Anlagen
Die Ahnen
Emil Saftlöffel und seine Frau Minna geborene Strumpf hatten es von Markthelfer und Herrschaftsköchin so weit gebracht, daß sie eine Glyzerinfabrik, drei Automobile, zwei Villen, ein Stadthaus und einen Sohn hatten, der Kunstkritiker in Berlin war.
Unlängst hatten sie sich noch ein ehemaliges Schloß erworben. Aber der Vorbesitzer, ein richtiggehender Graf, hatte die Ahnengalerie mitgenommen. Die Wände des Saales waren an den Stellen, wo die Bilder gehangen hatten, farblos. Da beschlossen Saftlöffel und Frau, ihre eigenen Ahnen aufzustöbern und aus dem Gedächtnis malen zu lassen. Sie betrauten ein genealogisches Büro mit den notwendigen Erhebungen.
Heute saßen sie in diesem Büro, um das Resultat der Nachforschungen zu hören. Der Inhaber des genealogischen Büros, ein alter Herr, der aussah, als ob er direkt von einem Kragengeier abstammte, berichtete:
„Der Name Saftlöffel tritt zum ersten Male im Jahre 1758 in Erscheinung.“
„Wat? So alt?“ wunderte sich Saftlöffel.
„Jawohl – und zwar trug ihn ein Soldat Friedrich des Großen.“
„Emil!“ rief Frau Saftlöffel gerührt. Emil bemühte sich martialisch auszusehen.
„Der wegen Desertion, Plünderung und Feigheit vor dem Feinde Spießruten laufen mußte und dann gehenkt wurde.“ beendete der Kragengeier.
„Det muß’n anderer jewesen sin!“ meinte Emil und verlor die Haltung.
„Die Tochter dieses Saftlöffels war zunächst Marketenderin. Dann trat sie in die Dienste einer Gräfin von Schwerhammel und genas eines Knäbleins, das bei der Taufe den Namen Gotthold Jeremias Saftlöffel erhielt. Dieser scheint der eigentliche Ahnherr gewesen zu sein.
„Erkenn‘ ick nich an!“ erklärte Emil und wischte sich empört mit einem gelbseidenen Tuch die Stirn.
„Nu laß jut sinn!“ beschwichtigte Minna, „vielleicht war der Jraf der Vater!“
„Außer so!“ bemerkte Emil und reckte sich.
„Dieser Gotthold Jeremias tat nicht gut. Er wurde Landstreicher, Pferdedieb, Straßenräuber und endete am Galgen!“
„‘ne dufte Nummer!“ stellte Emil fest. „Hoffentlich kommt nu mal ‘n anständjer Ast an ’n Stammbaum!“
„Gotthold Jeremias hinterließ zwei Söhne. Friedrich Hinz und Jochen Leberecht. Friedrich Hinz wanderte nach Amerika aus und blieb verschollen. Jochen Leberecht gründete eine Seiltänzergesellschaft, heiratete ein Mitglied der Truppe, verfiel dem Suff und brach das Genick.“
„Donnerwetter!“ stöhnte Emil.
„Seine Nachfahren waren 21 Kinder, und zwar zwölf Söhne und dreizehn Töchter —“
„Det sinn doch fünfundzwanzig nach Adam Riese!“
„Einige waren außer dem Hause geboren!“
„Die lassen wa wech!“ bestimmte moralisch entrüstet Minna.
„Sie nahmen fast alle ein übles Ende. Besonders die Töchter. Genaues wissen wir nur von einem gewissen Theodor Ernst Emil Saftlöffel. Dieser war, wenn man will, der erst Hoteldieb großen Stils. Er starb 1823 im Zuchthause zu Rawitsch. Sein einziger Sohn Adolf Emil —“
„Schon wieder ein Emil!“ ärgerte sich Emil.
„Der Name tritt bei allen Erstgeborenen der Familie auf. Also dieser Adolf Emil war ein bekannter Roßkamm—“
„Nu ha ‘ck de Neese pleng!“ Frau Minna fuhr zornbebend auf. „Nu laß dir man deine Ahnen sauer kochen un streu‘ Pfeffer druff! So ’ne Bande kannste doch nicht malen lassen. Det wird doch ‘n Polizeialbum un keene Ahnengalerie! Wir vazichten auf uff unsere Abstammung. Un wat die weißen Flecke betrifft uff die Wände, da hängen’n wa uns die sechs großen Landschaften hin, die unser Sohn vor uns jekooft hat. Un wenn denn noch wat fehlt, dann lass’n wa uns noch was zu malen. Komm, Emil, det wär‘ ja noch scheener. Lauter Strolche und Jauner un so’n Zeuch. Da muß man sich ja jraulen.“
Sprach’s, nahm den völlig zerknirschten Emil bei der Hand und ging. Emil aber kehrte noch einmal zu dem Kragengeier zurück und fragte leise:
„Et is doch diskret, ick meene, et bleibt doch unter uns, wat Se da ‘rausjepolkt hamm?“
„Aber selbstverständlich!“
„Wenigstens een Trost!“ seufzte Emil und ging schwankend hinaus.