Anlagen
Jagd auf Aal
Ein sozusagen merkwürdiges Erlebnis
Dominante: Was gleicht wohl auf Erden
dem Jägervergnügen?
(Freischütz)
Zum Beschluß ward erhoben, daß die Tafel des ersten Feiertages ein blauer Karpfen zu schmücken habe. Da in keinem der einschlägigen Geschäfte ein Tier dieser Art zu erwerben war, schwamm frühmorgens in einem ehemaligen Aquarium, das zu dreiviertel mit Wasser gefüllt war, ein mäßig großer Aal, einstweilen noch lebend. Das Aquarium stand auf einem Stuhl in der Küche, die im übrigen menschenleer war, da das Dienstmädchen unmittelbar nach Verabfolgung des Weihnachtsgeschenkes unter lebhaften Bekundungen des Mißfallens unser Heim verlassen hatte.
Meine Frau ist grundsätzlich imstande, aus einem Aal eine der menschlichen Ernährung zuträgliche Speise zu bereiten. Vorausgesetzt, daß der Aal durch Tötung widerstandslos gemacht wird. Hier lag das Ei im Pfeffer.
Durch Erfahrung und Beobachtung war mir bekannt, daß man gegen Fische (ausgenommen natürlich Hai- und Walfische) dergestalt vorzugehen pflegt, daß man sie mit nerviger Faust am Genick packt, ihnen sodann mit einem Ziegelstein oder einer anderen Hiebwaffe die Nase zertrümmert und schließlich den Bauch aufschlitzt. Im allgemeinen pflegt schon hierdurch der Tod einzutreten, so daß nachfolgendes Schuppen, Sieden oder Braten nicht mehr als unnütze Grausamkeit anzusehen ist.
Ich erklärte mich nach etlichen Kognaks zur Exekution bereit. Meine Frau sagte, sie könne es nicht mit ansehen und würde den Erfolg meiner Bemühungen im Zimmer abwarten. Ich möge ihr rechtzeitig den Exitus des Aales mitteilen, worauf sich weiteres finden werde. Hierauf stopfte sie sich die Ohren zu (sie fürchtete vermutlich das Gebrüll des zu Tode zu treffenden Meeresbewohners) und ging in Begleitung von Mark Twains gesammelten Humoresken ins Zimmer.
Ich zog über die rechte Hand einen alten Gummihandschuh und griff beherzt ins Wasser des Aquariums. Das tat ich sehr oft. Schließlich drang die Flut durch alle Poren des Handschuhs, und meine Finger schwollen wassersüchtig an. Der Aal lebte weiter und entzog sich allen Greifexperimenten durch elegante Windungen nach allen Himmelsrichtungen. Ersichtlich war die von mir gewählte Methode falsch.
Rasch entschlossen fertigte ich aus einen alten Rohrstock, Bindfaden, einen krumm getretenen Hufnagel und einem Achtel Salami eine erstklassige Angelrute, rief meine Frau, gab ihr die Harpune in die Hand und wies sie an, selbe so lange ins Aquarium zu halten, bis der Aal angebissen haben würde. Worauf ich mich meinerseits an Mark Twain machte und meine Hand im Ofen auftaute.
Der Aal verschmähte Salami. Als ich nach zwei Stunden in die Küche kam, fand ich meine Frau auf einem Stuhl eingeschlafen, die Angelrute im Wasser und den Aal in stummer Reflexion. Ansonsten schien seine Gesundheit niemals besser gewesen zu sein. Ich weckte meine Frau, erstattete ihr einen kurzen Bericht über die Lage, wir aßen – es war inzwischen zwei Uhr nachmittags geworden – jeder ein kaltes Brot und einigten uns dahin, daß es möglich sein müsse, des Aales durch Gasnarkose habhaft zu werden.
Worauf ich den Schlauch des Gaskochers mit dem Mundstück in das Aquarium senkte, das Gas andrehte und zu Mark Twain zurückkehrte.
Gegen fünf Uhr verließ der Arzt das Haus. Es war ihm nach langen Mühen gelungen, meine Frau durch Anwendung der schärfsten Mittel ins Leben zurückzurufen. Der Zustand des Aales war unverändert.
Rechtzeitig erinnerte ich mich der Tatsache, daß die Jagd auch mit Feuerwaffen betrieben werde. In längstvergangenen Jugendtagen hatte ich mit gutem Erfolg Jagd auf Schürzen gemacht und beschloß, die auf diesem Gebiet erworbenen Fähigkeiten zu verwerten. Außer einem kleinen Revolver mit fünf Patronen stand mir nur noch der greise Dackel „Schusterle“ zur waidlichen Verfügung. Indessen zweifelte ich nicht am Halali. Ich faßte an der Küchentür Posto und den Aal ins rechte Auge, während ich das linke zukniff. Der Fisch nahm mein ganzes Blickfeld ein, nichts schien einfacher, als ihn durch einen wohlgezielten Blattschuß zur Strecke zu bringen, ich hob das Feuerrohr und drückte rasch ab.
Da dieses eine wahrhafte Geschichte ist, will ich nicht verschweigen, daß das Küchendoppelfenster 3000 Mark gekostet hat. Ich hatte es mitten durchs Herz geschossen, schöpfte hieraus aber die freudige Genugtuung, daß ich immerhin imstande sei, irgendetwas zu treffen. Niemand wird auf den ersten Streich eine lebenden Aal fällen, das ist nicht einmal mit einem Baum möglich, der doch ein ganz anderes Ziel bietet, und außerdem ist bekannt, daß auch bei der schweren Artillerie erst der dritte Schuß einigermaßen zu sitzen pflegt.
Die Szene belebte sich waidmännisch. Meine Frau ergriff das Hasenpanier, und der Dackel bellte furchtbar, wobei er in richtiger Witterung andauernd das Aquarium umtobte. Ich zielte kaltblütig aufs neue, der Schuß krachte, und „Schusterle“ sprang in die Höhe Celly de Rheydt. Dabei flatterte sein linkes Ohrwaschel gleich einer Fahne durch die Luft und bekam von meiner zweiten Patrone ein kreisrundes Loch. Erfahrene alte Schützen, denen ich von diesem Meisterschuß erzählte, meinten, ich spräche lateinisch wie ein Oberförster, es sei unmöglich, eine Dackel beim Hochsprung durch den Löffel zu treffen. Nun – „Schusterle“ und ich wissen es besser.
Beim dritten Schuß fiel das Tafelservice in Schutt und Asche- und beim vierten erbrachen die Nachbarn die Korridortür, fürchtend, ich sei damit befaßt, meine Familie auszurotten. Noch ehe ich die absolute Harmlosigkeit meines Tuns erklären konnte, hatte man mir die Mordwaffe entwunden, der sich heulend in seinem Blute wälzende Dackel prallte an den Stuhl, auf dem das Aquarium stand, dieses klirrte zu Boden, ein Katarakt ergoß sich über den Boden, und ich sah, wie der Aal unter dem Kohlenkasten verschwand. Ich habe ihn nie wieder gesehen, und ich weiß nicht, ob er noch unter den Lebenden weilt oder ob ihn einer der Nachbarn aufgefressen hat. Gewisse Vermutungen lenken den Verdacht in diese Richtung.
Inmitten der Verwüstungen des Jagdgrundes weinte meine Frau, während sie den Dackel verband und meinte, es wäre entschieden ratsamer gewesen, Aal im Wirtshause zu essen. Sie hat in gewisser Hinsicht nicht ganz Unrecht; das poetische Empfinden für die Romantik des Jagdlebens ist ihr nun mal nicht gegeben.