Anlagen
Die blonde Ratte
Ein Film von Liebe, Lust und Lachen
Sechs prächtige Akte ohne Unterbrechung
Wenn ich schon mal was erleben will! Aber betten wir meine Zähren einstweilen noch in den Schoß der Zukunft.
1. Gleich jenem Don Carlos, dem bekannten Infanteristen von Spanien, war ich versucht, auszurufen: „O Königin, das Leben ist kein leerer Wahn!“, als ich mich in der Loge des angenehm verdunkelten Kinos auf einen Rückplatz setzte, unmittelbar hinter der Silhouette einer Dame, die das Angenehmste erwarten ließ. Gerade setzt das vollzählige Orchester zu einem stimmungsvollen Shimmy auf der Unterlage der berüchtigten Melodie „Wir winden dir den Jungfernkranz, aus Tulpen und Rapünzchen“ ein. Auf der Leinwand stand in schöner alter Knochenfraktur der Titel „Die blonde Ratte“, und aus dem Bestandsverzeichnis ging hervor, daß nicht nur Reinhold Schünzel, sondern auch Fern Andra gemeinsam auf der Leinwand erscheinen würden. Voll Spannung beugte ich mich etwas vor, um genauer sehen zu können, und stellte fest, daß die Dame aus einer kleinen Tüte kandierte Nüsse zu sich nahm. Sie knirschte diskret mit den Zähnen und war ansonsten ebenso gespannt wie ich.
2. „Fern von ihrem Gatten langweilt sich die schöne Cleo und schaut nach einen Zeitvertreib aus“, bemerkte sehr richtig die Schrift auf der Leinwand, und man sah Fern Andra in einem wallenden Gewande, einem großen Busch frischgepflückten Sellerie im Arm, durch einen pompösen Garten in der Nähe von Rimini wandeln. Zufällig kannte ich die Gegend. Es war das liebliche Caputh bei Potsdam. Was mich persönlich freute, denn wozu in die Ferne schwoofen?
Ein furchtbar nobler Herr tauchte plötzlich im Blickfeld Ferns auf, und das war der Conte Malatesta. Eigentlich Knud Beppinger vom Antitantiementtheater in Berlin. Er trug ein Monokel, eine Gardenia, fabelhafte Knickerbockers, glattrasiertes Gesicht und höhnische Mundwinkel, also das ganze Rüstzeug des Verführers von Distinktion, und Fern Andras bange Frage: „Warum duften die Rosen so schwer?“ war als Stimmungswegweiser wohl am Platze. Dabei schaute sie neckisch über den Sellerie in die Linse. Nach zehn Kinometern hing Fern wie leblos, aber dennoch bebend, am Halse des Conte Malatesta, und die weiße Leinwand wurde schwarz wie immer, wenn es sich um „Nur für Erwachsene!“ handelt. Als die Sache schon wieder jugendlich wurde, waren Fern und Beppinger verschwunden, und statt ihrer tauchte aus einem Gebüsch ein vollschlanker, noch nicht älterer Herr, der den Eindruck eines biederen Wohnungsvermittlers, sowie eine strichdünne Dame auf, die wie ein verdorbenes Siebenmonatskind aussah, das man durch die Wringmaschine gedreht hatte. Ihr Kopf bestand aus einem penetrant blonden Bubi. Man lachte. Das Lustspiel begann. Reinhold Schünzel – das war der Wohnungsvermittler – grinste breit, und die blonde Ratte stand ihm nicht nach. Der Titel verriet: „Nippy und Nuppy wissen, was los ist!“ Hier griff ich in die Handlung ein.
3. Ich meckerte zunächst kurz und grell, verständnisinnig und mit Humor. Dann neigte ich mich zu der Dame, die immer noch Nüsse knirschte und mit „Oh, du mein Traum“-Parfüm durchsetzt war, und bemerkte, ich wisse auch, was los sei. Die Dame unterbrach das Knirschen und stellte ein Ohr auf, wie mein Dackel, wenn es regnet. Offenbar glaubte sie an eine Gehörtäuschung.
„Ja, ja!“ ward ich etwas lauter, denn es war ziemlich leer auf der Brüstung. „Das ist sozusagen ein Liebesroman!“
„Sie haben den Film wohl schon gesehen?“ fragte die Dame und wackelte mit den Schultern. Offenbar lachte sie. Das ist immer ein gutes Zeichen, und ich ging zur Offensive über, d. h. ich verließ meinen Hinterplatz und setzte mich auf den Sessel neben der Dame.
Hand auf’s Herz, das Weib war schön. Denken Sie – ich wende mich ausschließlich an männliche Leser! – Sie hätten vor fünfundzwanzig Jahren Ihr Ideal entdeckt. So sah sie aus. –
Das Siebenmonatskind hieß Nuppy. Es stellte sich Fern als neue Kammerzofe vor, und es dauerte nicht lange, da wurde auch Nippy als Chauffeur engagiert. „Aha!“ bemerkte ich. „Belästigen Sie mich eventuell weniger!“ rief die Dame. Als Antwort legte ich meinen Arm auf die Lehne ihres Sessels. So leicht lasse ich mich nicht abschrecken, wenn ich was erleben will. Außerdem erforderte der Fluß der Handlung rasche Entschlossenheit.
Es hatte sich nämlich inzwischen herausgestellt, daß der Malatesta ein scharfes Glasauge auf Nuppy geworfen hatte. Fern Andra schloff jedenfalls tief gebeugt durch die Gärten von Caputh, mit immer anderen Blumen im Arm. Zur Zeit waren es offenbar die ersten Kohlrüben. Hin und wieder lehnte sie sich an ein Geländnr und blickte in melancholische Sonnenuntergänge. Inzwischen hatte der Conte mit Nuppy hinter Hecken und Paravents zu tun. Das Komische bei der Sache war, daß im letzten Augenblick immer Nippy erschien. Infolgedessen wurde der Conte zornmütig und drohte Nippy sogar, „er werde ihm die Antenne verfitzen, daß er keinen Laut sprechen könne!“ Worauf Nippy behäbig lächelnd auf den Malatesta zuging und ihn leicht anknockte. Da änderte der Conte seine Taktik und kehrte reumütig zu Fern zurück, die soeben auf einer Bank von Stein dahinschwand, junge Teltower im Arm und den Blick zur Großaufnahme geweitet.
4. Meine Bemühungen um die Dame nahmen gleichfalls einen günstige Fortgang. Sie hatte mir bereits von ihren Nüssen angeboten, aber sie waren ölig, und außerdem ist mir nichts verhaßter als eine kandierte Nuß. Ich würde lieber gehackte Schnecken von vorgestern essen. Aber die Galanterie steckt mir von Adam her im Blute, der sogar eine seiner Rippen opferte, um sich zu Eva zu finden, und was bedeutet eine Nuß gegen eine Rippe? Also zerbiß ich so rasch wie möglich das braune, klebrige Klümpchen und hielt mich schadlos, indem ich meinen Arm auf die Rückenlehne des Sessels deponierte.
Rasch legte die Leinwand Fern Andra die Worte in den Mund: „Die Kammerzofe fliegt, darauf kannst du dich verlassen!“, und der heuchlerische Conte erwiderte gleichfalls schriftlich: „Und dann fliegen wir beide ins Himmelreich!“, worauf die Szene abermals erlosch und sofort wieder hell wurde. „Kurze Pause!“ Die Musik stoppte, wie ein Kraftwagen vor der Schupofaust, und ich nahm rasch meinen Arm von der Lehne, denn wenn im Kino plötzlich Licht gemacht wird, sind meistenteils Bekannt in der Nähe, die man selber nicht kennt.
5. Alsbald eröffnete ich das Trommelfeuer einer geistreichen Konversation. „Gnädigste sind gewiß keine Hiesige!“ Sowas zieht immer. „Deswegen dürfen Sie mich aber nicht unterschätzen!“ klang es zurück. „I wo, werde ich!“ – „Na, dann ist es ja gut!“ – „Netter Film, was?“ – „Gott, ja! Ich erwarte eine Freundin hier, sonst wäre ich lieber woanders!“ – „Eine Freundin? Auch so hübsch wie Sie?“ – „Viel hübscher!“ – „Das erscheint mir ausgeschlossen!“ – „Kleiner Keckling! Würden Sie eventuell Ihr Sesselbein von meinem Fuß nehmen?“ – „Oh, Verzeihung, man sieht so schlecht!“
Das Licht erlosch, die Handlung flutete weiter. Gerade wagte ich das Äußerste und näherte meine Hand meiner Nachbarin. Aber ich geriet in die Kandierten Nüsse, und wie ich die Hand zurückzog, klebte die ganze Tüte daran. Ich hatte lange zu tun, bis ich sie los war. Wie sich dann später erwies, pickten an meinem hellgrauen Anzug überall kandierte Nüsse wie Blutegel.
„Komm auf die Wiese, der Mond scheint so weiß!“ flüsterte Nuppy dem Conte zu, der freibleibend zu ihr zurückgekehrt war. Der Conte packte die blonde Ratte am Kopf und gab ihr einen Kuß als Monatsrate. Ich seufzte gefühlvoll und wiederholte am Ohr meiner Nuppy: „Komm auf die Wiese!“ Aber sie erwiderte naßkalt, dergleichen schätze sie nicht. „Wir können uns auch gern anderswo treffen!“ lenkte ich ein. „In der Zufallsecke in der Nirgendstraße!“ lachte sie. „Madame – – -„ holte ich aus, aber Nippy kam mir dazwischen.
6. Matateska war infolge seiner schwer diskontierbaren Gefühle in die Klemme geraten. Einerseits erwartete ihn Fern am Gartenpavillon zu Caputh-Rimini, um mit ihm durchzubrennen, andererseits wurde Nuppy auf der Wiese mondsüchtig. Schünzel aber saß am Steuer eines herrlichen Rennautos, das vor dem Schloßportal vibrierte und den Conte mit Fern Andra entführen sollte. Offenbar wälzte Nippy einen finsteren Planwagen in der Brust, denn er lachte courths-mahliziös und rieb sich die Hände. Malatestka machte eben den schüchternen Versuch, rechts um den Pavillon herum auf die Wiese zu eilen, als aus derselben Richtung Fern im wallenden Automantel mit Kaliklorazähnen erschien, im Arm eine kleine Parzelle wilden Lauches, die sie auf der Wiese gerade frisch gepflückt hatte. Hier schien guter Rat ausgestorben zu sein, denn Malatestka machte ein so dummes Gesicht, daß sogar die schöne Fern in die weiblich schönen Worte ausbrach: „Ist dir nicht wohl, mein Geliebter?“ Und sie steckte ihm trostreich etwas Lauch unter die Nase. Worauf der Conte gar nicht anders konnte, sondern beide Arme um den Hals der herrlichen Frau warf und sie stürmisch an die Brust zog. Dieser dichterisch wirklich schöne und tief aus dem Leben gesogene Vorgang, von den trefflichen Darstellern unerhört suggestiv gemimt, brachte mich um den Rest der Besinnung. Eingedenk der Schillerschen Mahnung, die Bühne sei Lehrmeisterin des Lebens, machte ich es wie der Conte und umklammerte die schöne Unbekannte gleichfalls mit aller Inbrunst meiner feuergefährlichen Seele, dergestalt über meine ernstlichen Absichten keine Zweifel mehr lassend.
Wenn ich, wie gesagt, schon was erleben will! Im selben Augenblick wurde es wieder hell, und eine mir sehr bekannte weibliche Stimme kreischte hinter mir: „Irma!! Solche Sachen machst du!!??“ Ich fuhr herum wie eine auf den Schwanz getretene Hornbrillenschlange und starrte, zum Nordpol erfrierend, in die rasenden Augen – – meiner Frau.
Ich hatte wieder mal Glück gehabt. Die schöne Frau war eine neuere Freundin meiner Frau, und die Damen hatten sich im Kino verabredet. Es gibt ein paar hundert Kinos in der Stadt, und keines hat weniger als tausende Sitze. Aber natürlich mußte ich ausgerechnet dasselbe Kino geraten und in derselben Loge sitzen, hinter bzw. neben derselben Dame – – genug!
Was aus der blonden Ratte geworden ist, weiß ich nicht. Unter dem brausenden Beifall des inzwischen stark angewachsenen Publikums eskortierte mich meine Frau hinaus, während Irma, die Verlegenheit selber, krampfhaft die kandierten Nüsse suchte, die an meinem hellgrauen Anzug pickten.