dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Der Graf, die Blonde und der Teufel

„Graf – ich bitte Sie! Sie derangieren meinen Teint und kompromittieren meinen Ruf!“
„Niemand sieht uns!“
„So? Und wenn sich nun der Chauffeur umdreht, oder eine Straßenbahn vorüberfährt, oder von sonstwoher eine plötzliche Erleuchtung kommt??“
„So würde man nur einen verliebten Mann und eine spröde Blonde sehen!“
„Lassen Sie mich endlich! Der Leberfleck ist doch nur getuscht!“ Die Dame machte sich energisch los und rückte in die Ecke der Limousine, um das tadellose Email ihres pikanten Gesichts und den bedrohten Leberfleck unter dem rosigen Ohr vor den leidenschaftlichen Küssen ihres Begleiters zu retten.
Dieser Begleiter zeigt unter dem stumpfen Abendhut ein scharfes, hageres Gesicht mit bartlosen Lippen, kantiger Nase und hartem Kinn. Tausend feine Risse überzogen die Haut und bewiesen neben den grauen Schläfen, daß der Graf des Lebens Äquator überschritten hatte. Er setzte sich, durch die Haltung seiner Dame gemäßigt, korrekt hin und knöpfte an den platingrauen Handschuhen.
Die Dame, jetzt nicht mehr lichtscheu, hatte die Innenlampe des Autos angeknipst und beschäftigte sich mit Spiegel, Stift und Puderquaste.
„Zu denken, daß ich seit einer Woche um Sie werbe, wie nicht einmal Romeo um Julia warb, und daß Sie mir freiwillig noch nicht einmal die Spitzen Ihrer Finger gewährten“, sagte der Graf und seufzte melancholisch. Die Blonde lachte und ließ zwischen purpurraten Lippen die aus tausend Erzählungen gleicher Art bekannten Elfenbeinzähne blitzen.
„Erstens,“ bemerkte sie und stäubte Puder, „war Romeo ein äußerst dezenter Liebhaber, der seine Julia im Automobil nicht belästigt hätte, und zweitens habe ich Ihnen die Spitzen meiner Finger bereits gewährt. Alle zehn sogar. Man sieht es Ihnen an der Nase an!“ Und die Blonde tupfte ihm lachend auf die Nase, die ganz feine Spuren scharfer Krallen zeigte.
„Warum quälen Sie mich?“ fragte der Graf und rückte wieder näher. „Haben Sie meine Versprechungen vergessen? Bin ich nicht bereit, alles für Sie zu tun, zu opfern? Man erwartet mich in Brüssel, in London, in Paris. Ich verschütte meine Zeit bei Ihnen. Millionen stehen auf dem Spiel!“
„Vielleicht rette ich sie Ihnen, indem ich das Spiel verhindere!“ orakelte die Dame und hüllte sich in das glänzende Harmelincape. Sie lächelte süß, aber in den Lidwinkeln lauerte Grausamkeit und Triumph. Der Graf versuchte nach ihrer Hand zu tasten, da hielt der Wagen.
Um diese Zeit war die „Schatulle“, das vornehmste Souperlokal der großen Hafenstadt, bereits bis auf den letzten Platz besetzt. Nur Stammgäste, deren Wünsche sich dem Oberkellner durch Nabobtrinkgelder empfahlen, hatten Aussicht, einen intimen Tisch zu bekommen. Der Graf gehörte offenbar zu dieser bevorzugten Menschenklasse. Bald saß er mit seiner Dame in einer Nische aus rotem Samt. Die Jazzband winselte die Liebesklage exotischer Katzen, Sekt perlte in betauten Kelchen, auf dem fraisefarbenen Tanzteppich drehten und wanden sich die Paare im Paso doblo.
„Sagen Sie endlich ja!“ bat der Graf, während er sich mit der Hummerschere befaßte.
„Ich tue nichts anderes“, erwiderte die Blonde, ein Röstbrot zwischen den Lippen.
„Madeleine“, widersprach das Gegenüber mit erstaunten Augen.
„Sie lernten mich vor acht Tagen im Theater kennen – ziemlich ungeschickt, wie Sie zugeben werden, denn Ihre Frage, ob ich das Spitzentüchlein, das Sie mir reichten, verloren hätte, war die Anknüpfungsmethode der alten Schule. Trotzdem sagte ich ‚Ja‘, denn Sie interessierten mich – – – „
„Und Sie machten mich toll – – -„
„Sie sind vielleicht zu sensibel im Verkehr mit Frauen. Das führt zu Enttäuschungen. Jedenfalls sagte ich auch nicht nein, als Sie mich für den folgenden Tag zu einer Autofahrt in die Umgebung einluden.“
„Von der ich mich drei Tage erholen mußte, weil Sie mich böse zerkratzt hatten.“
„Ihre Schuld, Sie waren so unvorsichtig, anzunehmen, daß diese Autofahrt Ihnen das Recht auf eine sehr nahe Bekanntschaft garantieren müsse. Sie kamen gewissermaßen aus der Richtung – da war die Panne unausbleiblich.“
„Höhnen Sie nur noch, daß ich den Kopf verlor. Aber wer zuletzt lacht – – -„
„Kommt in den Himmel!“
„Wenn nicht der Teufel die Hand im Spiele hat!“
„Manchmal frage ich, ob Sie nicht selbst ein kleiner Teufel sind?“
„Da überschätzen Sie mich wohl aus Eitelkeit. Sie sind ein Mann, der es sogar mit dem Teufel aufnimmt. Abgesehen davon, aber habe ich Sie nicht durch Widerspruch gekränkt, als Sie mich völlig mit Beschlag belegten, meine ganze Zeit okkupierten, Ich habe doch schließlich einen Beruf – – -„
„Das kümmert mich nicht!“ sagte der Graf lauter, als passend gewesen wäre, denn ein einsamer Herr am Nebentisch hob unwillkürlich den Kopf und fixierte ihn und die Blonde. Leiser fuhr der Graf fort: „Ich fürchte, Ihr einziger Beruf ist, mich verrückt zu machen!“
„Dann will ich mir Mühe geben, daß Sie rasch wieder vernünftig werden“, erwiderte die Dame und warf einen schnellen Blick zum Nebentisch, wo der einsame Herr immer noch die Augen auf sie gerichtet hielt. Der Graf bemerkte das, Unmut flog über sein Gesicht. „Kennen Sie den Herrn?“ fragte er verhalten.
„Keine Spur. Aber wenn auch – Sie werden doch nicht etwa Othello spielen! So stehen wir denn doch nicht zueinander – und werden es auch nie!“
„Madeleine!“
„Unsinn! Geben Sie mir eine Zigarette!“
Der Graf wollte die Tabatiere aus der Westentasche nehmen, fand sie nicht am gewohnten Platze. Er tastete rasch die andern Taschen ab. „Ich muß die Dose vergessen habe“, meinte er entschuldigend und winkte einen Boy heran, der Tabakwaren anbot. Er wählte die teuerste Sorte. „Vier Mark vierzig, Herr Graf“, sagte der Boy, der diesen Titel einen jeden verlieh, der mehr als drei Mark für Zigaretten ausgab.
Der Graf stellte fest, daß auch sein Portefeuille nicht vorhanden war. „Teufel, Teufel!“ murmelte er, „sollte ich das auch im Hotel haben liegen lassen? Ich habe mit allerdings beim Ankleiden sehr geeilt, aber ich könnte darauf schwören – – -„ Er suchte nervös in allen Taschen. Inzwischen zahlte die blonde Madeleine aus ihrer eigenen Börse, und der Boy entfernte sich naserümpfend und bedauerte die voreilige Ernennung des Kavaliers zum Grafen.
„Ich möchte doch, wenn Sie gestatten, einmal im Hotel telephonisch anfragen, ob meine Brieftasche gefunden ist“, sagte der Graf und erhob sich.
„Was sie denn so gut gespickt?“ fragte Madeleine, und wieder stand über ihrem lächelndem Munde Grausamkeit und Triumph.
„Das nicht, aber sie enthält wichtige Dokumente – – meinen Paß – Empfehlungsschreiben. Entschuldigen Sie einen Augenblick!“ Und der Graf eilte hinaus.
Madeleine sah ihm lächelnd nach, wippte mit dem Fuß zum Takte der Musik. Plötzlich stand der Herr vom Nebentische an ihrer Seite, verneigte sich und bat um einen Tanz. Und Madeleine tanzte.
„Hoffentlich nimmt es mir Ihr Begleiter nicht übel, daß ich Sie entführe“, meinte der Herr, der gut und schlank gewachsen und ein vorzüglicher Tänzer war.
„Ich pflege über mich selbst zu entscheiden,“ erwiderte die Blonde, „und entführen werden Sie mich ja wohl nicht gleich.“
Aus dem Gewühl der Tanzenden steppten einige Paare in den Wintergarten, den man soeben geöffnet hatte. Auch Madeleines Tänzer leitete sie geschickt in den kühlen Raum, führte sie um ein großes Palmenboskett, und ehe sie sich wehren konnte, zwang er sie in einen Nebenraum, dessen Tür wie von Geisterhand geöffnet worden war. Im nächsten Augenblick fiel die Tür wieder zu. Madeleine stand mit ihrem Tänzer in einem kleinen Zimmer, das eine einzige Lampe matt erhellte. An der Tür stand eine einfach angezogene, vierschrötige Frau. Das Fenster war durch einen Paravent verdeckt.
„Leibesvisitation!“ befahl der Herr, und die vierschrötige Frau trat auf Madeleine zu. Die wollte schreien, aber schon hielt ihr der Herr den Mund zu. „Beim geringsten Versuch, Lärm zu mache, kneble ich Sie!“ warnte er. Als Antwort biß ihn Madeleine heftig in den Handteller, fuhr ihm mit allen zehn Fingern an den Hals. Eine Sekunde später war sie gefesselt, ein Knebel steckte zwischen ihren Zähnen. Der Herr verschwand rasch hinter dem Paravent.
„Hier, Herr Kommissar,“ reif bald darauf die vierschrötige Frau, „haben wir, was wir suchen!“ Und sie reichte ihm über die spanische Wand eine goldene Tabatiere und eine Brieftasche aus weinrotem Saffian, mit einer Grafenkrone geziert.
„Brillant!“ lobte der Kommissar. „Da will ich nur gleich den Herrn Grafen aufklären!“ Und er verließ das Zimmer.
Soeben wollte der Graf sich nach seiner verschwundenen Blondine erkundigen, als der Kommissar zu ihm trat. „Verzeihen Sie, Herr Graf, mein Name ist Lebrecht – Kriminalkommissar – – bitte nicht zu erschrecken – – – die Dame, mit der Sie soupierten, ist eine Hochstaplerin, die ich schon einige Tage beobachte. Folgen Sie mir, bitte, damit ich Ihnen Ihr Eigentum zurückgeben kann!“
Und in der Garderobe händigte der Kommissar dem Grafen die goldene Tabatiere und die Brieftasche aus, die die Blonde ihm geschickt eskamodiert hatte. Der Graf danke in überschwänglicher Weise und rühmte die Vorzüge einer Polizei, die in Wahrheit die Rolle eines Schutzengels spielte.
Nur so war es möglich, daß der berüchtigte Hoteldieb Eduard Schlotz, alias Baron Berken, alias Graf Twesten-Sangersdorf, noch in derselben Nacht ins Ausland entweichen konnte, da ihm die Polizei selber seine gefälschten Ausweispapiere wieder zugestellt hatte, die ihm die Blonde mit großer Gewandtheit abgenommen hatte, um Beweisstücke gegen ihn in den Händen zu haben. Denn die Blonde war eine der geschicktesten weiblichen Detektive der hauptstädtischen Kriminalpolizei.   Aber das hatte sie dem eifrigen Kommissar und der vierschrötigen Frau nicht sagen können, weil man sie voreilige geknebelt hatte, um zu vermeiden, daß es etwa einen großen Skandal gebe.
„Dieser Spaß ist mir gelungen“, lachte der Teufel und wußte es so einzurichten, daß der Kommissar Lebrecht aus dem Amte entlassen wurde.