dr. jur. Hubert Lang

Varia

Der Untergang der Erde

Oder: Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut!

Als mehrere Jahrtausende nach dem Untergang der Erde Außerirdische erstmals Experten auf diesen Planeten schickten, sollten diese insbesondere die Ursachen des jähen Endes der Zivilisation erforschen. Da Außerirdische bereits seit Anbeginn wissen, dass Dummheit eine magische Anziehungskraft besitzt, sollten die Forschungsergebnisse strengster Geheimhaltung unterliegen.

Es entstand ein unüberschaubares Werk, aus welchem niemals zitiert werden durfte. Deshalb sind wir sehr froh, heute einen, wenn auch vollkommen unbedeutenden, kleinen Teil hieraus der Öffentlichkeit  bekannt geben zu können.

Einige Experten landeten zufällig an einem Ort, den sie später mit „Bleibzig“ bezeichneten. Eine von den Menschen so oder ähnlich genannte kleine Stadt soll sich dereinst an dieser Stelle befunden haben.

Der Name konnte wegen der fast vollständig fehlenden schriftlichen Überlieferung nur mit großer Anstrengung ermittelt werden. Die Experten gehen davon aus, dass Bleibzig von dem Wort „bleiben“ abzuleiten ist. Sie nehmen daher an, dass an dieser Stelle sehr unbewegliche Menschen sesshaft waren. Die Auffassung einer Minderheit, dass der Kern des Namens vielmehr Leib sei, weil hier besonders beleibte Menschen wohnten, ist als vollkommen unglaubhaft abzulehnen.

Jedenfalls müssen sich an diesem Ort wiederholt Ereignisse abgespielt haben, die die Menschen sehr aufregten. Worum es dabei ging, war nicht mehr feststellbar. Das scheint auch nicht relevant zu sein, da diese Geschehnisse keine Auswirkungen auf das Aussterben der Menschheit hatten.

Es konnten in Bleibzig überzeugende Belege dafür gefunden werden, dass die Menschen aus unerfindlichen Gründen sehr großen Wert darauf legten, sich zusammenrotten zu dürfen. Das nannten sie „Versammlungsfreiheit“. Von anderen Orten gibt es Hinweise, dass noch unmittelbar vor dem Untergang der Erde Menschen vor so genannten „Gerüchten“ um diese merkwürdige Versammlungsfreiheit gestritten haben sollen.

Zu diesen Gerüchten ist folgendes zu bemerken: Nachdem die Menschen weitgehend aufgehört hatten, an Götter zu glauben, verspürten sie eine große innere Leere. Deshalb schufen sie sich als Ersatz diese Gerüchte, denen sie nunmehr ihr Schicksal anvertrauten. Da die Gerüchte göttergleich waren, war es strengstens verboten, an deren Entscheidungen zu zweifeln. Die Menschen, welche in den Gerüchten arbeiteten wurden ‚Lichter‘ genannt. Sie waren ebenfalls göttergleich.

Eines Tages soll eine kleine Gruppe von Menschen diese Versammlungsfreiheit dazu genutzt haben, um in Bleibzig durch eine Straße zu marschieren, deren Name wohl Lark-Leibknecht-Straße war. Worum es diesen Leuten eigentlich ging, war schwer ermittelbar. Es ist kaum zu glauben, dass sie den Untergang der Erde forcieren wollten. Sie beriefen sich aber auf einen Mann namens „Gitler“, welcher kurze Zeit zuvor bereits erfolgreich einen Großteil der Menschheit ausgerottet hatte.

Diese kleine Gruppe war aus einer Stadt im damals kalten und unwirtlichen Norden angereist, die wohl Buhburg hieß. Es kann nur gemutmaßt werden, warum die Gruppe nicht in ihrer Heimatstadt marschierte. Die Experten vermuten, weil das Wetter dort nicht so schön war.

Da die kampfeslustigen Gegner dieser Gitler-Freunde in Bleibzig gerade in der Lark-Leibknecht-Straße wohnten, hatten die Menschen große Angst. Das göttliche Gerücht verkündete, dass die Menschen keine Angst haben dürfen, denn die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut.

Die Menschen, welche aus vollkommen unerklärlichen Gründen in großer Zahl keine bezahlte Arbeit finden konnten, trauten sich nicht, gegen die göttergleichen Lichter zu protestieren.

Nur deren Oberhaupt, vom dem wir nur wissen, dass er ein Riese ohne Haare war, wagte öffentlich das Urteil der Lichter in Frage zu stellen. Es gab aber noch mehrere Oberoberhäupter, welche im Volksmund nur kurz Minster geschimpft wurden. Einer davon war ausschließlich dafür zuständig darauf zu achten, dass die Göttergleichheit der Lichter durch keinen Menschen in Frage gestellt wurde. Dieser Mann mit absurden Namen, welcher an anderer Stelle als schön und blass beschrieben wird, hat das Bleibziger Oberhaupt deshalb sofort energisch in die Schranken gewiesen. Von dem kahlen Riesen wurde dann nichts mehr gehört.

Die Menschen gaben jedenfalls enorm viel Geld aus, nur um die Gitler-Freunde und sich zu schützen. Trotzdem wurde die Stadt verwüstet.

Bald gab es weder Arbeit noch Essen, denn die Minster wollten Geld nur noch dafür ausgeben, die Versammlungsfreiheit als hohes Gut zu gewährleisten und die göttergleichen Lichter zu beschützen.

Als sie auf den Irrsinn ihres Tuns durch die verzweifelten Menschen hingewiesen wurden, soll der blasse Minster ausgerufen haben: „Auf der Titanic spielte die Musik auch bis zum Schluss!“ Was damit gemeint war, konnten die Experten trotz aller Anstrengungen leider nicht herausfinden.

Auch die beschriebenen Geschehnisse in Bleibzig zeigen somit, dass die Menschheit vollkommen zu Recht an ihrer eigenen Dummheit zugrunde gegangen ist. Es erscheint deshalb dringend erforderlich, die Ergebnisse der Untersuchungen auf der Erde streng geheim zu halten, um ein Ausbreiten der Dummheit unter den Außerirdischen zu verhindern.

Die Experten fanden bei ihren Grabungen übrigens ein fast vollständig zerstörtes Heft, welches primitive Zeichnungen enthielt. Es war nur ein einziger, aber bemerkenswerter Satz zu entziffern:„Die spinnen, die Römer!“

Trehbuch: Gnall