dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Ursula Drucker

Leipzig, 04.05.1946

Meine lieben Leute!

„Wenn einer eine Reise tut …“, also ich kam am Donnerstagabend gut in Dresden an. Um das Gewitter war der Zug grad drumherum gefahren, sodaß ich auch nicht naß wurde.
Bei Ankunft im Quartier war großes Halloh, und ich mußte viel erzählen, wie es allen geht, was ihr alle tut und besonders natürlich über die Söhne berichten. Ich bekam gleich einen Teller Suppe und trotz heftigen Sträubens noch zwei Scheiben Brot vorgesetzt und später sogar noch Gebäck. Bis 1/2 3 h haben wir erzählt, wobei sogar ich mich beim Nähen eines Puppencapes beteiligte.
Die darauf folgende Nacht war ja nun sehr kurz, denn ich mußte ja bereits 1/2 5 h aufstehen, weil mein Zug ja schon um 7 h gehen sollte, und ich mir doch erst eine Fahrkarte nach Aue besorgen mußte.
Diesmal stieg ich nicht wieder in den falschen Zug, sondern kam wirklich gegen 5 h nachmittags – nun da völlig unerwartet – in Aue an, von Chemnitz her.
Der Abstecher nach Dresden war gänzlich unbeabsichtigt und sündhaft teuer aber doch sehr sehr hübsch gewesen. Was sagt Ihr nun dazu?! Da ich aber vom Bahnhof ohne alles Fragen den Weg nach Ober—witz richtig fand, tröstete mich selbst das etwas über meinen Geisteszustand, denn vollkommen verblödet scheine ich doch noch nicht zu sein.
Hier in Aue gab es auch gleich etwas vorgesetzt, und die Dusine und ich begannen gleich großes Geplausche. Dasa Mitbringsel löste große Begeisterung aus und die Aussicht auf den Kinderwagen auch. Gut, daß ich nicht mit diesem Gepäckstück nach Dresden fuhr, dann hätte ich im Wagen auf dem Bahnhof übernachten müssen.
Wie geht es Euch? Was macht mein Michael? Christian ist ja wohl inzwischen nach Gohlis gelangt. Die süßen Möpse! Und seid Ihr denn mit meiner Vertretung zufrieden und sie mit Euch?
Ich habe hier natürlich noch nichts weiter unternommen. Geschlafen habe ich bis 3/4 8 h, um 1/2 9 h gefrühstückt, war dann auf der Post und bei Beda Postkarten für die Kinder kaufen sowie bei Annis Cousine eine paar Vergißmeinnicht für die Dusine.
Jetzt sitze ich im Fremdenstübchen, was wirklich sehr hübsch ist, nachher will ich mir ein Buch nehmen und lesen und heute nachmittag mich an der Luft aufhalten, ob dabei der Garten oder ein hübscher Weg eine Rolle spielen wird, weiß ich noch nicht.
Hier ist sonst alles unverändert bis eben auf die Dusine und die neuen Wände. Der Dusefrau geht es nicht so ganz glänzend, und ich finde sie im Gesicht schlecht aussehend.
Euch schicke ich allen – den vier Großen und dem einen Kleinen – viele herzliche Grüße und eine Umärmelung.
Aber ich schreibe nicht oft!

Eure Ursel

Liebe Hilde, bitte berichte mir mal über Michael, ja; ich möchte doch gern über die Kinder Bescheid wissen. D. U.