Yoshiwara von Alfred Polgar


Der „weiße Mann“ hat, er erzählt es selbst, so gierig nach dem Leib seiner weißen Frau begehrt, daß deren Seele ihn von sich stieß. Deshalb geht er, zwecks Betäubung, auf Lustfahrten, deren eine ihn nach China führt, ins „Haus der Laster“, wo die schöne Si-Shi jedes Verlangen gehorsam stillt, denn sie ist eine Dirne und hat keine Seele — meint Er, der weiße Mann.
Eben da er die Chinesin, die an seinem schwermütig-bittern Wesen Gefallen findet, in stürmische Arme schließen will, erscheint der „gelbe Mann“, der das nicht leiden mag und dem Weißen ein Taschentuch vor die Nase hält, worauf dieser in Schlaf und Traum versinkt. Warum der Gelbe so tut? Teils aus Eifersucht, teils als Rassenschützer, teils aus Schlechtigkeit, vor allem aber aus nackter Dämonie. Im Traume sieht der Weiße sein fernes Weib, das sich dem Prinzip der Lust, verkörpert durch einen Earl im Frack, ergeben hat, und er sagt ihr auf den Kopf zu, daß in ihr die Seele der chinesischen Dirne sei, die in jener nicht sei (wie er meint). Auch hier, nach längerer Dialektik über Leib und Seele, kommt es zum fast Äußersten, kommt es dahin, daß, im Modernen Theater, Fräulein Lotte Klinder eine plötzliche Seidenkombination aus dem Wäschehaus Franzi Bick, der Störer, und zwar in Gestalt jenes Earl. Die Figuren des Traumes sind, das brauche ich wohl nicht zu sagen, in europäischer Maske die Figuren aus dem Yoshiwara, werden auch von den gleichen Schauspielern dargestellt. Im dritten Bild erwacht der weiße Mann aus der Betäubung, langweilt und beleidigt die arme Chinesin mit geschwollenen Redensarten, glaubt, er sei noch bei der Weißen, sagt, Dirnen seien Gossen (was ihr in der Seele, die sie nicht hat, weh tut), und wird zum Ende von dem gelben Mann erschossen, worauf das Leben im Yoshiwara seinen gewöhnlichen kommerziellen Fortgang nimmt.
In diesem Spiel von Hans Bachwitz geht es um den Dualismus von Leib und Seele bei Damen. Soweit in dem Nebel, den es mit orientalischem Räucherwerk und europäischer Pathetik macht, ein Sinn des Spiels zu erkennen, ist es der, daß es mit jenem Dualismus doch eigentlich Essig ist. Und der Mann, der die pure Seele oder den puren Leib begehrt, wird, wegen Beleidigung der Majestät Natur, straffällig. In jeder Dirne steckt was Heiliges, in jeder Heiligen etwas Dirniges, wie in jedem weißen Mann auch ein gelber steckt, in jeder Wahrheit eine geheime Lüge und in jedem Dichter ein Schmock. Die Sprache des Stückes ist sehr getragen und überrascht durch Wendungen, die zu groß sind für den Gedanken, den sie ausdrücken. Zum Beispiel der Satz: „Du hast ihn gemordet, mehr noch, du hast ihn fast getötet.“ Also das sind Nuancen. Auch die Wendung: „Die bunten Papiere der Bank von England“ scheint anfechtbar. Wie mir aus Märchen und vom Hörensagen bekannt, sind die Papiere der Bank von England weiß und ihr Text schwarz, und wer sie hat, der hat es schwarz auf weiß, daß er was hat.
Hans Brahm, dem Regisseur, sind die stimmungsvollen, schönen Bühnenbilder zu danken. Herr Paul Otto ist als bleicher Earl fast noch unheimlicher denn als gelber Bordellwirt.
Herr Otto spielt den weißen Mann mit aller Zartheit und Heftigkeit der Empfindung und des Ausdrucks, die er an jede Rolle vergibt. Fräulein Klinder hat bestimmt Seele. Ihr Schrei „Ich bin eine Dirne!“ weckte — a contrario — schmerzhaft den Gedanken, was für ein entzückendes Cabaret in diesem Modernen Theater zu machen wäre.
Anmerkung:
Die beiden Schauspieler der Inszenierung, Paul Otto und Charlotte Klinder, waren verheiratet. Als die bis zunächst geheim gehaltene jüdische Herkunft von Paul Otto bekannt wurde, beging das Ehepaar 1943 Selbstmord.