dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Altes Theater Leipzig
Henkersmahlzeit von Hans Bachwitz
Leipziger Tageblatt vom 25.05.1924, S. 4

Man könnte gewiß mit einigem Recht darauf hinweisen, daß es nicht zu den wesentlichen Aufgaben des Städtischen Schauspiels von Leipzig gehört, dicke Reißer in 3 Akten zu spielen. Aber es ist eine der schon früher hier aufgedeckten Eigentümlichkeiten unseres schriftstellerisch so außerordentlich fruchtbaren Mitbürgers Hans Bachwitz, daß bei ihm der Sketch immer mindestens drei Akte hat. Wir tragen die Schrecken des japanischen Freudenhauses von „Yoshiwara“ hier noch in frischer Erinnerung. Und sind deshalb gegen den neuen Dreiakter, der sich stolz ein Schauspiel nennt, zu herzlicher Milde gestimmt. Es ist Sommer, es ist heiß, ein Leipziger Theater, ein Leipziger Autor, ja, ein Autor, zu dem man als Kritiker in geradezu vertrauter polemischer und sogar prozessualer Beziehung steht.
Also unser Rechtsvertreter und Literaturvertreter hat es diesmal viel, viel besser gemacht. Ohne Beschönigung, die lautere Wahrheit: es gibt einen Aufstieg von „Yoshiwara“ zur „Henkersmahlzeit“. Gewiß, unser Bachwitz treibt wieder mit Entsetzen Scherz, das kann er nicht lassen. Aber diesmal treibt er seinen entsetzlichen Scherz im eigenen bürgerlichen Berufsmilieu, wo er sich auskennt. Mitten in der blutigsten Jurisprudenz.
Freilich hat offenbar der tüchtige Rechtsanwalt dem tüchtigen Autor nicht den Spaß – mit dem Entsetzen – verderben wollen. Er hat ihm nicht gesagt, daß niemand wegen offenbaren Totschlags aus Eifersucht zum Tode verurteilt wird; er hat ihn nicht darauf aufmerksam gemacht, daß Gerichtspräsidenten in keinem Land der Erde, wenn sie sich an ihren treulosen Maitressen rächen wollen, zu diesem Zwecke sich geisteskranker, ehemals jedoch regierender Herzöge bedienen dürfen. Uebrigens ist der Fall so kompliziert, daß vielleicht nur unser juristischer Laienverstand versagt. Vielleicht war es versuchter Totschlag an einem gekrönten Haupt, der auch dann mit dem Tode bedroht ist, wenn man selbst eben durch die Bemühungen des gekrönten Hauptes ein gehörntes Haupt geworden ist. Vielleicht bedient sich der Gerichtspräsident gar nicht des verrückten Herzogs, sondern dient ihm vielmehr mit seiner Maitresse. Er benutzt nur die günstige Gelegenheit, um diese große Kokotte, die sich nach wahrer Liebe sehnt, – na, wonach sehnen sich denn alle großen Kokotten? -, mit einen Irrsinnigen zusammenzuführen, den sie (weitere Verschärfung) erst für einen vom Tode bedrohten Verurteilten hielt. Daher der Name: Henkersmahlzeit.
Diese Name ist ebenso fein- wie doppelsinnig. Denn es ist eine Henkersmahlzeit der Liebe für die große Kokotte, die sich am Schluß des dritten Aktes nach einigen Redensarten, die von unbegründeten Tiefsinn erfüllt sind, vergiftet.
All das miteinander, Henkersbeil und Gift und Irrsinn, Rache, Rettung und Verführung, verschwenderisch ausgestattet von Professor Thiersch, erst alles in Rot, dann alles in Gelb, die Farben von Blut und Wahn; mit guten Spielern von Kronacher in starken Tempo betrieben, ist eine durchaus spannende Abendunterhaltung. Sommer, Ferien, Mitbürger, Wohlwollen. Wenige Zischer.
(Rudolf) Fernau macht den verrückten Herzog, der sich selbst für den Verurteilten hält, mit einer zappeligen, geradezu zackigen Ausdruckskunst, die nur selten ins Theatralische abgleitet, in einem halbironischen Marionettenstil. Frau (Martina) Otto (verh. Morgenstern) nimmt ihre Sache vielleicht ein bißchen zu feierlich – das hat der Autor verschuldet -, aber sie vermischt die dicken Sachen sehr nett mit Ausbrüchen von heiter-vulgärer Deutlichkeit.
Außerdem war (Carl) Huths biedermeierlicher Irrenprofessor zu bemerken, und fast nicht zu erkennen war (Hans) Zeise-Gött in einer glänzenden Freund-Hein-Maske als überaus dämonischer Gerichtspräsident.
Hans Georg Richter

Landestheater Linz, Kleine Bühne
Die Henkersmahlzeit
Tagblatt vom 11.01.1925, S. 11

Die Henkersmahlzeit (Ein Spiel in 3 Bildern) ist insofern eine kleine Ueberraschung, als sich ihr Autor Hans Bachwitz zum ersten Male von ernster Seite präsentiert. Bisher kannten wir ihn nur als geschickten, geschäftskundigen Spaßmacher. Allerdings, ganz ernst ist auch „Die Henkersmahlzeit“ nicht zu nehmen: sie tut nur so! Ein Kinostück mit zwei oder drei Paraderollen um das Thema Leben und Lieben herum, mit etlichen weichen Stimmungen und psychologischen Versuchen garniert. Verblüffend ist nur die Lösung: „Er“ und „Sie“ betrügen den Präsidenten, sind aber zum Schlusse die betrogenen Betrüger, denn – „Er“ ist der wahnsinnige Herzog, der die Rolle eines anderen, zum Tode Verurteilen lebt und „Sie“ bloß das Werkzeug einer servilen Knechtseele, die aus Untertanenstumpfsinn zu allem bereit ist.
Der Dialog ist auf der Mittellinie zwischen geistreicher Causerie und banalem Geplätscher gehalten, die Charakterisierungskunst erreicht stellenweise eine sehr anerkennenswerte Höhe.
Die Aufführung mühte sich um die viel auf Blendung berechnete Neuheit ganz redlich und verhalf ihr zu einem Sympathie-Erfolge, den sie bei genauerem Zusehen und Hinhorchen nicht verdient. Die Hauptrollen arbeiteten Herr Otto Stenzel und Fräulein Alice Koch mit Sorgfalt und Hingebung heraus. Ihr Spiel trug aber die Note einer zu sehr äußerlichen Virtuosität, wozu wohl das Stück den Hauptanlaß gibt. Beide Kräfte bekundeten ihre Vielseitigkeit und Routine neuerdings, doch wäre noch ein tüchtiges Stück Weges zu einer gewinnenden, lebenswarmen Verinnerlichung zurückzulegen. Herr Biegler dafür sprach zwar wenig, aber lebte ganz. Sein steifer, vom hohen Dienste durch und durch erfüllter, zeremoniell-serviler Präsident war eine Prachtleistung. Alles übrige hielt gut durch. Das Publikum dankte warm für den Abend.
K.