dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Sind auch die Zeiten vorbei, wo Advokaten als Juristen zweiten Ranges betrachtet wurden, so wird man doch, innerhalb des Standes selbst, immer Unterschiede in der Qualifizierung machen und machen müssen, die nicht nur auf Differenzierung der wissenschaftlichen Fähigkeiten, sondern auch auf Bewertung der Persönlichkeit als solcher beruhen. Wenn ich behaupte, daß zu den nicht nur in Leipzig, sondern im Reiche, ja sogar im internationalen Auslande angesehensten Anwälten unser Martin Drucker gehört, so weiß ich mich in diesem Superlativ eins mit Kollegen, Richtern, Publikum.
Man kann über die sogenannte Rechtswissenschaft denken, was man will: es gehört gerade in Leipzig, wo die berühmtesten Juristen aller Zeiten gelebt und gewirkt haben, einiges dazu, in Front genannt zu werden. Martin Drucker galt als hervorragender Jurist schon während seiner Referendarzeit (vielleicht schon früher). Ich erinnere mich mit Vergnügen, daß mein seliger Chef, der seinerzeit bekannte Justizrat Broda, als ich bei ihm Referendar war, mir immer gerade Drucker als leuchtendes Beispiel dafür vor Augen hielt, wie ein Advokatursconzipient zu schaffen zu sein habe. Hélas, ich habe das turmhoch ragende Vorbild nie erreicht und meinen lieben seligen Chef wohl eher eine präzise Vorstellung davon verschafft, wie ein Referendar nicht sein soll.
Ich habe viel in biologischen Werken gewälzt, habe insbesondere (Friedrich Wilhelm) Schallmayer zu Rate gezogen, dennoch keinen zuverlässigen Anhalt dafür gefunden, daß die Juristerei erblich sein soll.
Schon Druckers Vater, der bekannte Oberjustizrat (solche Titel gab es einmal) Drucker war eine Zierde des Bureaus, wie die Franzosen in solchen Fällen so schön sagen. Als er, hochbetagt, starb, hinterließ er die Würde seiner Person und den Ruf seiner Kanzlei seinem Sohn.
Klein, schmächtig, früher Spitzbart, dann Schnurrbart, jetzt kein Bart bietet Martin Drucker in nichts das Bild des „großen Advokaten“. Viele, die nur von ihm gehört hatten, waren überrascht, daß dieser bescheidene, zurückhaltende, unauffällige Mann der Kopf sein sollte, den man ihnen empfohlen hatte. Aber sie erkannten bald, daß er dieser Kopf nicht nur war, sondern, daß er ihn hatte.
Mag auch seine stärkste Begabung die der Verteidigung sein (über dessen Kunst hat er sich in einer ausgezeichneten Broschüre vernehmen lassen), so gibt es doch kein Gebiet der Rechtswissenschaft und der Rechtsanwendung, auf dem er nicht gründlichst Bescheid wüßte. Und als ob es diesem außerordentlichen Gehirn nicht genügte, das deutsche Recht von Grund auf zu beherrschen, hat er sich auch mit den Vorschriften fremder Institutionen so vertraut gemacht, daß er als trefflicher Kenner englischen und französischen Rechts gelten kann. Er hat vielfach Gelegenheit gehabt, diese Kenntnisse zum Segen seiner deutschen Klienten zu beweisen.
Ein besonderer Maßstab für die Bewertung eines Anwalts ist dessen Ansehen bei Gericht. Drucker war von jeher besonders geschätzt. Seine noble Unerschrockenheit, seine Lauterkeit und die Tatsache, daß ein von ihm geführter Prozeß nie zu den a priori faulen gehörte, hat ihm die respektvolle Achtung des Forums gesichert.
Daß er von seinen Kollegen ganz besonders verehrt wird, darf nicht wunder nehmen. Mit aufopfernder Hingabe widmet er sich, trotz der Last seiner Berufsgeschäfte, reinen Zunftinteressen. Als Vorsitzender des Deutschen Anwaltvereins, als glänzender Redner auf den Anwaltstagen, als berufenster Vertreter des Standes gegenüber den Behörden hat er unendlich viel Gutes geleistet, war und ist rastlos bemüht, seinem Stande und dessen Angehörigen in ideeller und materieller Hinsicht auf das Uneigennützigste zu dienen.
Er ist ein glänzender Jurist. Ich bin mir – nicht nur aus persönlicher Einstellung – bewußt, daß darin ein zweifelhaftes Lob beschlossen sein kann. Ludwig Thoma hat uns gezeigt, wohin der Glanz des Juristen führen kann (in seiner klassischen Humoreske „Der Einser“). Und im allgemeinen sind ja auch (Jehring, meine Zuversicht, vergib mir meine Schuldverhältnisse!) die hervorragenden Juristen uns menschlich fremd. Der Staub der Pandekten, des BGB, der ZPO usw., hüllt sie in eine Wolke von Gottähnlichkeit. Sie reden und schreiben ein sogenanntes Deutsch, daß man nicht vermeinen möchte, Goethe sei ihr Kollege gewesen (Goethe war ein miserabler Jurist!). Sie sind oft humorlos, dünkelhaft, grauenhaft einseitig, von starrem Charakter und äußerlich unbefriedigend.
Alles das trifft auf Martin Drucker nicht zu. Im Gegenteil: wer ihn nicht kennt, würde ihn für alles andere als einen Juristen halten. Auf allen Gebieten belesen, für das Theater und die Künste ebenso eingenommen wie für die Entscheidungen der Oberlandesgericht und des Reichsgerichts, ein heiterer Gesellschafter und ein liebenswürdiger Intellekt, dessen Witz stadtbekannt ist, könnte man ihn für einen Schriftsteller von Rang halten, für einen ironischen Philosophen voll Güte und Menschenkenntnis, Daß er, wie jeder Hervorragende, nicht so befehdet wie die Dummheit und ihr Staatskleid, die Arroganz, sei ihm besonders hoch angerechnet. Und daß die Dummen und die Arroganten sich oft genug von seinem beißenden, ätzenden, brennenden Sarkasmus getroffen fühlen, ist der schönste Triumph des Geistigen.
Hätten wir noch die verflossene Zeit des ancien Empire, Martin Drucker wäre betitelt und besternt trotz Einem. Oder – halt – nein! Ich glaube nicht, daß er dort, wo man „auszuzeichnen“ pflegte, recht beliebt gewesen wäre. Von jeher Demokrat, bis zur Rücksichtslosigkeit furchtlos, aufrecht und nicht zu beeinflussen, hätte er innerhalb des Byzantinismus schlechte Figur gemacht. Er ist gerade noch Justizrat geworden. Außerdem hatte man ihn in der großen Zeit zum Vizefeldwebel gekürt. Und es ist bezeichnend für den öden Mechanismus des früheren Militärstaates, daß man im Kriege eine geistige Kraft wie die Druckers nicht besser zu verwenden zu können glaubte, als zum Rekrutendrill in Danzig. Man könnte da in Wahrheit von einer Strafversetzung sprechen.
Nein – ich glaube nicht, daß Drucker mehr geworden wäre, wäre das Deutsche Reich nicht weniger geworden. Aber vielleicht kann man als Anwalt des Rechts überhaupt nicht mehr werden als Drucker.