dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Dr. W. Wielandt
Inhaber der Torfverkokung Dr. Wilhelm Wielandt
Elisabethfehn (Oldb.)
1.10.46

Lieber Druckermartin,
Mein mathematischer Komplex erinnert mich daran, dass Du am 6. ds. Geburtstag hast, und ich möchte Dir zu dieser „Feier“ meine herzlichsten Grüsse und Wünsche senden, obwohl ich mir ausrechnen kann, dass die durch die hohe Politik behinderte Postverwaltung Dir den Brief erst lange nach dem Fest aushändigen wird. In Wahrheit habe ich wohl an jedem sechsten Oktober der letzten Jahrzehnte an Dich gedacht, aber nie Zeit und Musse gefunden zu einem Lebenszeichen. Heute aber habe ich einen Augenblick dafür frei, denn ein eigenartiges Schicksal hat mir einen Zwangsurlaub von meiner Berufsbeschäftigung gebracht. Den jetzt 17 Monate dauerenden systematischen Intrigen zweier meiner Meister ist es mit Hilfe des Secret Service, der klassenkämpferischen Gewerkschaft und der auf Bremsung der deutschen Industrie bedachten Militärverwaltung gelungen, mich nach 41-jähriger mühseliger Tätigkeit als politisch Verdächtigen aus meinem Besitz zu drängen und meinen wegen Gegenarbeit entlassenen Torfmeister als Treuhänder (!) auf meinen Stuhl zu setzen, weil ich „Faschist, Militarist, Nationalist, Judenfeind, aktiver Reaktionär, Kapitalistenhund und Schieber“ sein soll. Ich rechne, dass der ganze Spuk dieses „Kämmerchen-Vermietens“ mit dem Direktionssessel durch den Entnazifizierungsausschuss auf ordnungsmäßigen Wege in Kürze zerblasen sein wird, zumal ich die mich kennenden deutschen Behörden, an ihrer Spitze den Oldenburgischen Ministerpräsidenten (Theodor Tantzen), hinter mir habe.
Menschlich kann ich dem Grusse hinzufügen, dass es uns sonst nach Wunsch geht. Wir waren diesen Sommer einigemale in Westerland-Sylt, wo wir uns eine Ersatzwohnung erkämpfen konnten, und sind gesund.
Alle Welt bewegt nun im Augenlick das Nürnberger Gerichtsurteil. Von mir aus könnten noch sehr viele weitere Stützen der vergangenen Diktatur in gleicher Weise zur Verantwortung gezogen werden, insbesondere die vielen, die die Unzulänglichkeit Hitlers aus eigenem Augenschein kannten; jedoch sollten Todesurteile durch den Strang vom Kontrollrat in solche durch Erschiessen oder lebenslängliche Haft umgewandelt werden und es sollte die Anwendbarkeit der neuen Rechtsgrundsätze auch auf die Verbrecher der Siegernationen anerkannt werden, wenn durch das Urteil das deutsche Volk nicht zu einem neuen Aufbäumen gebracht werden soll.
Höre ich bald einmal von Dir wieder? Du wirst freilich, so wie ich bisher, wohl auch mit Arbeit überlastet sein.
Mit freundlichsten Grüssen auch von meiner Frau
Dein Wilhelm Wielandt