dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Gestatten Sie, dass ich den Ablauf dieser anscheinend nach bessren Friedengewohnheiten komponierten Speisenfolge für einige Minuten unterbreche. (gestrichen: Es ist mir verraten worden, dass jetzt mit Zunge zu rechnen sei.)  Als Indroduktion für die Zunge, die planmäßig jetzt erwartet wird, bitte ich meiner Zunge ein wenig Aufmerksamkeit zu widmen. Ich habe eine kleine Auseinandersetzung vor mit einem Mitgliede dieser illustren Runde und zwar seinem halben Zentrum, Herrn Dr. Ady. Der Entschluß, den er heute verwirklicht hat,  seiner Verbindung mit Hilde Eckstein, ist doch immerhin so beachtlich und beträchtlich, daß er einiger … durch die halböffentliche Meinung zugeführt werden darf.
Sie haben also, Herr Dr. Ady, bei Ihrer Verheiratung den Kampf gewählt. Warum so erstaunt? Hilde heißt Kampf.  Daran läßt sich nichts ändern. Ich weiß nicht, welche Überlegungen und Absichten das Ehepaar Eckstein bewogen haben, nachdem es für seine Jungen die ganz …freien Vornamen Krt und Ulrich gewählt hatte, der unschuldigen Tochter einen so aggresiven Namen auf den Lebensweg mitzugeben; es war allerdings damals Weltkrieg und auf den Vater Ekcstein hatte vielleicht die Atmosphäre Frankreichs stark eingewirkt. Mag aber Ihre Frau, wie immer, zu dem kriegerischen Namen gekommen sein, sie hat ihn doch nun eben einmal und Sie, Herr Dr. Ady, müssen sich damit abfinden, von nun an ein „kampferfülltes“ Leben zu führen. Zwar: Roland! Aber: Um Sie vor der Mutlosigkeit zu schützen, will ich Ihnen einige wichtige Mitteilungen nicht vorenthalten. Mir sind Frau Hilde Adys bisherige Taten, also Kampfhandlungen, aus eigener Wahrnehmung bekannt geworden, ich kann davon als … Kriegsberichterstatter erzählen.
In die früheste Jugenszeit will ich nicht zurückgreifen, weil sie zu wenig historische Ausbeute liefert. Aber als Hilde etwa 7 Jahre alt wurde, sah ich sie sehr häufig. Damals, auf dem Höhepunkt der Inflation, fand ich in der renommierten Gaststätte Eckstein vorzügliche Verpflegung, die mir heute in teurer Erinnerung geblieben ist. Ich weiß noch genau, daß die erste Mahlzeit 8 Millionen 223 Tausend Mark kostete. und sie war und blieb die billigste. Aber diese Dinner waren so deliciös, dass wir ihnen unter der Devise huldigten: Seid verschlungen, Millionen!
Die Nahrungsaufnahme hinderte mich nicht, an den Anwesenden Charakterstudien zu machen. So auch an dem lieblichen Kind, Hilde. Die Beobachtungen waren im hohen Grade beruhigend. Dass das äußere Benehmen eine wohltuende Mischung von Höflichkeit und Liebenswürdigkeit darstellte, (durchgestrichen: verstand sich) war ein selbstverständliches Erziehungsergebnis mütterlicher Provinienz. Sehr aufschlußreich war aber  das Benehmen(?) zwischen Vater und Tochter. Mir ist wohl nie ein Verhältnis zwischen Vater und Tochter vorgekommen, dass so restlos von Gehorsam, Bewunderung und Achtung(?) durchtränkt war, wie hier das zwischen Hilde und ihrem Vater, wobei allerdings der Bewunderer, Verehrer und Folgsame der Vater war.
Daran hat sich nach meinen Wahrnehmungen bisher nichts geändert. Über die nächsten Jahre ließe sich vielleicht allerei berichten. Aber in Anwesenheit der besten Kennerin dieser Periode, Frau Sabine Stoltenberg, vulgo Mimmi, ziehe ich vor, micht nicht auf’s Glatteis von Wahrheit und Dichtung zu begeben. Immerhin kann ich versichern: Es ist nichts Nachteiliges – bekannt geworden.
Enger gestalteten sich die Beziehungen zwischen und mir seit ihrem Eintritt ins Berufsleben. Wie sie ihn herbeigeführt hat, beweist eine … Zielstrebigkeit und Planmäßigkeit. Der LSC genügte ihrer Tatkraft nicht. Vor allem bot er ihr nicht, was ihr Herz – ihr damaliges Herz verehrter Herr Dr. Ady – begehrte: die jederzeitige Verfügung über ein aufgetanktes Personenauto. Wer aber nun annehmen wollte, sie hätte sich ein Auto gekauft oder vom allzeit gebefreudigen Vater schenken lassen, würde sich schwer irren. Sie fing es viel heimlicher an. Plötzlich äußerte sie eine an Leidenschaft grenzende Sehnsucht nach Stenographie und Schreibmaschine und widmete sich der Erlernung dieser Fertigkeiten mit zäher Energie. Als sie es zu einem Tempo von 60 km in der Minute – nein, ich wollte sagen, 60 Silben in der Stunde – gebracht hatte, bezog sie den mit Recht begehrten Posten einer Lady-Stenotypistin auf unserem Bureau und nun ging ihre Lebensbahn so steil aufwärts, wie sie verdiente. Kühn wagte sie den Griff nach dem Auto, das bis dahin ein … Büroauto gewesen war. Hilde Eckstein wurde die erste Stenotypistin auf Gummirädern. Überall sah man den Wagen, namentlich auch da, wo er nicht hingehörte. Hilde Ecksteins Auto (gestrichen: war zu einem Requisit) so hieß er von nun an, war Stammgast sowohl in der Pistoriusstraße wie vor sämtlichen Kinos. Sie drückte ihm von vornherein den Stempel ihrer Individualität und Lebensauffassung auf. Als sie von ihrer ersten größeren Tour zurückkehrte – ich kann Ihnen das nicht verschweigen Herr Dr. Ady –  war neben dem Schaltbrett ein Schild angebracht auf dem in goldenen Lettern die Worte standen: „Mitfahrer, halt’s Maul.“ Dieses Schild und ein lahmes Chassis sind die Überreste der civilen Berufstätigkeit Hildes.
Diese leicht karikierten Bilder aus dem Leben Ihrer Gattin habe ich nicht vorgefürt um des Spasses willen, sondern nach dem bewährten Rezept ridendo dicere verum (lachend die Wahrheit sagen). Hinter dem Schleier des Scherzes erkennen Sie die wirkliche Hilde in ihrer ganzen Liebenswürdigkeit, ihrer Tüchtigkeit und Energie. Wenn ich nun noch hinzufüge, dass alles, was sie denkt und tut, aus einem goldenen Herzen sprießt, so darf ich der Überzeugung Ausdruck verleihen, dass der Bund, den Sie heute geschlossen haben, starke Garantien einer glücklichen Zukunft in sich trägt, und ich darf Ihnen beiden erneut die herzlichen und aufrichtigen Glückwünsche für Ihr Eheleben aussprechen.
Sie aber, m. v. H. (meine verehrten Herrschaften?, wenn Sie eines Sinnes mit uns sind, so ergreifen Sie die Gläser und stimmen Sie ein in den Ruf: Das junge Paar, es lebe hoch, hoch, hoch!