dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Theater am Nollendorfplatz Berlin
Erschienen in: Neues Wiener Journal vom 30.12.1928, S. 11

„Die leichtbekleidete Adele“ von unserem Korrespondenten
Berlin, 28. Dezember
Premierentermin: Erster Weihnachtsfeiertag. Für den erfahrenen Mann bedeutet dieses Datum eine Warnung. Ein Stück, wofür man die Marzipanlaune und das Tannenbaumbehagen in Rechnung stellen muß, das ist, in der Sprache der Berliner Premierentiger, „schon faul“.
Die Pessimisten haben recht behalten. Denn selbst die Spekulation auf die Weihnachtsstimmung hat nichts genutzt. Am Feiertag selbst soll im Theater am Nollendorfplatz durchaus nicht Friede auf Erden geherrscht haben, den Menschen ein Wohlgefallen. Im Gegenteil. Die Menschen haben ihr Mißfallen in einer durchaus unfeierlichen, aber desto gemeinverständlicheren Weise, nämlich durch Pfeifen, ausgedrückt.
Da die Berliner Kritiker mit den Theatern einen Gottesfrieden geschlossen haben, der ihnen wenigstens an den Feiertagen Ferienruhe sichert, so haben wir „Die leichtbekleidete Adele“ erst post festum gesehen. Aber wir haben alles verstanden, besonders die pfeifenden Theatergäste. Nur eins war unverständlich, nämlich die Direktion, die mit diesem Stück auf einen Erfolg in Berlin gerechnet hat.
Wenn es mit einem zugkräftigen Titel getan wäre, so wäre Walter Heims Schwank freilich als Sieger durchs Ziel gegangen. „Die leichtbekleidete Adele“! Man braucht kein Lebemann zu sein, um bei diesem Wortklange zu sagen: das ist meine Theaterfreude am Silvesterabend.
Aber es muß grausam festgestellt werden: dieser Titel erweckt falsche Hoffnungen. Der Schwank ist nämlich nicht pikant, sondern klobig, nicht großstädtisch, sondern kräwinklig. Er geht von der Situation aus, daß ein Spießbürger während der Leipziger Messe in ein falsches Hotelzimmer gerät. Dort trifft er die Französin Adele nachts im leichtbekleideten Zustand, um sie zwei Akte später als neu engagierte Gouvernante seiner Tochter in seinem ehelichen Heim wiederzufinden. Was dazwischen liegt, ist die Hochzeitsnacht eines sächsischen Ehepaars, gestört von dem Mann, der die leichtbekleidete Adele im gleichen Hotelzimmer getroffen hat.
Aus diesen Elementen hat Walter Heim einen Schwank gebraut, der einen fröhlich eintretenden Besucher schon nach wenigen Szenen in einen finster grübelnden Melancholiker verwandelt. Keine Geschmacklosigkeit ist ausgelassen worden und ganze Szenen hindurch klammert sich die Erfindungsgabe des Autors an einen Vollbart oder an eine Perücke. Kein Kurtheater, keine Dorfbühne würde sich am Ausgange des Jahres 1926 Zumutungen leisten, wie sie hier an die Bewohner einer Hauptstadt gestellt werden.
Warum ein solches Stück angenommen und aufgeführt wird? Diese Frage ist leicht zu beantworten, und es tut weh, daß die Antwort so leicht fällt. Sie heißt nämlich Max Adalbert. Dieser wahre Herzenstrost von einem Komiker ist nämlich längst Liebling geworden. Daß aber Lieblinge in Berlin nur noch in Strücken ihrer eigenen Wahl auftreten, das ist ein Kummer, der tiefer erschüttert als alle Gemütsbewegungen eines mißglückten Schwankabends.
Doch vielleicht bedeutet „Die leichtbekleidete Adele“, wenn man so pathetische Ausdrücke auf eine Dame ihres Gewichts anwenden darf, einen Wendepunkt. Der Liebling hat wahrscheinlich Annahme und Aufführung erzwungen. Je deutlicher er sich dabei verspekuliert hat, desto kräftiger muß den Direktoren endlich der Rücken gestärkt werden.
Max Adalbert reißt freilich selbst in diesem Schwank für Augenblicke hin. Seine Suada, sein durch nichts lahmzulegendes Berliner Mundwerk wirkt doppelt komisch, wenn Adalbert anfängt, französisch zu sprechen. Aber die Fesseln dieses Dialogs bedrücken selbst seinen Geist so heftig, daß er eigentlich nur in einem einzigen Augenblick ganz er selbst, ganz Max Adalbert war. Folgerichtig sprach er in diesem Moment auch seine eigene Sprache. Er warf sich nämlich auf die komische Alte, die seine angetraute Ehefrau spielte, hob ihr den Klemmer von der Nase, umarmte sie und keuchte dabei: „Mein wildes Glück!“
In diesewm Moment wich selbst die schwarze Trübsal, die der Autor Walter Heim (der Direktor des Metropoltheaters Friedmann-Frederich soll sich unter diesem Pseudonym verstecken) im Publikum verbreitet hatte