dr. jur. Hubert Lang

Juden in Leipzig

Leipziger jüdische bildende Künstler

Ausstellung der Ephraim Carlebach Stiftung und der Leipziger Universität im Krochhochhaus,1993

Vor nunmehr fünf Jahren wurde im Ausstellungszentrum im Krochhochhaus eine Ausstellung eröffnet, welche erstmals nach dem Ende des Natio­nalsozialismus versuchte, Leipziger jü­dische Geschichte darzustel­len.
Anlaß war der 50. Jahrestag der berüchtigten Reichskri­stall­nacht, welcher vordergründig zur propagandistischen Darstellung der anti­faschistischen Grundhaltung des real existierenden Sozialismus die­nen sollte.
Obwohl das eigentlich zum Motto der Ausstellung erhobene Brecht-Zi­tat „Laßt uns die Warnungen erneuern …“ damals von parteioffizi­eller Seite nicht genehmigt wurde, war diese Mahnung über Wo­chen auf den von Jochen Fiedler ent­worfenen drei Plakaten an fast allen Litfaßsäulen der Stadt zu lesen.
Das damals ausliegende, erhalten gebliebene Gästebuch spiegelt die unterschiedlichsten Reaktionen, welche von ehrlicher tiefer Betrof­fenheit über stereotype Ergeben­heitsadressen insbesondere von pflichtgemäß durch die Ausstellung geführten Schulklassen bis zu deutlichen Kampfansagen gegen die Heuchelei der damaligen Machtha­ber reichten.
Fünf Jahre später wissen wir leider noch besser als da­mals, daß es sehr wohl Veranlassung gab und gibt, „Warnungen zu erneuern“.
Wachsender Ausländerhaß und ein zunächst scheinbar uner­klärlicher Antisemitismus ohne Juden sind eine nicht ernst genug zu nehmende Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat gerade im Osten Deutsch­lands.
Die Ephraim Carlebach Stiftung hat es sich in Fortsetzung der seit 1988 laufenden Bemühungen zur Aufgabe gemacht, gegen diese Gefähr­dungen aufklärerisch tätig zu werden.
Über 16.000 Besucher strömten 1988 in die Ausstellung im Krochhaus. Erstmals wurde damals das Bedürfnis unter­schiedlichster Al­ters­grup­pen deutlich, sich mit diesem weitgehend unbekannten Kapi­tel der Stadtge­schichte zu be­fassen und auseinanderzusetzen.
Die prinzipielle Ausgangsposition dieser Expo­si­tion war die Über­zeugung, daß Verluste nicht faßbar werden können, wenn unbekannt ist und bleibt, was jüdisches Leben gerade in und für Leipzig be­deu­tete. Die hierauf aufbauenden konzeptionellen Überlegungen er­wiesen sich auch aus der Sicht der Besucher als überzeugend und tragfähig. In logischer Konsequenz konnte und durfte diese Ausstel­lung nicht ohne positi­ve Folgen bleiben.

Mit der Exposition „Leipziger jüdische bildende Künstler im Kroch­haus“ präsentiert die Ephraim Carlebach Stiftung und die Universi­tät Leipzig der Öffentlichkeit eine die­ser Folgen. So wie die Ausstellung 1988 weitgehend auf die Informa­tion und Dar­stellung jüdischen Lebens und Wirkens baute und hieraus abzulei­tende Wertungen dem Besucher überließ, so vertraut die jetzt zu se­hende Exposition auf die emo­tionale Wirkung der gezeigten Kunst.
Dem Betrachter eröffnet sich der Blick auf Werke Leipzi­ger Künst­ler, de­ren Schaffen von unterschiedlichen künst­lerischen Überzeu­gungen geprägt ist.
Nur wenige Exponate sind primär durch die vorhandene re­ligiöse Ge­bun­denheit geprägt. Erst als deutscher Rassenwahn das Denken und Handeln auch der Leip­ziger Bevölke­rung immer mehr bestimmte, wurde die Frage nach der Religionszugehö­rigkeit oder gar der „Ab­stammung“ zum Dreh- und An­gelpunkt der Exi­stenz auch für diese Künstler.
Die Ausstellung „Leipziger jüdische bildende Künstler im Kroch­haus“ versteht sich als gewichtiger Beitrag zum all­gemeinen Verständnis jüdischen Lebens und Wirkens in un­serer Stadt. Wenn Leipzig heute wieder um seine einstmalige Position als Kunst­metropole von Weltruf ringt und sich hierbei be­rechtigterweise auf alte Traditionen beruft, ist das nicht möglich, ohne daß auf Lei­stungen jüdischer Künstler Bezug genommen werden muß.
Das gilt sowohl für die Musik, das Theater aber auch – wie diese Aus­stellung eindrucksvoll belegt – für die bil­dende Kunst. Es werden Werke insbesondere aus der Zeit vor der Aus­grenzung und Verfolgung in unserer Stadt präsentiert, die zeigen, wie sich das Selbstverständnis dieser Künstler als Leipziger, aber auch in Bezug auf unterschiedliche weltanschauliche Gebundenheit in ihrer Kunst widerspie­gelt.
Hiervon erhoffen sich die Veranstalter einerseits die Aufarbeitung eines erheblichen Infor­ma­tionsdefizits. Zum anderen teilen wir die sich immer mehr durchset­zende Auffas­sung, daß jüdisches Leben nicht stets und allein aus der Sicht des Holocaust interpretiert werden darf. Gerade bei der Mehrheit der Bevölkerung, welche die Zeit des Natio­nalsozialismus nicht miterlebt hat, sollen da­durch menschliche Brücken zu den Verfolgten geschlagen werden. Nur hierauf aufbauend sind weitergehende Einsichten auch bei den zumeist nicht hinreichend informierten Jugendli­chen zu erwarten.
Die nationalsozialistische Rassenlehre führte nicht al­lein zum  Massen­mord an der jüdischen Bevölkerung. Ihr Wirken, ihre Leistun­gen sollten für alle Zeiten aus der Geschichte verbannt werden und für immer vergessen blei­ben. Für Leipzig wohl unrühmlichstes Beispiel hierfür ist der Abriß des Mendelssohn-Denkmals im November 1936. Weniger spektakulär aber keineswegs weniger konsequent erfolgte die Ausschaltung „jüdischer“ Künstler im Wort­sinn der Nationalsoziali­sten aus den künstlerischen Be­rufsvereinigungen auf nationaler aber auch auf regionaler Ebene; aus den Museen, den Vereinen und aus dem öf­fentli­chen Leben überhaupt.
Durch diese Aktionen wurden Menschen in das künstlerische Abseits gedrängt, die in ihrer Persönlichkeit und ihrer Kunstauffassung kaum unterschiedli­cher seien konnten, wie zum Beispiel: Hugo Stei­ner-Prag, Thomas Theodor Heine, Raphael Chamizer und Edu­ard Ein­schlag. Die gemeinsame Präsen­tation ihrer Kunst läßt das pla­stisch werden. Was sie in dieser Ausstellung vereint, sind nicht gemeinsame künst­lerische Arbeit oder überein­stimmende künstlerische Intentionen, sondern allein ihr späteres Schicksal: die Ausgrenzung, Diffamie­rung und Verfol­gung. Das gemeinschaftliche Verfolgungsschicksal dieser Künst­ler führte häufig zu einer fast vollständigen Zerstörung des Lebenswerkes.
Das gilt ganz besonders für das plastische Werk des au­ßergewöhnli­chen Arztes und Bildhauers Raphael Chamizer (1), welcher bei seiner Flucht nach Palästina die meisten seiner großen Plastiken in einem Leipziger Keller zurück­lassen mußte. Nur seine „Trauer“ blieb durch glückliche Umstände hier in Leipzig erhalten und wurde vor einigen Jahren wieder entdeckt und dann auf dem Alten Jüdischen Friedhof aufge­stellt. Diese überlebensgroße Plastik steht eindrucksvoll im Zentrum der Ausstellung.
Die Veranstal­ter sind sich bewußt, daß die begriffliche Zusammen­fassung dieser Künstler als „jüdische Künstler“ nicht un­problema­ti­sch ist, denn diese Definition folgt zunächst au­genscheinlich der Begriffsbestim­mung der Na­tionalsozialisten insbe­sondere in den be­rüchtigten Nürn­berger Gesetzen.
Thematisiert werden soll jedoch gerade in dieser Ausstel­lung die künstlerische und auch menschliche Verschieden­artigkeit (und inso­weit eben auch Normalität) der von den Nationalso­zialisten als „jüdisch“ diffamierten und ver­folgten Künstler.
Die Veranstalter konnten und wollten sich gerade deshalb  nicht entschließen, eine andere denkbare Begriffsbestim­mung (wie z.B. „Künstler jüdischer Abstammung“ oder „Künstler jüdischer Her­kunft“) zu wählen, weil diese For­mulierungen keine stimmigen Al­terna­tiven sind und die Auseinandersetzung mit der in dieser Begriff­lichkeit kul­minierenden Problematik auch nicht ersetzen können.
Grundsätzlich ist bei den in dieser Ausstellung vertrete­nen Künst­lern demzufolge zwischen solchen zu unterschei­den, welche sich zum Judentum bekannten und solchen, wel­che assimi­liert bzw. konvertiert waren. Die Mehrzahl der hier vertretenen Künstler gehört in je­dem Fall zu den jüdischen Künstlern in unserem positiven Wortsinn.
Auf der Seite der wegen ihrer „jüdischen Abstammung“ ver­femten Künstler ist insbesondere Thomas Theodor Heine zu nennen. Dieser hatte sich darüber hinaus noch weit mehr wegen seiner offen und mu­tig künstlerisch artikulierten politischen Überzeugungen den Haß der Nationalsozialisten zugezogen.
Gerade auf dessen Eh­rung und Würdigung sollte deshalb keinesfalls verzichtet werden, zumal auch er leider zu den fast vergessenen Söhnen unserer Stadt gehört, obwohl seine Kunst im wahrsten Sinne des Wor­tes die Menschen be­wegt hat.
Darüber hinaus ist darauf zu verweisen, daß die Ausstel­lung nicht das Anliegen verfolgt, jüdische Kunst, d.h. nach unserem Ver­ständ­nis Kunst, welche sich inhaltlich jüdisch religiösen Themen zuwen­det, zu präsentieren.
Das könnte das Thema einer weiteren Ausstellung sein. Es würde den Intentionen dieser Ausstellung insofern zuwider laufen, als hier gerade die Selbstverständlichkeit und Normalität des Wirkens dieser Künstler neben und mit Künstlern anderen Glaubens darge­stellt wer­den soll.
Typischstes Beispiel hierfür ist sicher der Maler und Grafiker Edu­ard Einschlag. (2) Er gehörte vor dem I. Weltkrieg zu den bekannte­sten und auch engagiertesten Leipziger Künstlern. Er war ein akti­ves Mitglied der jü­dischen Gemeinde und engagierte sich genauso     selbst­verständlich auch für das künstlerische Leben Leipzigs. Er war einer der Mit­begründer und aktiven Mitglieder des Vereins Leip­ziger Jahresausstellun­gen, der LIA. Trotzdem schützten ihn weder Leipziger Bürger noch Künst­lerkolle­gen, als er wie viele andere Leipziger als polni­scher Jude ausge­wiesen und ins Niemandsland de­portiert wurde. Wenige Jahre später kam Eduard Einschlag unter bislang unge­klärten Umständen im besetzten Warschau ums Leben. Viele seiner Bilder wurden vernichtet oder sind verschol­len. Hierzu gehören zum Beispiel seine Por­träts des Rab­biners Felix Goldmann und von Prof. Ernst Kroker.

In Vorbereitung der Ausstellung wurden durch die Mit­wirkung Leipziger Bürger Kunstwerke wieder oder neu entdeckt.

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(1) Ari Ibn-Sahav: Raphael Chamizer. Das plastische Werk, Verlag Buchhandlung Rubin Maß, Berlin Charlottenburg
Karl Schwarz: Die Juden in der Kunst, S. 221 ff.
Hubert Lang: Raphael Chamizer. Arzt und Bildhauer, in: Leipziger Blätter Nr. 18, S. 64 ff.
M. Unger/H. Lang: Juden in Leipzig. Eine Dokumentation, Leipzig 1988, S. 122 ff.
(2) M. Unger/ H. Lang: a.a.O. S. 121
Hubert Lang: Der Maler Eduard Einschlag, in: Sächsische Heimat­blätter Heft 5/1990, S. 271 ff.
Inge Salzer-Einschlag: Wir und Leipzig, in: Festschrift zum 40jährigen Bestehen des Verbandes Ehe­maliger Leipziger in Israel,
Tel Aviv 1993