dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Die Göttin auf der Balz
Altes Theater Leipzig
Leipziger Tageblatt vom 03.08.1925, S. 2

Ans Ende der klassischen Woche – Goethe, Schiller, Kleist usw. – fügt man Hans Bachwitz. Wie man im Zirkus auf die großen Exzentriks den Clown folgen läßt. Bitte: Es gibt ausgezeichnete Clowns, wundervolle Burschen, die besser sind als alles, was Trapez klettert und Todesschaukel schwingt. Im Sommer freilich nimmt man es mit der Klassifizierung nicht so genau. Und es ist immer noch Sommer. Und dann bedeutet alles, was das Theater in den Hundstagen herausbringt, gewissermaßen ein Geschenk, weil niemand eigentlich etwas erwartet. Und jetzt meinen Sie: einem geschenkten Gaul . . .? Seien wir ruhig ein bißchen unanständig, besehen wir uns ein klein wenig die Zähne, und wie es mit der Karies steht und wie um das Wiehern und die Verdauung.
Alles in allem: schlecht! Ein überaus bejahrtes Tier, das schon so oft – es dürfte schier zum Jubiläum reichen – aus der Musenbox gezogen wurde, versteht sich: von verschiedenen Jockeis und unter verschiedenen Namen. Heinrich Mann nannte es „Schauspielerin“, Brod „Klarissas halbes Herz“, Sternheim „Der Nebbich“. Dieser und „Die Göttin auf der Balz“ scheinen sogar aus einem Gestüt zu stammen, unterschieden nur durch die königlichen Male, die den Araber vom Leipziger Droschkengaul unterscheiden. Wobei der Droschkengaul keineswegs „Nebbich“ heißt. Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt.
Also da haben wir wieder einmal die Diva und den Parsifal. Grüß Gott und die Kunst. Die Diva ruiniert die Männer zur höheren Ehre des eigenen Ichs. Der Persifal ahnt nichts vom Weibe, obwohl es wenig mehr als eine Kombination an hat (wie sagt so sinnig der Poet: „Noch einen Schritt und se is draußen!“). Er braucht also für den Spott der Mitwelt und des Parketts nicht zu sorgen. Dann ist da eine Lokomotive, die einen Defekt hat – heutzutage, wo eine Diva im Auto fährt. Jedenfalls das Schicksal als Kuppler: denn der Bahnhofswirt, das ist eben der Parsifal. Just! Und zugleich ein Dichter, und dann ein Hahnreih und vieles andere, z. B. der dichtende Bahnhofswirt Ernst Zahn in Göschenen nicht ist. Die Diva und ihre griffbereite Sinnlichkeit einerseits, der Bahnhofsparsifal und sein etwas polyklinisches Drama von der „Blauen Lilie“ andererseits erzeugen den tragikomischen Konflikt, der mit einer Platzpatrone explodiert. Ganz recht: ernsthafte Revolverschüsse gehören im Sommer nicht auf die Bühne. (Das ganze Stück ist eine feuchtgewordene Platzpatrone.) Und danach ist der Parsifal aber schon gar kein Parsifal mehr, sondern ein Pojatz, ein ganz gewöhnlicher Hanswurst. Und dann fährt die Diva weiter. Das hätte sie gleich nach dem ersten Akt tun sollen. Denn der zweite ist eine rethorische Verlegenheit, der dritte ein sentimentaler Tusch hinter drein.
Herbert Hübner als Regisseur mußte den Ballon aufblasen. Er tat es mit Anmut und Temperament und setzte selbst einen smarten Geschäftsreisenden vom imponierender Schnoddrigkeit hin. Schade, daß er nach Hamburg geht. Er war hierorts fast der einzige, der die schauspielerische Kraft hatte, immer ein anderer zu sein, ohne unter der Maske die Persönlichkeit zu verlieren. Es kommt im Augenblick gewiß nicht auf die ewige Problemfrage an, wieweit vor oder hinter der Maske ein Schauspieler erkennbar bleiben soll, und ob überhaupt. Aber: die Stufungen müßen da sein, eine unablässig wechselnde Dynamik. Hübner bewies beides: sein Warwick (Heilige Johanna) und sein Professor (Tote Tante) bedeuten eine sehr große Spannung. – Die Diva müßte, um über die Schablone hinaus zu kommen, einen tüchtigen Teufel im Leib haben. Dafür ist Martina Otto zu weich, zu plauschig. Man soll ihr Schnitzler zu spielen geben, Wertvolleres. Dennoch rettete sie vieles für die Aufführung, bei der ihr kaum wohl zumute war, durch den Singsang ihrer Sprechkoketterie. Sie gaukelte, war aber kein Biest. Nein, sie soll bessere Rollen spielen, genau so wie der arme Hans Zeise-Gött, den man als Parsifal wieder einmal in die Zwangsjacke einer zweitrangigen, stumpfen Rolle geschoben hatte. Er hatte nicht einmal einen Typus von Wicht vor sich, sondern einen farblosen Fadian. Schlageter mußte der Welt erzählen, was es auf sich hat, wenn man einer Frau hörig ist. Solche erzwungenen Expektorationen stehen keinem Mann gut. Die rustikale Frische, mit der Grete Kaiser die Gattin des Parsifal ausstattete, tat wohl.
Wie heißt es doch so schön: das Publikum kargte nicht mit dem Beifall. Der Autor durfte sich zeigen und für einen Erfolg bedanken, an dem er – außer den Tantiemen – knapp fünf Prozent Anteil hat.
M. K.