Anlagen
Weib an Bord
Ob der Maat Hinrichsen oder der Maat Stüwe die Flaschenpost zuerst gesichtet hatte, ist ohne Belang. Fest steht, daß diese beiden über der Reeling des Hamburger Bollschiffes „Mirakel“ lehnten und in das gelbe Wasser des kleinen australischen Hafens spuckten, in dem das Schiff ankerte, um einen Teil seiner Ladung zu löschen. Jedenfalls ließen sie den Schiffsjungen Kort über Bord klettern und die Post auffischen. Sie bestand aus einer großen bauchige Flasche, wie man sie zu Burgunder verwendet, war sorgfältig verstöpselt und mit Draht überdies verschlossen, und als man ihr den Hals abgeschlagen hatte, kamen mehrere, eng beschriebene Seiten zum Vorschein.
Weder Hinrichsen noch Stüwe waren des Lesens mächtig und es blieb mithin nichts anderes übrig, als die Papiere dem Kapitän zu übergeben. Der nahm sie, ärgerlich über die Störung – er probierte gerade eine neue Havannasorte – an sich und verschloß sie in seinem Pult, nachdem er festgestellt hatte, daß der Brief oder was, zum Teufel!, er sein mochte, auf Quartbogen niedergeschrieben war, die am Kopf die Firma „T. B. Kristans, Bremen“ trugen. Kristans? T. B. Kristans? Der Kapitän dachte nach. War das nicht jene Firma, die im Vorjahre falliert hatte, nachdem der von ihr befrachtete Dreimaster „Olga“ verschollen war. Man hatte doch wohl auch den Firmeninhaber kurze Zeit verhaftet, weil ihm vorgeworfen wurde, er habe – aber das war ja wohl nur schäbige Verleumdung gewesen, wie immer, wenn sich ein Mensch über sein Unglück nicht ausweisen kann.
* * *
An Bord der „Olga“,
September 1827
Ich, der unterzeichnete Superkargo Fritz Wilhelm Schneebel von der Firma T. B. Kristans zu Bremen, Vierwachthof, schreibe dieses im Vollbesitze meiner geistigen Gesundheit und ohne in meiner Schilderung von der Wahrheit irgendwie abzuweichen.
Seit über zehn Jahren bei meiner Firma tätig und durch die freundliche Güte meines Chefs, bis zur Stellung eines Superkargo aufgerückt, bekam ich den Auftrag, die wertvolle Ladung des von uns gefrachteten Dreimasters „Olga“ nach Sydney zu begleiten. Gedachte Ladung bestand in der Hauptsache aus jenen neuartigen Apparaten, die man Nähmaschinen benennt und die es ermöglichen, Kleidungsstücke mit erstaunlicher Schnelligkeit herzustellen. Diese Ladung war der Firma Morris, Gransdale Sons in Sydney designiert. Außerdem führte die „Olga“ einen Posten Spielsachen, Stühle und einfache Schränke aus Kiefernholz, die für die Firma Newman bestimmt waren. Schließlich aber trug das Schiff und deshalb war das Vertrauen meines Chefs besonders ehrend für mich, ungemünztes Gold in Barren und Korn im Werte von 10 000 Pfund Sterling. Das Gold war Eigentum der Firma P. Gaadje, Bremen, Niedersteig, und sollte als Zahlung für die Beteiligung an einem Ledergeschäft dienen, bei dem P. Gaadje in Sydney meta interessiert war. Der englische Komittent hatte auf Zahlung in Gold bestanden, und P. Gaadje war zwar durch seine Beziehungen zur Londoner Börse nicht in Verlegenheit gewesen, es zu beschaffen, wohl aber, es zu befördern. Schließlich einigte er sich mit meinem Chef, dem auch er schon mehrfach gefällig gewesen war, daß das Gold – unter entsprechender Versicherung – mit der „Olga“ verschifft werden möge.
Hätte ich gewußt, wie es schon damals um P. Gaadje stand, und daß er gar nicht mehr in der Lage war, die Versicherung für eine solche Riesensumme, die er sich nur unter wucherischen Verpfändungen seines gesamten Vermögens hatte verschaffen können, aufzubringen, so hätte ich wahrscheinlich — aber es ist, bedenke ich alles genau, zweifelhaft, ob ich gebeten hätte, einen anderen Superkargo zu betrauen.
Wie es eigentlich kam, daß mich die Tarahita so besessen machen konnte, ist mir bis heute unverständlich und wohl nur mit einer gewissen geistigen Störung zu erklären. Die Tarahita war eine Tänzerin, die in einer Kneipe, wo Kapitäne, Steuerleute und besseres Schiffsvolk verkehrte, auftrat. Sie war – das ist unbestreitbar – sehr schön und erfahrene Männer als ich schwuren, nie eine schönere Frau gesehen zu haben. Mittelgroß, von biegsamen Körperbau, zeigte sie in einem Gesicht, das glatt und bräunlich war wie seltenes Elfenbein, ein paar Augen, die einem das Herz und den Verstand gleicherweise verbrannten. Sie trug den bunten Tand eines spanischen Zigeunermädels, und ich glaube auch, daß sie dieser Abstammung war, wenngleich sie fließend deutsch, englisch und holländisch sprach. Angeblich war sie in einem Schoner von Cadiz gekommen, aber das konnte nicht stimmen, denn es war in den letzten drei Wochen kein solches Schiff von Cadiz angekommen.
Ich will die Sache nicht beschönigen; ich geriet in die Netze der Tarahita, und es schien mir unmöglich, mich von ihr auf die lange Zeit zu trennen, die meine Reise nach Sydney und zurück erfordern würde. Es glückte mir auch, sie am Abend vor unserer Abreise an Bord zu schmuggeln und zu verstecken, bis die „Olga“ auf hoher See war. Dann offenbarte ich mich dem Kapitän, einem alten Priembeißer, der Humor hatte. Er lachte über die „Hochzeitsreise“, die ich da verstohlen unternommen hätte, und sagte, er würde nichts ausplaudern, umso weniger, da mir die Tarahita bestimmt im nächsten Hafen davon laufen würde. Hätte sie es doch getan!
Der Goldschatz befand sich in acht großen, schwer beschlagenen Kisten, die wiederum in einer massiven Eisenkiste verstaut waren. Die Eisenkiste aber war mit Krampen, Zwingen und Stahlbändern auf dem Boden meiner Kajüte fest verschraubt. Den Schlüssel dazu trug ich an einer Kette auf der nackten Brust. Die Tarahita schlief in einer kleinen Kajüte am Vorschiff, unweit des Matrosenlogis.
Ueber sechs Wochen schon waren wir auf See. Das Wetter war so, wie man es nicht besser wünschen konnte. Ich lebte im seligen Rausch der ersten, großen Leidenschaft, und es schien, als die Tarahita alles zum Guten wandte. Man muß den Aberglauben der Seeleute kennen, um zu verstehen, daß alle an ihr Gefallen hatten. Jeden Abend tanzten sie auf dem Vorschiff und ihr braunes Gesicht, ihre im Schein der Buglaternen funkelnden Augen, das flatternde schwarze Haar — es war mir manchmal, als tanzte da eine wunderschöne Hexe zu den Klängen der Harmonika, die Richard Gräthe, ein Leichtmatrose, spielte.
Eines morgens war Gräthe verschwunden, und zwei Tage später ließ der Kapitän einen Maat in Eisen legen. Es war herausgekommen, daß dieser in der Nacht mit Gräthe Streit bekommen und ihn über Bord geworden hatte. Das erzählte, von Gewissenqualen gefoltert, ein anderer Maat. Die Tarahita lächelte, als sie davon erfuhr, und am Abend mußte Flottweger, der Steuermann, Harmonika spielen, während sie tanzte.
Das gefiel dem Kapitän nicht, der auf die Manneszucht sah, und es für Unrecht erachtete, daß ein Steuermann Musik für eine Hafendirne machte. Er verwies also Flottweger sein Tun, aber der tat, als höre er nichts. Da riß ihm der Kapitän die Harmonika aus den Händen, warf sie auf den Boden und trampelte darauf herum, bis sie völlig zerstört war. Die Matrosen murrten. Flottweger steckte die Hände in die Hosentaschen und kehrte dem Kapitän den Rücken. Die Tarahita tanzte.
Tags darauf erklärte mit der Kapitän, er werde den nächsten Hafen anlaufen und die Tarahita dort von Bord jagen. Darüber kam es zwischen uns zu einer schweren Auseinandersetzung. Ich schrie, ich sei der Superkargo und die Tarahita sei meine Braut, und ich würde nicht dulden –
„Was? Nicht dulden?“ brüllte mich der Schiffer an, und die Augen traten ihm aus dem Kopf wie feurige Kugeln. „Ich bin hier Kapitän, und was ich nicht dulde, fliegt von Bord! Da wird mich kein Liederjahn und keine H – hindern!“ Sinnlos vor Wut packte ich ihn, aber er warf mich an die Schanzkleidung, daß ich dachte, mein letztes Stündlein sei gekommen. Dann ließ er mich in die Kajüte sperren und die Tarahita wurde zu dem Matrosen in die Eisen gelegt, der Gräthe umgebracht hatte.
Ich weiß nicht, welcher Dämon in mich gefahren war. Achtbarer Eltern Kind, hatte ich selber immer achtbar gelebt. Nie hatten Weiber, Karten oder Schulden mir Sorge bereitet. Aber, seit ich die Tarahita hatte, war ich wie ausgewechselt, und es scheint wahr zu sein, was ich einmal gelesen hatte: daß in jedem Menschen das Böse nur schlummert und darauf wartet, geweckt zu werden.
Der Kapitän kam zu mir, war ganz freundlich und redete mir ins Gewissen; ich trüge doch das ganze Vertrauen des Herrn Gaadje, dem es sehr schlecht ginge, für den von dieser Fahrt alles abhinge. Ich sollte doch Vernunft annehmen und die Tarahita zum Teufel fahren lassen, sonst werde es mir Ehre und Leben kosten. Er sprach so mild und väterlich, daß ich in Tränen ausbrach und dem Kapitän auch Besserung in die Hand versprach. Da drückte er mir die Hand und sagte, zum Zeichen, daß er mir glaube, hebe er meine Haft auf.
Als ich aber hörte, daß er übermorgen Charlestown anlaufen und die Tarahita ausboten wolle, war meine ehrliche Reue wie fortgeweht. Die Tarahita ausboten? Nein! Es ist sehr schlimm, für einen Mann, wenn ihm ein paar Weiberaugen Herz und Verstand verbrennen. Aber ich will durch diese Bemerkung meine Schuld nicht verringern.
Am Abend nahm ich mir Flottweger beseite, verriet ihm, daß ich einen Goldschatz in meiner Kajüte habe und versprach ihm und der Mannschaft eine der acht Kisten, wenn sie den Plan des Kapitäns zunichte machen würden. Ich war ohne Besinnung, wußte nicht, was ich tat, und legte Feuer an mein eigenes Haus. Mein ganzes Streben war nur darauf gerichtet, die Tarahita wieder für mich zu haben.
Zwei Tage später – ich saß in meiner Kajüte und verzehrte mich in Sehnsucht nach meiner Geliebten – wurde plötzlich die Tür aufgestoßen. Flottweger erschien mit zwei anderen, einem recht wüst aussehenden Portugiesen und einem Kerl, der mich mit seinen langen Armen, seinem Schädel ohne Stirn, aber mit mächtigen Kiefern und dem struppigen roten Bart an einen Gorilla erinnert hatte. Alle schienen angeheitert zu sein und Flottweger schrie mir zu: „Heraus jetzt mit den goldenen Zwetschgen. Der Kapitän beißt keine Jungfer mehr!“ Und hinter ihnen stand lachend die Tarahita und ließ ihre Augen blitzen.
Ich erschrak. Es war nicht daran zu zweifeln, daß die Kerle den Kapitän umgebracht hatten. Plötzlich sah ich meine abscheuliche Tat in aller Deutlichkeit. Ich war Spießgeselle von Mördern und Räubern geworden. Schützend stellte ich mich vor die Eisentruhe, die das mir anvertraute Gut enthielt. Aber schon stieß mich Flottweger beseite. „He du“, brüllte er, das gibt es nicht. „Da hast du deinen Schatz“ – und schleuderte mir Tarahita zu – „und nun zahl!“
Aber ich wußte, daß sie ohne meinen Schlüssel des Eisenkastens nicht würden Herr werden können. Und sie hatten keine Ahnung von dem Schlüssel. So lachte ich höhnisch, als ich sah, wie sie sich vergebens an dem Behältnis versuchten. Aber die Tarahita rief: „Wozu wollt ihr euch die Finger abbrechen? Auf seiner Brust hat er den Schlüssel zur Schatzkammer!“ Und lachend drehte sie sich vor mir auf einem Bein um sich selber, daß die Röcke flogen.
Mein Widerstand war zwecklos. Flottweger stieß mir die Faust vor die Stirn, daß ich zusammenfiel. Als ich zu mir kam, war die eiserne Truhe verschwunden und ich hörte von oben, wie die wüste Bande ihren Sieg feierte mit Grölen, Schreien, Singen und Fluchen. Dazwischen klang eine Harmonika und ich schloß aus den Zurufen der Männer, daß die Tarahita tanzte.
Dann kam Flottweger und eröffnete mir, in einer Stunde würde man mich im Langboot aussetzen mit Proviant und Seegerät. Und hoffentlich würde ein Schiff mich aufnehmen.
„Dann seid ihr geliefert – ihr Hunde!“ so schrie ich.
„Nur nicht so maulauf, Junker!“ lachte Flottweger. „Wir haben uns schon vorgesehen, daß Ihr uns nicht könnt den Seiler übern Hals schicken!“ Damit ging er und ich schrieb dieses nieder, um ins Ungewisse Kunde von meinem Geschick zu geben. Denn ich zweifle nicht, daß sie mich umbringen werden!
* * *
Ein paar Wochen später fischte eine Brieg ein kieloben schwimmendes Langboot auf, das ein großes künstliches Leck zeigte. Es hatte offenbar zu dem Dreimaster „Olga“ gehört, wie aus dem gleichen Namen am Bug zu sehen war. Von der „Olga“ selbst hat man nichts wieder gehört oder gesehen. Sie ist verschollen. Da sie nicht versichert war, mußte P. Gaadje Konkurs anmelden und kam wegen Betruges unter schimpfliche Anklage.
Sonderbarerweise soll aber Tarahita – doch das ist für unsere Geschichte ohne jeden Belang.