Anlagen
Breslauer Operette
„Die Diva auf Reisen“ in Breslau
Erschienen in: Berliner Börsen-Zeitung vom 03.12.1930, S. 14
Uraufführungen an der Breslauer Operette sind eine große Seltenheit. Seit das „Schauspielhaus“ zu Beginn der vorigen Spielzeit ein Zweigunternehmen der Rotters in Berlin geworden ist, ist „Die Diva auf Reisen“ die erste Uruafführung. Ihr Komponist ist ein geborener Breslauer, Kurt Zorlig.
Man braucht der heutigen Operettenproduktion nicht gerade kritisch gegenüberzustehen, um bei diesem Erzeugnis jeden überalltäglichen Wert zu vermissen. Die Musik enthält ihre landläufigen Schlager, die auf Orginalität verzichten. Sie ist nicht schlechter, aber bestimmt auch nicht als die jazzfreie Operettenmusik der letzten Jahre. Und dazu verschwendet sie sich an eine Handlung (nach Hans Bachwitz von Eugen Rintelen und Alfred Breger), der nach einem ganz lebendigen Ansatz der Atem ausgeht. Zuerst hofft man, wenn sich der Vorhang über der Diele eines Kurhotels in einem österreichischen Badeort hebt, es wird so eine mondän-idyllische Mischung von Vicki Baums „Menschen im Hotel“ und „Im weißen Rößl“ werden. Das gäbe gewiß die nötigen Spannungen und Entladungen für eine moderne Operettenhandlung: die große Diva, die ein Defekt des Orientexpresses in das kleine Nest verschlägt, der weltfremnde ortsansässige Dichterling, der lebensnahe Reisende „für alles“ und die abenteuerlüsterne jugentliche Hotelwirting wären auch die Personen, eine solche Handlung in Gang zu bringen. Aber in langsam dahinschleppenden und allmählich versandenden Szenen ergibt sich nur, daß die Diva ihre erste Leidenschaft entdeckt und die des Dichters für sich entzündet, und daß die Hotelwirtin und der Reisende nicht eben unerwartet das andere Paar werden. Ueber diese witzlose Handlung tröstet nicht einmal eine flotte, lebendige Aufmachung hinweg; selten sind mehr als zwei oder drei Personen auf der Bühne. Gäbe es nicht zwischendurch ein paar schnoddrige Bemerkungen des unverwüstlichen Reisenden, alles würde in hoffnungslose Sentimentalität versinken.
Für die Diva und den Dichterling hatte man als Gäste – ein eigenes Ensemble besteht nämlich nur für Nebenrollen – Lori Leux und Kammersänger Serge Abranovic bemüht. Die Diva bot eine gesanglich und schauspielerisch annehmbare Leistung, während Abranovic sich auf sein Schönsingen beschränkte. Aber wenn er seine hohen Töne ins Parkett hinein verhauchen läßt, dann vermag kein Operettenpublikum kühl zu bleiben.
Da auch die anderen Mitwirkenden und das Orchester unter Ernst Sommers Leitung sich redlich um das bescheidene Werk bemühten, kam es in Gegenwart des Komponisten zu dem üblichen, aber für das weitere Schicksal der „Diva auf Reisen“ höchst unmaßgeblichen Uraufführungserfolg.
Rudolf Schäffer