dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Salzburger Landestheater
Die javanische Puppe
Salzburger Volksblatt vom 19.10.1922, S. 4 f.

Im ersten Akt macht der Assessor Dr. Schirrmeister, gerade in dem Augenblick, wo er meint, sein ganzes Leben wäre in allerschönste Ordnung gebracht, die überraschende Wahrnehmung, daß seine Ehe in Unordnung ist. Überraschend ist diese Entdeckung darum, weil sich der Assessor gerade auf der Hochzeitsreise befindet; man wird zugeben, daß solche Erkenntnisse in einer Ehe gewöhnlich erst in einem späteren Zeitpunkte einzutreten pflegen. Die Wirkung ist gräßlich.  Man denke sich einen scheugewordenen Paragraphen , und man hat das Bild des aus Rand und Band gebrachten Assessors. Im zweiten Akt will er, der, wie jeder Mann in solchem Fall die Wahrheit nicht vertragen kann, sich mit dem Manne schlagen, der ihn mit einer Frau betrog, die damals eigentlich noch gar nicht seine Frau war (ein delikater juridischer Fall). Da Lustspiele aber so einfach nicht zu verlaufen pflegen, lommt in der Mitte dieses Aufzuges die erwartete Komplikation. Sie besteht darin, daß die ganze Geschichte von hier an eigentlich umgedreht wird: denn durch Anwendung der indirekten Methode (um zu erfahren, worin diese besteht, muß man sich schon in das Stück bemühen), kommt Frau Agnate dahinter, daß auch sie betrogen wurde, und zwar auch schon vor der Ehe. Hier, angesichts solcher Häufung von Sünden, standen die Autoren eigentlich vor der Wahl, ob aus ihrem Stück nicht eine Tragödie werden solle. Sie fanden den lustspielmäßigen Ausweg dadurch, daß der Assessor und Frau Agnete es selbst waren, die sich vor der Ehe miteinander betrogen; was den Fall zwar juristisch noch mehr kompliziert, menschlich aber löst. Indem Agnete im Kostüm jener schwülbetörenden Nacht, als javanische Puppe, vor den Gatten tritt, wird das befriedigende Schlußtableau gefunden. Bemüht haben sich um dieses dramatische Elaborat die Herren Rudolf Lothar und Hans Bachwitz. Wobei ich mir die Arbeitsteilung so denke, daß von Lothar die drei oder vier guten Witze stammen und von dem unbekannten Bachwitz, der die zweite Hälfte seiner Namens zu Unrecht führt, alles andere. Die Frage, ob man eine Ehe auf Wahrheit aufbauen soll, bleibt offen. Beantwortet wird die zweite, daß dieses „Spiel zwischen Ernst und Scherz“ weder das eine noch das andere enthält.
Gespielt wurde mit sehr viel Temperament und Laune, und das Schauspiel-Ensemble, daß man hier eigentlich zum ersten Male beurteilen konnte, weckte einen sehr guten Eindruck. Daß wir Frl. Zöller wieder begrüßen dürfen, macht besondere Freude: ihr Charme, ihr vortreffliches Spiel, ihre hohe Begabung werden ihr auch heuer wieder eine schöne Stellung zuweisen. Ihre Agnete war eine ihrer liebenswürdigsten Leistungen. Als ihr Partner tobte Störmer in einem Furioso der Eifersucht über die Bühne: er bewies, daß wir es mit einem routinierten und verwendbaren Schauspieler zu tun haben. Lampert ist ein exzellenter Mimiker und drolliger Gestalter. Er müßte ein ausgezeichneter Striese sein – womit denn Blasel auf den lange nicht gespielten und gewiß kassenfüllenden „Raub der Sabinerinnen“ hingewiesen sei. Endlich (Franz) Massarek in der Rolle des Tigers, der keiner ist: gut und mit Humor gespielt. Aus dem Stücke wurde geholt, was es hergab.
R – r.

Stadttheater Bielefeld
Zum ersten Male: Die Javanische Puppe
Westfälische Neueste Nachrichten vom 20.02.1924, S. 2 f.

Nichts und niemand wird mich veranlassen, über Herrn Rudolf Lothar ein Wort zu verlieren.
Das Theaterbüro hat die Autoren der „Javanischen Puppe“ mit dem Erlaß einzuführen versucht, daß sie literarischen Ruf durch Verfassen bekannter Lustspiele erlangt hätten, und ist damit der Wahrheit bemerkenswert nahe gekommen. Tatsächlich nämlich besitzt Herr Lothar einen solchen literarischen Ruf, daß er sich um eine ernsthafte Kritik, sich noch mit ihm zu befassen, zu bewegen hinter quasi-erotische Pseudonyme wie „Lorenzo Acertes“ und „Angelo Cana“ verkriechen muß. Auch sind die Motive seiner Lustspiele aus den ältesten, schlechtesten französischen Schwänken Hennequins, Verneuils, Bevers hinreichen bekannt. (Wir haben allerdings diesen Erlaß des Theaterbureaus unseren Lesern unterschlagen; er schien doch die Möglichkeit des Mißverständnisses zuzulassen.)
Ueber den anderen Autor, Hans Bachwitz, begnüge ich mich mit Zitaten aus meinen eigenen Kritiken über sein Lustspiel „Galante Nacht“ in der B. Z.: „er ist von einer nicht zu bestreitenden theatralischen Begabung; besitzt Sprachflüssigkeit, Präzision, Ausdruckseinheit; seine Gestaltungskraft ist aber ganz gering. So beschreibt er amüsant, bühnenwirksam, kein Lustspiel in dieses Wortes tiefster Bedeutung, sondern eine literarisch belanglosen Schwank; und der über sein (bestes) Theaterstück „Joshiwara“ in der Kreuzzeitung: „Mangel großen Formats; der Ausgestaltung der Idee; der Steigerung ins Letzte; der Ausschöpfung, also der Schöpfung. Daraus ist dem Autor ein Vorwurf zu machen, weil er mehr kann, als er gibt und sich mit einem billigen Theaterstück begnügt, wo er das Gerüst eines Dramas schon aufstellt.
Von den guten Seiten Bachwitzs findet sich in der „Javanischen Puppe“ nichts. Das Verhältnis der Verfasser zu ihrem Machwerk, daß Lothar die sexuellen und Bachwitz – Rechtsanwalt in Leipzig – die juristischen Pointen lieferte. Die Pointe des ersten Aktes ist der Zweifel, den der Zuschauer erschüttert erlebt: Wird ein Staatsanwaltsaspirant einem Decolletée widerstehen oder nicht? Der zweite Akt variiert den Witz in den Nackenkuß eines Schwerenöters. Hiermit war aber die Phantasie der Dichter erschöpft, und so blieb ihnen nichts übrig, als sich erprobter Requisiten zu bedienen: des Telephons, des Klaviers und eines Faschingskostüms, das in diesem Fall der Kleidung, welche die gemalte Nubierin auf Zigarettenschachteln trägt, aufs Haar glich. Die Handlung wird fortbewegt durch Pochen an die Tür und rechtzeitiges Eintreten Unbeteiligter, durch unvollendete Sätze im Stile von „Sollte er – -?“, bei Seite spielen, bei Seite lachen, und „Kontakt“ mit den Zuschauern. Also handelt es sich um die übelste Spekulation auf die schlechten Instinkte eines minderen Publikums (das, wie die Sonntags-Aufführung des „Fürsten von Pappenheim“ bewies, die Kassen des Theaters doch nicht füllen wird).
Das Maß der Darstellung überragte Adolf Walther, nützte die geringen Möglichkeiten dieses Konversationsstückes, gegen den der „Fürst von Pappenheim“ ein Genuß war, und blieb wenigstens nicht auf jeder Pointe eine Viertelstunde sitzen. Das besorgt vielmehr Herr Hugemann – ich kann Ihnen nicht helfen, Herr Hugemann! – aufs ausgiebigste. Gret’l Margreiter, wenn man sie nicht noch rechtzeitig an ihrem Apostroph erwischt, wird auf diese Weise vollständig zu Grunde gerichtet werden.
Die Inszenierung besorgte Hans Abrell, wovon man nichts merkte, und worum er nicht zu beneiden ist. Sehenswürdigkeiten für sich waren der italienische Himmel im ersten und das schummrige Rot des dritten Aufzugs.
Man ist gutmütig genug, trotzdem man „die Weise, den Text und die Herren Verfasser“ kennt, diesen Theaterabend selbst zu erleiden und darüber zu schreiben. Aber, um lediglich Stilübungen zu machen – wozu allein ein solches Stück Anlaß bietet – ist man doch nicht Kritiker.
Die Hinweise, die hier zu Aufführungen in der übelsten Weise abgefaßt werden, hat man, weil sie ihrer Art nach ins Feuilleton gehören, erst ihrer marktschreierischen Wendungen befreit; als das nichts fruchtete, flogen sie aus dem Feuilleton hinaus. Die Besprechungen solcher Premieren werden bald nachfolgen.
Die Verantwortung für diesen Schmarren trägt die Vertriebsstelle; wahrscheinlich der Dreimaskenvertrag (sic!), also ein Geschäftsunternehmen, das anzugreifen hier sinnlos wäre. Wer aber trägt die Verantwortung für die Aufführung? Wer wählt dieses Stück aus und setzt es auf den Spielplan? Wer unterschreibt den Vertrag mit dem Bühnenvertrieb?
Man ist, vorsichtig und leidenschaftlich, bemüht in dem beschränktem Raum weniger Feuilletonspalten dieser Tageszeitung der ernsthaften Literatur Geltung zu verschaffen; die Bekanntschaft mit junger Dichtung zu vermitteln, Verständnis für das neue Drama – dies mit Hinblick auf das Theater – zu erwecken (weil man der Ueberzeugung ist, daß die Lebenden das Recht auf die Bühne haben): und der schlimmste Feind solcher Bestrebungen ist das Theater.
Dr. Lh.

Stadttheater Bielefeld
Mittwoch, 20. Februar: Die javanische Puppe
Westfälische Zeitung: Bielefelder Tageblatt vom 21.02.1024, S. 2

Nach dem „Fürsten von Pappenheim“, der letzten Novität dieser Spielzeit, wirkt die „javanische Puppe“, deren Erstaufführung in unserem Stadttheater der gestrige Abend brachte, einigermaßen versöhnend; trotz ihrer Anspruchslosigkeit.
Ein Spielleiter hat es auf der Suche nach einem guten modernen Lustspiel in der Tat nicht leicht. Sein Blick durchschweift dabei eine Wüste und nur zu oft stellt sich die selten genug am Horizont hoffnungsvoll auftauchende Oase auch noch als eine – Fata Morgana heraus.
Auch die „javanische Puppe“, die die zwei bekannten Lustspielschreiber Rudolf Lothar und Hans Bachwitz zu Verfassern hat, kommt über das gewohnte Niveau nicht hinaus. In der Zugespitztheit des Dialogs zeigen sich manchmal gute Ansätze, die auch ernsteren Ansprüchen genügen können und an Fuldas Dialogführung erinnern. Die sprachliche Form ist nicht immer originell genug, um all bekannte Lustspiel-„Wahrheiten“ neu genug erscheinen zu lassen. Doch ist der Dialog die immerhin stärkere Seite des Lustspiels.
Die Handlung ist für drei Aufzüge zu dürftig, nachdem schon im ersten Aufzug das Geheimnis der javanischen Puppe für den Zuschauer ein – offenes Geheimnis ist. Der Assessor Dr. Schirrmeister sucht sein Liebeserlebnis mit einer als javanische Puppe maskieren Dame auf einem exotischen Nachtfest durch eine Heirat mit einer jungen Dame aus bestem Hause zu vergessen. Als die junge Frau ihrem Mann unmittelbar nach der Hochzeit ihre „Vergangenheit“ eingesteht, beschließt der junge Ehemann die Scheidung. Im dritten Aufzug eröffnet endlich die Frau ihrem Manne, das Geheimnis, das für die Zuschauer keins mehr ist: Sie selbst war die als javanische Puppe maskierte Dame, der ihres Mannes Liebe gilt; das ist ihre „Vergangenheit“.
Eine Aufführung dieses Bachwitz-Lotharschen Werkes muß ihr Hauptaugenmerk auf eine gute Durchführung des Dialogs richten, wenn sie dem Spiel eine gute Wirkung sichern will; sie darf es umso unbesorgter, als der Dialog selbst gewisse Vorzüge aufweist. Dieser Aufmerksamkeit konnte sich der Dialog bei der gestrigen Widergabe nicht immer erfreuen. Die über ihn reichlich verstreuten Pointen, soweit sie nicht in mehr oder weniger originellen Witzen bestehen, hätten sich durch eine sorgfältigere Sprachbehandlung noch besser herausarbeiten lassen. Das gilt für Willy Schuchardt, dessen im übrigen annehmbare Darstellung des Herrn v. Frustra ihren stärksten Moment in der Abgangsszene im zweiten Aufzug hatte. Das gilt auch für Walther Ottendorf, unter volle Würdigung seiner guten Verkörperung des korrekten, allzeit auf Haltung bedachten Strebers Dr. jur. Schirrmeister. Gretl Margreiter (verh. Walther, 1892-1980) bot als männerkluge, weltfrohe Frau Agnete eine gute Leistung. Gut war auch Willy Hugemann als der jede Situation gleich erfassende „Ober“.
Die Regie führte Hans Abrell. Seine Bühnenbilder waren geschmackvoll gewählt.
Regie und Darstellern dankte ein gut besuchtes Haus.
drp.

Landestheater Linz
Linzer Volksblatt vom 09.08.1931, S. 6

Die beiden Theaterabende brachten ganz nette Sachen.
„Die javanische Puppe“ von Rudolf Lothar und Hans Bachwitz ist ein amüsantes Stück, das, flott gespielt, bestimmt einen guten Eindruck machen kann.  Besonders neu sind ja die Witze des Herrn Bachwitz nicht, aber die Handlung ist ziemlich originell. Ein preußischer Assessor macht mit seiner Frau eine Hochzeitsreise nach Venedig. Paragraphen und Karriere sind kein Gesprächsstoff auch seiner jungen Frau gegenüber. Er erzählt, daß er vor Jahren auf einem Kostümball eine Maske (javanische Puppe) getroffen habe und diese kurze Liebesepisode eigentlich das stärkste Erlebnis seiner Junggesellenzeit sei. Trotz aller Nachforschungen habe er diese Dame nie wieder gesehen. Auch Agnete, seine Frau, macht ihm in dieser Plauderstunde das Geständnis, daß auch sie einmal ein wirkliches Erlebnis gehabt habe. Dies genügt dem strengen Paragraphenritter, um sofort die Hochzeitsreise aufzugeben und in aller Ruhe die Trennung der Ehe mit seiner Frau zu veranlassen. Eine köstliche Rolle spielt bei der weiteren Entwicklung des Stückes der Detektiv Hiob, den Burgschauspieler Viktor Braun glänzend mimte und sich mit dieser Episodenrolle reichen Beifall holte. Schließlich nach verschiedensten Verwicklungen stellt sich heraus, daß des Assessors Dr. Schirmeisen junge Frau und die javanische Maske identisch sind und Agnete nur dieses Erlebnis erzählte, um den strengen Paragraphenritter auf die Probe zu stellen. Die Hauptrollen waren mit Burgschauspieler Wilhelm Heim und Lola Urban-Kneidinger (Reinhardtbühne Wien) ausgezeichnet besetzt. Die undankbare Rolle des Herrn von Frustra gestaltete Eduard Volters mit gutem Geschmack. Verfehlt in Spiel und Maske war der Diener Giovanni Fritz Müllers.