Kapitel
Anlagen
Nach den Rassegesetzen der Nationalsozialisten galt sie nach 1933 als „Halbjüdin“, obwohl ihr Vater schon vor seiner Heirat zum protestantischen Glauben übergetreten war.
Es konnte bislang nicht völlig aufgeklärt werden, wie es Annella trotzdem gelang, die Repressionen, welche für „Halbjuden“ galten, zu umgehen. So war sie nach 1933 beim Deutschen Roten Kreuz und später beim Versogungsamt in Gera tätig. In der Nähe von Gera lebte eine Schwester ihrer Mutter, Ida Kühne geborene Oette, deren Ehemann war nach den Erinnerungen ihrer Tochter Bürgermeister. Vielleicht konnte er ihr in dieser Position einen gewissen Schutz bieten. Näheres konnte dazu aber bislang nicht festgestellt werden. Im Jahr 1940 verzog sie zu ihrer Mutter und den Brüdern nach Königsberg. Auch dort war sie wiederum beim Versorgungsamt beschäftigt. Das konnte ihr nur gelingen, indem sie die jüdische Herkunft ihres verstorbenen Vaters verheimlichte. Nachweise wurden offenbar niemals von ihr gefordert. Dass Anella in diesen Jahren unter sehr erheblichen Druck stand, berichtet ihre Tochter Christina Bajohra in einem Brief vom 11.12.2016: „Meine Mutter arbeitete beim Versorgungsamt in Königsberg und erlebte dort arge Repressalien als sog. Halbjüdin durch einen Vorgesetzten. Sie wurde erpresst und musste jederzeit mit Verrat rechnen.“
Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass Anella 1940 unter Umgehung der Nürnberger Rassegesetze in Königsberg Rudolf Wessolek heiraten konnte. Diese Ehe wurde allerdings 1943 schon wieder geschieden. Anella hat diese Ehe bis zu ihrem Tod sogar vor ihrer Tochter verheimlicht.
Über die Flucht ihrer Mutter aus Königsberg berichtet Christina Bajohra: „Meine Mutter Anella konnte sich aus Königsberg auf Grund ihrer Ausbildung als Krankenschwester in Sicherheit bringen. In Schwesternkleidung und durch Bestechung mit Zigaretten konnte sie sich bis zum Rollfeld des Flughafens durchschlagen. Dort stand ein Flugzeutg mit verwundeten Soldaten. Medizinisch unversorgt sahen sie in meiner Mutter eine Art rettender Engel der unbedingt mitfliegen musste. Das Flugzeug war bereits überladen und konnte keine weiteren Passagiere aufnehmen. Daraufhin warfen die Soldaten alles überflüssige Gepäck ab. Die Maschine konnte starten, auf dem Rollfeld stand auch das Köfferchen meiner Mutter. So kam auch sie mit NICHTS in Bad Dürrenberg an. Die „Habenichtse“ wurden von den eigenen Verwandten nicht sehr gnädig aufgenommen und mussten sich hart durchschlagen.“
Um Überleben zu können, meldete sich Anella sofort beim Versorgungsamt Leipzig zum Dienstantritt. In diesem Zusammenhang wurde eine Personalakte angelegt, die erhalten geblieben ist. In dem Personalfragebogen gab Anella ihr Glaubensbekenntnis mit evangelisch an. Nach der Herkunft der Eltern wurde nicht gefragt, sondern nur, ob diese noch leben. Folglich musste sie keine unzutreffenden Angaben machen, um die jüdische Herkunft ihrer Vaters zu verschleiern.
Anella ging 1946 in Bad Dürrenberg eine zweite Ehe mit Herbert Schulze ein. Aus dieser Ehe ging 1948 die einzige Tochter Christina hervor. Auch diese Ehe wurde wieder geschieden.
Anella Schulze verzog nach Erreichen des Rentenalters im Jahr 1976 in die Bundesrepublik. Sie starb am 15.12.2004 in Gummersbach.