Anlagen
Modernes Theater Wien
Kitty und die Weltgeschichte von Alfred Polgar
Die Weltbühne 1926, S. 229
Die neue Komödie des Wiener Modernen Theaters ist von Hans Bachwitz. Er deklariert sein Spiel als „sonderbares Erlebnis einer jungen Dame in drei Aufzügen“.
In der Tat ist Kittys Erlebnis sonderbar. Es widerfährt ihr, daß sie in einer Zelle der Conciergerie von dem Führer, der die historischen Räume erläuert, vergessen und eingesperrt wird, und zwar nicht allein, sondern mit einem in sie verliebten, sonst aber ganz kaltschnauzig-unromatischen Amerikaner. Um Nacht und Angst zu überwinden, liest sie ein bißchen die Tagebücher der Herzogin d’Arrois und erlebt, in einer Traumphantasie, was sie liest. Es ist nichts Lustiges. Eine guillotineske Geschichte voll Tod und Liebe und Dialog. Lang, lang ist’s her und hin. Gerne flüchtet Kitty aus solcher Vision einer geschwollenen Vergangenheit an den Busen des durchaus gegenwärtigen Amerikaners.
Es ist ein Stück ohne Arg und Falsch und wird nett gespielt. Dennoch wird der Direktor Körner stärker beschwören müssen als mit solchen Zeichen, um den Erfolg in sein freundliches Theater hinzuzwingen.
Herr (Ludwig) Körner und Fräulein Camilla Weber spielen Kitty und den Amerikaner, die sich, durch Traumesmacht, für einen langen Akt in Herzogin Chrysantheme und Bürger Danton verwandeln. Der Theaterzettel vermerkt: „Die Rollen der Chrysantheme und des Danton werden von einer Dame und einem Herrn der Gesellschaft dargestellt, die nicht genannt zu sein wünschen.“ Ich komme nicht darauf, was dieses Avis bedeuten soll. Herr Körner und Fräulein Weber sind ja gewiss hervorragende Versteller, aber so verstellerisch doch kaum, daß man ihnen glauben könnte, sie wären gar nicht sie.
Modernes Theater Wien
„Kitty und die Weltgeschichte“
Der Tag vom 20.06.1926, S. 12
Zu den Nachwehen der großen französischen Revolution gehört auch dieses Stück. Ein Sketch in drei Aufzügen, von denen der zweite beinahe so lange dauert, wie eine österreichische Revolution und im Rokokokostüm von der letzten Nacht einer Herzogin mit Danton auf Grund einer Erzählung H. L. Roseggers und einiger Studien aus dem Lehrbuch der Geschichte für Bürgerschulen nicht sehr dramatisch berichtet. Aber so träumt eben eine junge, exaltierte Amerikanerin, die das Pech hat, bei der Besichtigung einer Zelle in der Conciergerie vom Kastellan über Nacht eingeschlossen zu werden, aber auch das Glück hat, das Pech mit ihrem Landsmann, einem Schweineschlächter en gros, zu teilen. Sie ist durch diesen Traum und die mit dem Amerikaner verbrachte Nacht genügend kompromittiert, um statt eines dekadenten Herzogs den strammen Bussinesman zu heiraten.
Soweit das Glück von Hans Bachwitz Erfolg hatte, verdankte es ihn dem Direktor Körner mit reizvollem, trockenen Humor gespielten, köstlich unsentimentalen Amerikaner des Vorspiels, das an satirischen Witz und Originalität der Situation mehr verspricht als der Traumakt, der sich Persiflage und Traumgroteske entgehen läßt, zu halten vermag. Zumal Fräulein Camilla Weber wohl eine hübsche Kitty, aber nicht einen Zoll eine Herzogin aus der französischen Revolution ist. Die Rolle des Kastellans, der aus den historischen Schauern des Weltgeschichte ein ganz hübsches Einkommen bezieht, zeichnet Herr Witzmann mit feiner und skurriler Komik und er fällt auch im Rokokoakt neben Frau Karoly und Grete Pauly am angenehmsten auf.
Man horchte anfangs auf, dann weg.
F. H.
Modernes Theater Wien
„Kitty und die Weltgeschichte“
Arbeiter-Zeitung vom 20.06.1926, S. 13
Modernes Theater. In seiner Novelle „Chrysanthemen“ hat Hans Ludwig Rosegger nach einem alten Motiv die Geschichte einer zum Tode verurteilten Herzogin, die von Danton um den Preis einer Liebesnacht hätte gerettet werden können. Sie verschmähte diese Rettung und ging stolz in den Tod. Angeregt von dieser Erzählung, schrieb Hans Bachwitz sein Theaterstrück „Kitty und die Weltgeschichte“. Er sperrt eine überspannte junge Amerikanerin mit einem Schweinehändler aus Chicago in jenem Raum des Gefängnisses ein, in dem die Verurteilten der Französischen Revolution ihre letzte Nacht verbrachten. Die Erinnerungen der Herzogin lesend, erlebt die Amerikanerin nun die Geschichte von der Liebesnacht mit Danton. Aus dem Hysterischem wächst ihr das Historische; der unbewußt geliebte Schweinehändler wird Danton und der ungeliebte adelige Bräutigam zu einem ungetreuen Herrn, der den schönen Beinamen „Königstod“ erhält. Der Danton, der in der geistigen Ehe zwischen Bachwitz und der Weltgeschichte gezeugt wurde, ist ein zügelloser, bedenkenloser Verräter, der für die Gunst einer Aristokratin die Ideale der Revolution zu verraten bereit ist, und um die Launen dieser Dame zu erfüllen, die Einrichtungen der Revolution lächerlich macht. Die Herzogin des Herrn Bachwitz möchte nämlich unbedingt Göttin der Vernunft werden. Die anderen Republikaner sind sämtlich geldgierig, niedrig denkend, sind „Pöbel“ oder aber Konjunkturrevolutionäre, die sich nur aus Angst um ihr Leben oder aus Geschäftsinteresse zur Republik bekennen. Neben diesen Republikanern scheinen die Aristokraten dann die besseren, edleren, aufrichtigeren und wertvolleren Menschen. Dem Muster der Traumstücke folgend, läßt Bachwitz seine Heldin dann am Morgen unter dem Eindruck der nächtlicherweise gewonnen Erfahrungen die Verlobung mit dem Adeligen lösen und den Schweinehändler heiraten. Grober Theatereffekte halber macht er aus dem Kerker der Revolution ein „Yoshiwara“, in das er die „Galante Nacht“ verlegt; im mittleren Akt ist die unförmige Angelegenheit ein Sketsch, in dem umrahmenden will sie durch billige Mittelchen, wie die Verhöhnung des Antiquitätenschwindels, satirisch wirken. Die Personen, die nichts zu sagen haben, sind sehr geschwätzig, und die Szenen, die keinen Gedanken enthalten, dementsprechend sehr lang. Die armen Schauspieler müssen unglaubliche Plattheiten, die die Grenzen des Lächerlichen weit überschreiten, mit dem höchsten Pathos als geistige Erkenntnisse verkünden. „Unser Sterben ist der Tod – euer Sterben ist das Leben“, „Sterben ist ein Ereignis, das man nicht überlebt“ oder „Auch Republikaner haben ihre Königinnen“ – das sind so einige der Weisheiten, die hier verzapft werden. Direktor Körner hat an das verunglückte Stück große Mühe verwendet. Er selbst spielte in der liebevoll und sorgfältig vorbereiteten Aufführung den Schweinehändler und Danton. Als dickhäutiger, phlegmatischer Amerikaner war er von ergötzlicher, unaufdringlicher Komik; als Danton trug er ein bißchen zu dick auf. Die junge Amerikanerin gab Kamilla Weber mit dem ganzen Liebreiz und der natürlichen Anmut ihres starken Talents. Für eine Herzogin der achtzehnten Jahrhunderts hat sie aber vorläufig noch nicht das richtige Format. Max Wittmann, Lolly Karoly und Grete Pauly mühten sich mit kleineren, verzeichneten Gestalten ab. Der Beifall des Publikums war nur Dank an die Schauspieler für den an hoffnungslose Aufgaben verschwendeten Eifer.
F. R.
„Kitty und die Weltgeschichte“
(zu Plagiatsvorwürfen gegen Hans Bachwitz)
Neues Wiener Journal vom 14.10.1926, S. 10
Dr. Hans Bachwitz, der Autor des Stückes „Kitty und die Weltgeschichte“, gegen den, wie wir bereits telegraphisch berichteten, die „Altenburger Landeszeitung“ gelegentlich der dortigen Aufführung dieses Werkes den Vorwurf erhoben hatte, daß man es hier mit einem Plagiat der Novelle „Chrysantheme“ von Hans Ludwig Rosegger zu tun habe, setzt sich in einer Zuschrift an unsere Redaktion heftig gegen diese Behauptung zur Wehr. Er hat, wie er uns mitteilt, die Roseggers Novelle mit der Erlaubnis ihres Verfassers dramatisiert und Dr. Rosegger erhält von allen Tnantiemen fünfundzwanzig Prozent. Gelegentlich der österreichischen Uraufführung am Modernen Theater in Wien war auch die Quelle vermerkt, aus der Hans Bachwitz die Idee seiner Stückes geschöpft hat. „Aufbau, These und Tendenz des Stückes eine Persiflage aus Okkultismus und Seelenwanderung, der erste und dritte Akt stammen restlos von mir allein“, teilt und Dr. Bachwitz mit. „Lediglich für den zweiten Akt habe ich der Roseggerschen Erzählung einige Namen und Dialogstellen entlehnt, wozu ich auf Grund der mir vom Autor erteilten Erlaubnis vollauf befugt war. Weil also das Stück von mir ist und nicht vpn Rosegger und weil Rosegger, wie aus einer früheren Zuschrift an mich hervorgeht, es für ausgeschlossen erklärte, daß man diese Novelle dramatisieren könnte, wollte ich aus reinster Loyalität einen eventuellen Mißerfolg allein tragen und Roseggers Namen damit nicht belasten. Selbstverständlich sollte die Quelle sofort nach einer erfolgreichen Aufführung genannt werden. Was die Aufführung betrifft, stellte die Altenburger Presse mit einer einzigen Ausnahme einen starken und berechtigten Erfolg fest.“