Jochen Fiedler – Gedanken über keinen Unbekannten
Veröffentlicht in: Plakate. Jutta Damm-Fiedler und Jochen Fiedler. Ausstellung Brno 1997, S. 20
Manchmal weiß ich tatsächlich nicht, was in seinem Kopf vorgeht und ich befürchte seiner langjährigen Partnerin in Familie und Beruf, der Gebrauchsgraphikerin Jutta Damm-Fiedler, geht es ab und an ebenso.
Mit dieser Feststellung ist bereits ein wesentliches Element meiner nunmehr bald 10-jährigen Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem Grafiker Jochen Fiedler beschrieben: Die permanente, aber fast immer fruchtbare Auseinandersetzung über differierende Sichten auf Kunst im Allgemeinen und Gebrauchsgrafik (Ich hasse das Wort Grafikdesign) im ganz Besonderen.
Ich bin nicht sicher, wie Jochen Fiedler selbst, diese zahllosen Gespräche – bei Wein und belegten Brötchen – beschreiben würde. Für mich ist jedoch bei deren rückwirkender Betrachtung eines das Wichtigste: Jochen Fiedler hat meinen Blick geschärft für das Wesentliche in der „Graphik für den Gebrauch“.
Und hieraus ergibt sich auch zumindest eine Gemeinsamkeit unserer Auffassungen: Funktionalität und hoher ästhetischer Anspruch sind keine Widersprüche, sondern wesentlichste, untrennbare Kriterien gerade für die Bewertung von Gebrauchsgrafik.
Eine Erkenntnis, die seit den Tagen des Bauhauses eigentlich keinen Neuigkeitswert mehr besitzen sollte
Doch die tägliche Bilderflut und die wachsende Designwut stumpft den Blick der Menschen für gestalterische Feinheiten immer mehr ab. Es tritt auch hier eine allgemeine Desensibilisierung der Menschen ein.
In der Folge vermag der Nutzer nicht mehr aus eigener Sachkenntnis, d.h. hier insbesondere eigenem intuitiven Empfinden, zu entscheiden, ob ein Produkt seinen funktionalen und gleichzeitig ästhetischen Ansprüchen genügt. Er folgt vielmehr immer mehr den Vorgaben von Leuten, die wiederum vorgeben, etwas von der Sache zu verstehen: den Reich-Ranicki’s der Gebrauchsgrafik, den Designpäpsten. Diese gewinnen immer mehr Einfluss auf den Geschmack des Publikums.
Hiergegen arbeitet Jochen Fiedler verzweifelt an, insbesondere in seiner Lehrtätigkeit an der Burg Giebichenstein. Doch wissen seine Studenten eigentlich, wie ernst er sie nimmt und wie verzweifelt er häufig beladen mit ihren ungelösten Probleme von Halle zurück nach Leipzig fährt?
Oberflächlichkeit, das Ausweichen vor jeglicher kritischer Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit und Nachlässigkeit im Umgang mit einem Auftrag, sind ihm ein Gräuel.
Das ist sicher auch der entscheidende Punkt, warum Jochen Fiedler ein solch angenehmer und produktiver Partner für Auftraggeber ist: Es gesteht diesen ganz selbstverständlich zu, dass sie mit dem in Auftrag gegebenem Produkt ein klares praktisches Ziel verfolgen, welches er mit seiner Leistung erfüllen muss. Das Ergebnis ist ein produktives, gleichberechtigtes Nehmen und Geben zwischen Auftraggeber und Grafiker.
Ein solches Verhältnis gehört heute leider zu den absoluten Ausnahmen und es ist sogar zu befürchten, dass Jochen Fiedler insofern zu einer leider aussterbendes Spezies gehört, die Dinosaurier der Gebrauchsgrafik.
Es bleibt deshalb nur zu hoffen, dass sich für diese Spezies eine Lobby bildet, bevor niemand mehr in der Lage ist, Plakate von solcher eindrucksvollen Kraft und Klarheit zu gestalten, wie es Jochen Fiedler kann.
Leipzig, den 19. August 1997
Hubert Lang