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Residenztheater Dresden
„Die blonden Mädels vom Lindenhof“
Erschienen in: Sächsische Dorfzeitung vom 03.08.1917, S. 3
Schwank in drei Akten von Georg Okonkowski. Muß dieser Okonkowski ein weites Gewissen haben. Sonst könnte er es wohl nicht fertig bringen, zwei Stunden lang das Publikum mit Witzen, alten und aktuellen, Verwandlungen und unglaublichen Vorkommnissen so leichtfetrig zu bombardieren, daß es aus dem Lachen nicht herauskommt und fast erstickt. Ewald Röckelmann, ein reich gewordener Fabrikbesitzer, fühlt plötzlich den Beruf in sich, Rittergutsbesitzer zu werden, und kauft sich ein solches, ohne natürlich nur einen Schimmer von Landwirtschaft zu haben, mit Ausnahme der Kenntnis einer Anzahl von Bauernregeln. Seine Familie, die Frau, eine Dame der Gesellschaft, zwei Töchter, „Die blonden Mädels vom Lindenhof“, eine etwas überspannt von Kunst sprechend und schwärmend, die zweite auf einem anderen Steckenpferd reitend, doch frisch und munter, sind natürlich gegen diesen Landaufenthalt und suchen alle Mittel und Wege, ihrem Herrn und Gebieter diese Lust am Landleben zu verleiden. Es ist dies nicht so leicht, denn Röckelmann bildet sich schon in wenigen Tagen zu einem imitierten Bauernjöbel aus, wie seine Gattin geschmackvoll bemerkt. Die jüngere Tochter hat bereits einen Liebhaber, den Kunstmaler Siegler, von dem ihr Vater natürlich nichts wissen will, trotzdem er ihn persönlich nicht kennt. Dieser u. sein Freund Rudolf v. Wallburg, welcher sein Vermögen verjubelt, sollen nun den ehemaligen Fabrikanten wieder nach Berlin locken. Wallburg vermietet sich als Inspektor, während Siegler die Rolle eines angeschossenen Bauern zugeteilt wird. Selbstverständlich geschieht alles im Einverständnis der Röckelmannschen Damen. Durch eine landwirtschaftliche Maschine, Milka, welche telegraphisch abbestellt und schon abgeschickt war, und durch Briefe und ein Buch irgendeiner verschrobenen Frauenrechtlerin kommt in Frau Röckelmann der Gedanke auf, daß ihr Gatte wegen einer Geliebten Berlin verlassen habe. Sie will nun sein ehrbares Bestreben unterstützen und macht sich auch mit dem Landaufenthalt vertraut. Da könnte eigentlich die ganze Affäre sich in Wohlgefallen auflösen. Da kommt aber eine von den beiden jungen Männern eingeleitete Rehbockgeschichte dazwischen und Röckelmann wird in den Glauben versetzt, er habe einen Bauern schwer angeschossen. Die Furcht vor Strafe zermartert sein Hirn und raubt ihm den Schlaf, so daß er sich vornimmt, so schnell wie möglich nach Berlin zurückzukehren. Ein auftauchender Landrat, Bureaukrat durch und durch, tritt noch als Polizeigewalt auf und steigert die Angst Röckelmanns. Nun besitzt der Verfasser Anschmiegsamkeit nach allen Richtungen, auch hat er eine derbe Theaterhand und so braucht man sich nicht zu wundern, daß er in die schlaflose Nacht Röckelmanns geschickt eine von Baron v. Wallburg und dem Kunstmaler Siegler arrangierte Früh-Kabarettstunde einschmuggelt. Wundern muß man sich bloß, daß die ehrbaren Töchter des Fabrikanten – eine davon glaubte allerdings das Talent zur Filmschauspielerin zu haben – so gut mit dem Kabarettleben vertraut waren. Da bekam das Publikum nun einige Kabarettverse zu hören, welche tatsächlich, wie im Refrain immer betont wurde, an Stumpfsinn grenzten. Sie behandelten u. a. das Hamstern, die Lichtknappheit und den Scheidemann-Frieden. Diese Proben mögen genügen. Nach der schlaflosen Nacht Röckelmanns werden die Verwicklungen durch einen Einschreibebrief, welchen der Pseudo-Inspektor erhält, und welcher ihm die Mitteilung brachte, daß er wieder ein großer Vermögen geerbt, geklärt. Der Inspektor stellt sich dem Fabrikante mit seinem richtigen Namen vor, erhält die Hand der ältesten Tochter, der Kunstmaler Siegler wird als der angeblich angeschossene Bauer erkannt, er bekommt die zweite Tochter, der Landrat muß auch einsehen, daß kein Verbrechen vorliegt, und Frau Röckelmann kommt zu der Ueberzeugung, daß „Milka“ wirklich eine landwirtschaftliche Maschine ist und keine Geliebte, sie bittet ihren Mann um Verzeihung wegen des schnöden Verdachtes. Dieser steht nun neben seinen Töchtern als der glücklichste Mensch auf der Welt da, ist er doch alle Sorgen los, allerdings auch die Lust zum Landleben. „Die blonden Mädels vom Lindenhof“ haben also ihren Zweck erreicht und üben sich in der Kunst des Küssens sehr ausgiebig. Damit ist auch für das Publikum der Lebenslauf der blonden Mädels vom Lindenhof beendet.
Die Duldsamkeit des Sommerspielplan scheint jede ernste Kunst auszuschließen und deshalb kam wohl auch die Direktion des Residenztheaters zu dem Griff nach den blonden Mädels vom Lindenhof, welche wahrscheinlich, wenn man nach dem gestrigen großen Erfolg urteilen darf, beitragen werden, die Kasse zu füllen. Okonkowski kann die Pointe geschickt mischen, es kommt ihm auch nicht auf einige Banalitäten mehr oder weniger an, er gibt aber guten Schauspielern Gelegenheit, ihr Können zu zeigen. Und dies geschah auch gestern. Willy Karl war ein prächtiger imitierter Rittergutsbesitzer. Sein urwüchsiges Spiel, sein manchmal polternder Ton, war naturgetreu und hatte keine Spur von Imitation an sich. Eine derbe Figur bot Richard Bendey mit seinem Baron Wallburg. In der Rolle des Inspektors war er großartig, wenn auch sein derbes Lachen nicht nur der Frau Röckelmann, sondern auch dem Publikum „auf die Nerven fällt“. Gleichwertig war Herr Adolf Wagner als Kunstmaler Siegler. Er verstand all‘ die reichen Schauspielermittel geschickt anzuwenden. Nicht unerwähnt soll Adolf Kronau als Landrat v. Fahrenholz bleiben. Die anderen kleinen männlichen Rollen lagen auch in guten Händen. Die weiblichen Hauptrollen, „Die blonden Mädels vom Lindenhof“, wurden von den Damen Asta von Rena (Hertha) und Asta Bergen (Else) mit der ihnen angeborenen Frische und gereiftem Talent gegeben. Reizende junge Mädchen, die auch andere Herzen als die ihrer Liebhaber gewinnen könnten. Ida Kattner als Frau Elvira bot in geschickter Weise die Großstadtdame, welche nur widerwillig in die Verbannung aufs Land ging.
Das Publikum war äußerst dankbar, stürmischer Beifall und Blumenspenden waren der Erfolg der Darsteller. „Die blonden Mädels“ werden also auch in Dresden längere Zeit siegesbewußt auftreten können, wie sie dies, in Berlin schon viele Wochen tun.
– n. n. –