Drucker bei dem von Ihnen erwähnten Zusammenbruch der Leipziger Bank zusammen gearbeitet hatte. Seine Rede begann mit folgenden Worten: „Meine Herren! Ich habe gestern abend im Bett eine sehr vergnügte Stunde gehabt… (stürmisches Hallo!)… Sie missverstehen mich, meine Herren: Ich habe nämlich die Broschüre unseres Kollegen Drucker gelesen (und dann kamen einige Erinnerungen an die Leipziger Bank).
Drucker wurde damals zum Schriftführer des DAV gewählt, Haber wurde Präsident und der ganze Vorstand, der bis dahin sehr unter einer gewissen Versteinerung gelitten hatte, verjüngte sich nach Jahren wie nach Geistern gemessen. Drucker blieb seitdem im Vorstande bis zum bitteren Ende. In Rostock hatten wir natürlich auch ein Festdiner und da wir damals noch zu den Jüngsten gehörten, saßen wir am Kindertisch – zufällig einander gegenüber – in einem Seitensaal; die Reden, die im Hauptsaal gehalten wurden, konnten wir meist nicht hören und, als der Vorsitzende des Rostocker Kammervorstandes, Geheimer Justizrat Krull sprach, sahen wir immer nur, wie sein Mund auf und zu klappte; seine schon etwas leise Stimme aber drang in keiner Weise bis zu der Jugend. Drucker, der hierwegen nicht besonders betrübt zu sein schien, sagte leise vor sich hin: „Ich krulle nicht, und wenn das Herz auch bricht…“
Es war wohl vor Ihrer Zeit, als auf dem Vertretertag (Abgeordnetenversammlung) in Hannover (1925) sich ein Rededuell zwischen Drucker und seinem späteren Verteidiger den trefflichen Darboven – Hamburg (was ist aus ihm geworden?) entspann; Drucker war für Darboven als Korreferent und Diskussionsredner gegen die Versicherung. Die Gemüter waren schon etwas erhitzt und Darboven wurde heftig durch Zwischenrufe unterbrochen. Schließlich schritt Drucker als Vorsitzender ein und sagte: „Ich bitte, den Redner nicht immer fort zu unterbrechen!“
Darauf Darboven: „Warum nicht? Das regt mich an.“
Drucker: „Das möchte ich ja gerade vermeiden.“
Darboven: „Dann muss ich die Objektivität des Herrn Vorsitzenden anzweifeln!“
Man kann sich schwerlich – auf beiden Seiten – eine größere Schlagfertigkeit vorstellen.
Ein anderes Beispiel ist mir aus späterer Zeit (etwa 1931) erinnerlich. Auf einer Abgeordnetenversammlung war unter anderem der Landtagsabgeordnete (Günther) Grzimek anwesend, dessen Namen niemand aussprechen konnte der nicht wusste, dass man das G kaum hören sollte, sodass der Name einfach Schimek oder allenfalls Dschimek klang. – Zum Wort meldete sich Rudolf Geiger – Frankfurt, der Vorsitzende rief demgemäss „Kollege Geiger“ auf trat ein Kollege Reiger oder Zeiger, so dass Drucker den Aufruf wiederholen musste. Er tat dies mit den Worten: „Geiger, meine Herren G wie Grzimek!“ (Nun war nach obigem kein Zweifel mehr möglich!)
Ich finde, dass für diejenigen, die dem Verstorbenen gekannt haben, diese wahren Anekdoten, denen man zahllose andere beifügen könnte, des Erinnerungswertes nicht entbehren. Sie rufen das Bild dieses ungeheuerlich vielseitigen Menschen auf ihre Art wieder vor unser Auge, vielleicht noch mehr als die Erinnerung an seine sachlichen Leistungen, seine Geistesgaben und seinen Charakter.
Nicht mit Unrecht fragt der Engländer gern, wenn von einer Persönlichkeit die Rede ist: hat er Humor? Druckers Grösse ist ohne seinen Humor nicht voll zu verstehen, ich meine dieser ist von seiner Gesamtpersönlichkeit nicht wegzudenken. Sein Gedankenflug ging so schnell und präzis, dass er in der unerwarteten Situation sofort alle Möglichkeiten der Gedankenverbindung entdeckte oder spürte, keine Vieldeutigkeit übersah und so den Witz schon auf der Zunge hatte, wenn der andere noch kaum dass Stichwort ausgesprochen hatte.
Nun habe ich Sie ungebeten so lange von der Vergangenheit unterhalten und hoffe, Sie werden sich mit einigen Mitteilungen aus der Gegenwart der revanchieren. Nehmen Sie für heute nur noch herzliche Grüße von Haus zu Haus und nochmals Dank von Ihrem

Max Friedlaender