dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Joshiwara Sondervorstellung der „Retorte“
Leipziger Tageblatt vom 16.02.1923, S. 3

Freudenhaus auf der Bühne zieht. China und Japan auf der Bühne zieht. Chinesisches Freudenhaus in Japan, dachte Hans Bachwitz, zieht am meisten. Machen wir.
Er machte es in drei Akten. Zwei davon – mindestens – sind zuviel. Was wird, fragte sich der Autor, der Europäer in einem chinesischen Freudenhaus? Ermordet wird er, soviel war klar. Aber warum so langsam? Es hätte recht gut um neun Uhr knallen können. Aber es knallte erst um halb elf. Ein Sketch mit Knall um neun hätte sonstwo gezogen. So aber zieht es aber doch wohl nur in Leipzig, wo sich die guten Freunde nach diesem Autor heiser schreien, trotz Knall um halb elf.
Es wird in diesem Stück gehandelt a) von der europäischen Frau, welche Seele hat; b) von der asiatischen, welche dieselbe angeblich nicht hat, aber angeblich haben möchte; c) von dem weißen Mann, welcher bei den Frauen angeblich Lust mit Seele; d) von dem gelben, welcher bei denselben Lust ohne dieselbe sucht. Es wird sogar davon geträumt, wozu man einen zweiten Akt, ja die Ergebnisse des Traumes werden mit echt deutscher Gründlichkeit wiederholt, wozu man einen dritten Akt benötigt.
Die Geschichte, darin liegt ihr Fehler, ist zu sehr auf Tiefsinn gedeichselt. Man zählt schließlich geradezu an den Rockknöpfen ab, ob wer sich jeweils auf der Bühne zum Thema äußert, nun die Seele ohne Lust oder die Lust ohne Seele oder „Seele mit“, oder „Lust mit“ vorziehen würde. Die Frage war, soweit ich zu folgen vermochte, nur halb gelöst, als es endlich knallte. Um halb elf.
Uebrigens, wenn ein chinesischer Bachwitz – ich weiß nicht, ob es so etwas gibt -, wenn ein Bar-iwi-iz sich des Stoffes bemächtigt hätte, dann würde wohl die Europäerin das Weib ohne und die Asiatin das Weib mit Seele sein. Wie denn auch bei unserem deutschen Bar-iwi-iz der weiße Mann von gelben Teufeln spricht und der gelbe von weißen. Es ist scheinbar die bemerkenswerteste Eigentümlichkeit aller auf diesem Planeten herumkrabbelnden Rassen, daß sie sich ganz besonders blöd anstellen, wenn man ihnen zumutet, sich in die Eigentümlichkeiten ihrer Mit-Rassen einzufühlen. Ich für meinen Teil glaube, geehrte Rassengenossen und liebe Antipoden, wir werden wohl alle ungefähr gleich viel Seele zur Verfügung haben. Dies nur nebenbei.
Die Mimen, die sich über „Lust mit“ oder „Lust ohne“ im Freudenhaus zu unterhalten hatten, wurden vom Schauspielhause gestellt. Stein (gelb, im Traumakt weißgelb), (Gottfried) Falkenhausen (weiß), Lina Carstens  (gelb, im Traumakt weiß mit gelben Tupfen). Sie machten aus dem gedeichselten Tiefsinn so ziemlich, was zu machen war. Aber es hätte, ceterum censeo, um neun Uhr knallen müssen. (Hans Peter) Schmiedel, der Inszenator, hatte seine kleine Bühne sehr fein chinesisch dekorieren lassen. Nur durch die viele Stimmung, die er hinter der Bühne machen ließ mit Musik, vor jedem Akt mindestens fünf Minuten Stimmung, wurde der nicht vorhandene Tiefsinn gar zu eifrig unterstrichen.
Man hätte jedoch nicht unterstreichen sollen, sondern streichen. Und früher knallen. Viel früher.
Hans Georg Richter[2]
[2] Hans-Georg Richter war Feuilletonredakteur bei der LVZ, geboren am 18.05.1888 in Leipzig als Sohn des Sanitätsrats Dr. med. Wilhelm R.; studierte seit 1908 in Leipzig, zuvor in München, Philosophie bei Karl Bücher, wo er jedoch 1914 mit seiner Promotion „Henrik Ibsens Bühnentechnik“ scheiterte. Vater des Leipziger Dramaturgen Hans Michael Richter.

Uraufführung in Leipzig
Hannoverscher Kurier vom 16.02.1923, S. 2

Das literarische Kabarett „Die Retorte“ veranstaltete die Uraufführung eines Spiels in drei Verwandlungen „Yoshiwara“ von Hans Bachwitz. Der Verfasser, bisher durch witzige Lustspiele und Schwänke bekannt geworden, begibt sich hier auf tragisches Gebiet. Nachdenkliche psychologische Problematik verbindet sich mit greller Filmtechnik. Ein junger Brite hat das seltsame Schicksal, daß ihm in der Hochzeitsnacht sein Weib davon läuft, weil es die Berührung des Mannes verabscheut. Sein Lebensweg führt ihn nach Asien; dort sucht er die Lösung der Fragen, die ihn bedrängen. Hatte seine Frau zuviel „Seele“ wie er glaubt, so findet er in Yoshiwara, dem heimlichen Viertel einer der großen Städte „das schönste Weib Asiens“, das ihm ohne Seele zu sein scheint. Bachwitz will so etwas wie östliches und westliches Seelenleben gegenüberstellen, aber auch Entwicklungen zeigen. Der Europäer wird von dem scheußlichen chinesischem Herrn der Dirne betäubt. Schi-Schi, von bisher ungeahntem Mitleid erfüllt, will ihn vor dem drohenden Tode retten, während er im Traum Lissy, seine Frau, zu sehen glaubt, wie sie nach der Trennung von ihm den unbeherrschten Geboten des Leibes gehorcht. Oestliche und westliche Kultur sind vertauscht. Als der Jüngling nach seinem Erwachen das Mädchen beleidigt, knallt ihn der Chinese nieder. Ueber der Leiche des Ermordeten bricht die Dirne in Tränen aus. Bachwitz will einen Beitrag zur Natur des Weibes geben, der sich aber nicht verallgemeinern läßt. In ausgedehnten Gesprächen werden diese Anschauungen in glühender, teilweise überhitzter Sprache auseinander gesetzt. Das wirksame, sehr fesselnde Stück wurde von den Kräften des Schauspielhauses ausgezeichnet dargestellt. Peter Schmiedel hat es geschickt in Szene gesetzt. Ein literarisches Publikum nahm es mit lebhaften Beifall auf.
Dr. L. St.

Joshiwara
Duisburger General-Anzeiger vom 04.03.1923, S. 2

„Joshiwara“. In Leipzig fand auf der kleinen Bühne des literarischen Kabaretts „Die Retorte“ die Uraufführung von Hans Bachwitz‘ Drama „Joshiwara“ statt. Hans Bachwitz zeigt und den weißen Mann, der vor seinem in der Brautnacht sich in ihrer Unberührtheit sträubenden Braut geflohen ist, und der nun in einer Dirne von Joshiwara, der Stadt der Liebe, die Frau ohne Seele gefunden zu haben glaubt. Der Leipziger Autor hat hier eine tiefschürfende Tragödie suchender Männlichkeit geschaffen, die bei ihrer Uraufführung von stärkster Wirkung war.

Trianon-Theater Berlin
Berliner Börsen-Zeitung vom 07.03.1923, S. 3

Yoshiwara – Das Haus des Lasters. Zur Abgewöhnung zeigt uns Hans Bachwitz, wie es dort zugeht. Man kommt durchaus nicht auf seine Kosten. Die Mädchen sind dort tugendhaft – allerdings nicht aus eigenem Willen. Der gelbe Mann bewacht sie, und wenn ein Weißer sie nicht nur anschauen will, dann betäubt, plündert und manchmal ermordet der Gelbe ihn. Der Zweck des Weißen ist es, dort sein Geld los zu werden und zu sprechen. Wer spricht, der sündigt nicht. Und da man auf offener Bühne nicht einmal den Gelben sündigen lassen kann, so wird eben von allen Dreien vom Sündigen gesprochen, diesem Yoshiwara – wovon soll man sonst in Yoshiwara sprechen? – Aber in geblähtesten, hochtrabendsten, gekünstelten Worten. So lange, bis das Mädchen endlich trotz des gelben Wächters sündigen will – worauf der Weiße eben pflichtschuldigst betäubt wird. In seinem Traum verschmelzen ihm das Mädchen mit seiner Frau, der Gelbe mit derem Geliebten. Er erkennt in seiner Frau die Dirnenseele des seelenlosen gelben Mädchens. Warum?! . . . Genug, der Bachwitz sagt’s – Beim Erwachen hält der noch benommene Weiße das Mädchen für seine Frau plaudert seine innersten Gefühle heraus und will in dem Mädchen seine Frau besitzen. Und wird, als Vorgang zwei, von dem Gelben ermordet. Sterbend ruft er den Namen des Mädchens – liebt er also trotz der gegenteiligen Beteuerungen doch die Seelenlose? . . . Bachwitz schweigt symbolisch. Und der Weiße auch, denn er ist tot.
Friede sei mit ihm. Wenn (Erich) Kaiser-Tietz so wenig Liebe für ihn aufbringt, weshalb sollten wir es tun? Er war scheinbar nichts Besseres als das monotone Herunterleiern wert. Es ist höchst gerecht zugegangen, daß der Gelbe Sieger geblieben war, denn (Arnold) Korff hatte wenigstens Charakter, Nuancen, persönliche Gestalt. Blanche Dergan, um die es als seelenvolle Frau und seelenloses Freudenmädchen ging, tanzte, konversierte, war leidenschaftliche und dämonisch – ganz wie Bachwitz und Martin G. Sarneck wünschten. Sarneck gelang es, den nüchternsten Traum und die schwungloseste Aufführung zustande zu bringen, die das Trianon-Theater seit lange hatte.
Der Beifall war pflichtschuldigst.
M. Ch.

Trianon-Theater Berlin
Berliner Tageblatt vom 07.03. 1923, S. 2

F. E. Hans Bachwitz, ein geschickter Mann, steckt diesmal seinen Genius in einen Kitschimono. Er sieht Ostasien mit dem Auge eines Panoptikumfigurenmodelleurs. Ganz wie der selige Castan es hinter Glas stellte: eine Geisha, geradezu Maskenball, und links und rechts von ihr, „in Liebe entbrannt“, ein weißer Mann und ein gelber Mann. Der Weiße ist nicht unedel und wälzt das Wort „Seele“ wie Kautabak ruhelos im Munde hin und her. Der Gelbe ist, gelinde gesagt, ein Auswurf der Menschheit.
Die Szene ist Yoshiwara, das Liebesviertel da drüben. Der weiße Mann, der seine Frau verlassen, weil ihre zage Keuschheit ihn abschreckt, will sich in Opium und allen Lastern eines zärtlichen Divans austoben. In dem kontraktlich verpflichteten Buhlmädchen Sishi glaubt er das Ideal des Weibes gefunden zu haben, weil sie so ganz nur Körper, so gar nicht Seele ist. Er greift nach ihr, der Gelbe wird eifersüchtig und betäubt ihn. Der Weiße träumt. Im Traum kehrt er zu seinem Weib zurück. Sie ist Dirne geworden mit den Zügen Sishis, der gelbe Mann ist ihr Geliebter; trägt keinen Zopf mehr, trägt Bubikopf, ist europäischer Gentleman im Frack. Erwachen. Der Gelbe plündert den Weißen aus, erschießt ihn. Die Leiche wird unter dem Divanteppich versteckt. Sishi empfängt ebenda andere Gäste.
Nicht das Gräuliche der Handlung ist das Grauen dieses Sketches. Der „poetische“ Firnis ist es. Gebt ihr schon dem Theater Kino, dann gebt es recht. Mißbraucht aber nicht das sprechende Wort, um die Verlogenheit noch zu steigern. Unerträglich, diese „schöne“ Sprache, dieses „Gefühl“ aus schlechtem Abenteuerroman, das Geschwabble von Seele.
Der Autor hat gegen die Aufführung einen selbstverständlich flammenden Protest eingelegt. Ob mit Recht, mag das Gericht entscheiden. Einer seiner Gründe soll auch sein, daß die Besetzung ihm nicht passe. Nun, die Darstellung, Regie Herr Sarneck, war nicht schlechter als das Stück, und eine noch bessere hätte es nicht zum Kunstwerk machen können. Erich Kaiser-Tietz und Blanche Dergan spielten Komödie ganz im Bachwitzgeist, und Arnold Korff lächelte als gelber Mann so unsagbar geheimnisvoll-ostasiatisch, daß die Völker Europas allen Grund haben, ihre heiligsten Güter zu wahren.

Modernes Theater Halle
Hallesche Nachricht vom 16.09.1924, S. 5

Seit dem Verschwinden des immer noch unvergessenen Mauthnerschen Theaters hier haben wir bedauerlicherweise keine Bühne mehr, die sich die Pflege der jüngeren Dramatik im besonderen angelegen sein läßt. Will das „Moderne Theater“ diese Lücke füllen? Zeitweise wenigstens? Es wäre verdienstlich. Vielleicht, daß die Aufführung des Hans Bachwitzschen Stückes
„Yoshiwara“ hier als Anfang gedeutet werden darf. Hans Bachwitz hat sich mit verschiedenen, in Leipzig und Berlin herausgekommenen Stücken neuerdings einen Namen gemacht. „Yoshiwara“ wird augenblicklich in Berlin mit Tilla Durieux in der Hauptrolle gegeben. Gestern spielte sie hier Maria Monica von den Rotterbühnen, die in Leipzig bereits Erfolg damit geerntet hat. Er blieb ihr auch hier treu. Wohl konnte sie in der Rolle der chinesischen Dirne die Europäerin nicht verleugnen, wohl hielt sie die schöne Seelenlose – die doch keine solche ist – in kühlerer Sphäre, als ihr angemessen sein dürfte, aber ihre Leistung blieb doch eine solche von aparten Reiz. Willi Schur fand eingangs als der gelbe Mann nicht den gedämpften Ton verhaltener Glut und Gier, der hier vonnöten ist, wuchs dann aber mit dem zweiten Bilde zur Höhe seines bekannten darstellerischen Vermögens. Eine Ueberraschung bedeutete Richard Erlecke als der weiße Mann. Sicher hat er das Anfängertum noch nicht völlig abgestreift, aber wie er den komplizierten Charakter zu fassen und zu deuten versuchte, ließ zum mindesten aufmerken. „Der denkende Künstler gilt noch eins so viel“ läßt Lessing seinen Maler Conti sagen. Hinter der Erleckschen Darstellung aber stak zweifellos keine geringe Denkarbeit, der sich dann auch das nötige Temperament gesellte. – Das Stück selbst möchte Ernst genommen sein, worüber sich das Publikum offenbar nicht recht einig war. Allerdings hat ihm der Verfasser die Gefolgschaft (bis in seine innere Struktur) nicht ganz leicht gemacht. Es gibt in 3 Akten nur die Gipfelpunkte des Geschehens. Eine Antithese europäischen Liebesempfindens und asiatischen Gleichmuts gegenüber jeder Nervenverfeinerung. Wirksam, unter Ausnutzung aller Mittel des exotischen Milieus, gemacht, aber für die Bühne doch zu aphoristisch, ohne rechte Ueberleitung. Im Ergebnis auch schwer als eine „Verklärung des exotischen Triebes“, wovon Bachwitz spricht, erkennbar. Die Ausstattung war, namentlich dank den stimmungsvollen Manzschen Bühnenbildern, recht gut. An Beifall und Blumen fehlte es am Ende nicht.
– tt –

Modernes Theater Berlin
Yoshiwara
Die Weltbühne 1924, S. 340 f.

Der „weiße Mann“ hat, er erzählt es selbst, so gierig nach dem Leib seiner weißen Frau begehrt, daß deren Seele ihn von sich stieß. Deshalb geht er, zwecks Betäubung, auf Lustfahrten, deren eine ihn nach China führt, ins „Haus der Laster“, wo die schöne Si-Shi jedes Verlangen gehorsam stillt, denn sie ist eine Dirne und hat keine Seele — meint Er, der weiße Mann.
Eben da er die Chinesin, die an seinem schwermütig-bittern Wesen Gefallen findet, in stürmische Arme schließen will, erscheint der „gelbe Mann“, der das nicht leiden mag und dem Weißen ein Taschentuch vor die Nase hält, worauf dieser in Schlaf und Traum versinkt. Warum der Gelbe so tut? Teils aus Eifersucht, teils als Rassenschützer, teils aus Schlechtigkeit, vor allem aber aus nackter Dämonie. Im Traume sieht der Weiße sein fernes Weib, das sich dem Prinzip der Lust, verkörpert durch einen Earl im Frack, ergeben hat, und er sagt ihr auf den Kopf zu, daß in ihr die Seele der chinesischen Dirne sei, die in jener nicht sei (wie er meint). Auch hier, nach längerer Dialektik über Leib und Seele, kommt es zum fast Äußersten, kommt es dahin, daß, im Modernen Theater, Fräulein Lotte Klinder eine plötzliche Seidenkombination aus dem Wäschehaus Franzi Bick, der Störer, und zwar in Gestalt jenes Earl. Die Figuren des Traumes sind, das brauche ich wohl nicht zu sagen, in europäischer Maske die Figuren aus dem Yoshiwara, werden auch von den gleichen Schauspielern dargestellt. Im dritten Bild erwacht der weiße Mann aus der Betäubung, langweilt und beleidigt die arme Chinesin mit geschwollenen Redensarten, glaubt, er sei noch bei der Weißen, sagt, Dirnen seien Gossen (was ihr in der Seele, die sie nicht hat, weh tut), und wird zum Ende von dem gelben Mann erschossen, worauf das Leben im Yoshiwara seinen gewöhnlichen kommerziellen Fortgang nimmt.
In diesem Spiel von Hans Bachwitz geht es um den Dualismus von Leib und Seele bei Damen. Soweit in dem Nebel, den es mit orientalischem Räucherwerk und europäischer Pathetik macht, ein Sinn des Spiels zu erkennen, ist es der, daß es mit jenem Dualismus doch eigentlich Essig ist. Und der Mann, der die pure Seele oder den puren Leib begehrt, wird, wegen Beleidigung der Majestät Natur, straffällig. In jeder Dirne steckt was Heiliges, in jeder Heiligen etwas Dirniges, wie in jedem weißen Mann auch ein gelber steckt, in jeder Wahrheit eine geheime Lüge und in jedem Dichter ein Schmock. Die Sprache des Stückes ist sehr getragen und überrascht durch Wendungen, die zu groß sind für den Gedanken, den sie ausdrücken. Zum Beispiel der Satz: „Du hast ihn gemordet, mehr noch, du hast ihn fast getötet.“ Also das sind Nuancen. Auch die Wendung: „Die bunten Papiere der Bank von England“ scheint anfechtbar. Wie mir aus Märchen und vom Hörensagen bekannt, sind die Papiere der Bank von England weiß und ihr Text schwarz, und wer sie hat, der hat es schwarz auf weiß, daß er was hat.
Hans Brahm, dem Regisseur, sind die stimmungsvollen, schönen Bühnenbilder zu danken. Herr Paul Otto ist als bleicher Earl fast noch unheimlicher denn als gelber Bordellwirt.
Herr Otto spielt den weißen Mann mit aller Zartheit und Heftigkeit der Empfindung und des Ausdrucks, die er an jede Rolle vergibt. Fräulein Klinder hat bestimmt Seele. Ihr Schrei „Ich bin eine Dirne!“ weckte — a contrario — schmerzhaft den Gedanken, was für ein entzückendes Cabaret in diesem Modernen Theater zu machen wäre.
Alfred Polgar

Jüdisches Theater Riga
Erschienen in: Riger Tog vom 16.04.1930
Auszug, zitiert nach: Ute Luise Müller, Das jüdische Theater in Riga, Magisterarbeut, Frankfurt am Main 2004

Was haben wir erlebt? Aus geheimnisvollen Verhältnissen ist ein Kommentar des literarischen Defektes heraus gekrochen und sobald er auf der Bühne war, hat er physischen Ekel hervorgerufen, […] von etwas Verschimmelten, Aufgehobenen, lange Vergessenen. Und man hat Langeweile hervor kriechen lassen. Man kann sagen, ein Stück wie ein Groschenroman wegen der wunderlichen Idee von dem „Weisen “ aus China, der in das Prostitutionshaus hineingefallen ist – hin zu Si-Schi, der sechsten Frau von Asien. Und das Buch hat man zerbröckelt in 3 Akte, die sich im ganzen von 9-10.30 Uhr gezogen haben (noch mal vielen Dank dafür!): da kann man verstehen, das ein blutleeres Stück dabei herausgekommen ist, ohne Leben, dafür aber – ein `exotisches Stück`

Jüdisches Theater Riga
Jefinow, Erschienen in: Sewodnja
Auszug, zitiert nach: Ute Luise Müller, Das jüdische Theater in Riga, Magisterarbeut, Frankfurt am Main 2004, S. 35

Bemerkenswertes Stück, zwei miteinander verbundene Fabeln, die durch einen Schluss gelöst werden. Zwei Frauen: die
Liebespriesterin in `Joschiwara` Si-Schi, ist ein wunderschönes Wesen ohne Seele, die sie bei der Berührung mit einem
Europäer findet und Lizzy – Europäerin – eine, die ihre Seele in der Hochzeitsnacht verliert. […] Eine Reihe interessanter
und paradoxer Aphorismen über die Liebe und die Ehe wird hier vorgestellt. Der sich neu entfachende und wieder
erlöschende Kampf der Begierden lässt den Atem anhalten. Die Gedanken des Autors sind merkwürdig und eigenwillig.
Es bleibt unverständlich, spielt er mit ihnen, oder öffnet er seine Seele, die zwischen mysteriösen sexuellen Begierden
hin- und her gerissen ist. Si-Schi und Lizzy (Barschewska), tief logisch in der Unlogik des Bachwitz‘, bringt ein klares
Motiv in das Gefühlschaos `Joschiwara`. Glaubwürdig erscheinen die vielzähligen Übergänge und hell beleuchtet ist die
eine weibliche Seele in zwei verschiedenen Frauen. […]Einem interessanten Stück ist ein interessanter Rahmen gegeben
worden. Auf der Bühne herrschte die nötige Atmosphäre und das Opiumrauchzimmer wurde mit Geschmack eingerichtet,
so wie ein Europäer es sich vorstellt.