dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Der Ziegenbock

In den „Blättern für den Kleintierfreund und seine Familie“ las ich ein Inserat, wo sich ein gewisser Alois Hirzgachler in Stums, Oberbayern, Post Toblach, anheischig machte, jedermann ohne Ansehen der Geburt, Stellung und Konfession gegen Voreinsendung von 80 Mark oder bequeme Postnachnahme eine ff. frischmelkende, kerngesunde und lammfromme Gebirgsziege ins Haus zu liefern. Ich sagte mir, daß eine so beschaffene Ziege wohl ein nützlicher Hausrat sei und daß frische Milch besser schmecken müsse als die aus Dosen gemolkene. Weiterhin setze einen die Ziege leicht instand, Junge zu gebären, so daß man sein Osterlamm jederzeit im Topfe habe. Und schließlich bin ich von jeher ein Tierfreund gewesen. Also forderte ich Herrn Alois Hirzgachler auf, mir eine Gebirsgziege anzufahren und sandte gleichzeitig 80 Mark durch die Post an ihn ab.
Die nächsten Tage waren von banger Erwartung geschwängert. Ich fertigte aus zwei leeren Kisten einen komfortablen Stall und schlug mir dabei die Daumen platt. Außerdem kaufte ich drei Fuder Heu und einen handlichen Melkeimer. Das alles brachte ich provisorisch auf dem Boden unter, den mir mein Hauswirt gegen übliche Miete hergab.
Die Ziege kam gänzlich unvermutet eines Morgens an, uns sie war ein Bock. Ich stellte das sogleich fest, als ich mittags nach Hause kam, denn sie hatte bereits den großen Spiegel meiner Wirtin mit den Hörnern zertrümmert. Eine Ziege mit Hörnern ist immer ein Bock, wie schon bei Brehm zu lesen ist. Alois Hirzgachler schien Brehms Tierleben nicht zu kennen.
Ich teilte das Ergebnis meiner Untersuchung in wohlgesetzten, aber leicht befremdeten Worten nach Stums mit. Die Antwort war keine. Nunmehr forderte ich den Kleintierzüchter auf, den irrtümlicherweise mit einer Ziege verwechselten Bockumgehend zurückzunehmen und umzutauschen. Ich schrieb „irrtümerlicherweise“ aus Höflichkeit, aber ichmeinte zwischen den Zeilen etwas ganz anderes. Hirzgachler jedoch schwieg sich weiter aus, und hieraus folgerte ich, daß er seiner Sprüche 12,10 wenig eingedenk sei, allwo es heißt: „Der Gerechte erbarmt sich seines Viehes!“
Indessen hatte sich der Bock immer unbeliebter gemacht. Ich hatte ihn, da sich bald herausstellte, daß er als Stubenbock nicht zu halten war, im Hof an einem Pfahl des Teppichgalgens gebunden. Rings um ihn schichtete ich das Heu auf, und nachts sperret ich ihn in den Kistenstall. Soweit wäre alles gut gewesen, aber bald bemächtigten sich die Kinderseiner, knüpften ihn los und schleppten ihn auf die Straße. Ich mußte ihn mehrmals persönlich einfangen, was nicht ohne Aufläufe und Eingreifen einer Schupohundertschaft mit Karabinern abging. Wiederholt war ich auch gezwungen, ihn im städtischen Hundezwinger auszulösen, und einmal holte ich ihn vom Dache des Nachbarhauses herunter, wohin er sich in atavistischer Erinnerung an Gemsenabstammung verstiegen hatte. Nachdem er das Heu aufgefressen hatte, was seine Ungebärdigkeit und Körperkraft sehr förderte, versuchte ich, ihn mit  Kartoffelschalen zu speisen; das aber lehnte er ab und begab sich in den Ziergarten einer Familie, mit der ich feind war. Dort fraß er binnen zehn Minuten den gesamten Blumenflor auf und richtete überdies Verwüstungen an den Obstbäumen an. Die Familie übergab die Sache der Polizei, aber statt den Bock zu verhaften, mußte ich die Buße zahlen. Schließlich ging ich zu Herrn Rechtsanwalt Dr. Meise und trug ihm den Fall vor.
Es stellte sich leider heraus, daß Herr Dr. Meise kein Spezialist auf dem Gebiete des Ziegenbockrechts war. Er lachte und meinte, ich sei ihm schon als Pechrabe bekannt und er würde den Prozeß gegen Hirzgachler nicht führen, weil das Gericht ja schließlich kein Lachkabinett und er ein seriöser Anwalt sei. Für diese Auskunft forderte er drei Mark Honorar, was ich ablehnte. Hierauf begab ich mich zum Justizrat Bruchband, der für meinen Fall sofort Feuer und Stichflamme war und mir versprach, Hirzgachler dermaßen in die Brennesseln zu setzen, daß er den Rotlauf bekäme. Hieraus entahm ich, daß Justizrat Bruchband ein Tiersachverständiger sei und erlegte den Vorschuß mit gehobener Brust.
Der Prozeß Bibimatz gegen Hirzgachler, der nunmehr entbrannte, wurde die Sensation meines heimischen Amtsgerichts, Zimmer 333, Juristen, vom Referendar aufwärts, werden sich wegen der Lehre vom Gerichtsstand wundern, daß er in meiner Vaterstadt und nicht in Oberbayern ausgefochten wurde. Aber mein Bruchband hatte das sehr fein gedeichselt, indem er sagte, Hirzgachler habe mich betrogen und deshalb sei das sogenannte forum delicti commissi gegeben, welches sich in meinem Amtsgericht befände. Ich habe es nicht genau kapiert, aber immer, wenn ich danach fragte, verlangte der Justizrat eine Beratungsgebührt, und schließlich bin ich nicht so neugierig und ließ der Sache ihr Bewenden.
Hirzgachler ließ durch seinen Rechtsvertreter zunächst vorbringen, er habe eine Ziege an mich geschickt. Ob während des Transports daraus etwa ein Ziegenbock geworden wäre, wisse er nicht, glaube er nicht und müsse auf Grund langjähriger Erfahrung auch bestreiten. Eingehende und umständliche Beweiserhebungen, die unter andern verschiedene hohe Eisenbahnbeamte vor die Schranken des Gerichts brachten, stellten einwandfrei klar, daß mir das ausgeliefert worden war, was Hirzgachler an mich expediert hatte. Bock oder Ziege wisse man nicht. Eine tierärztliche Untersuchung habe man nicht vorgenommen. Hierauf ordnete das Gericht eine Inaugenscheinnahme an Ort und Stelle an, und eines Morgens besuchte mich der Amtsrichter mit seinem Protokollführer. Ich zeigte ihnen den Kistenstall, ich zeigte ihnen die Verwüstungen, ich zeigte ihnen die Futterrechnungen und die Quittungen über inzwischen von mir bezahlte Entschädigungen – aber das Tier (wir hatten uns im Fortgange des Prozesses auf diese neutrale Bezeichnung geeinigt) konnte ich ihnen nicht zeigen. Es war verschwunden, und Herr Justizrat Bruchband verschwieg mir nicht, daß dadurch meine prozessuale Lage sich verschlechtert habe.
Kaum hatte mich das Amtsgericht verlassen, als der Bock wieder erschien. Er hatte in der Aschengrube des Nachbargrundstückes nach Trebern gesucht, während wir ihn suchten. Nunmehr band ich ihn mit einer Kette an den Bettpfosten an. Ich will nicht schildern, wie er sich dort benahm. Ich bin seitdem gallenleidend.
Das Gericht ordnete eine Untersuchung des Tieres durch einen Sachverständigen an. Das war der Kreistierarzt. Er kam und untersuchte eine halbe Stunde, sah mich an, schüttelte den Kopf und brach schließlich in ein Gelächter aus, daß ich jeden Augenblick fürchtete, er werde ersticken. Da er nicht aufhörte, fing ich auch an zu lachen, denn kein Zweifel: er lachte über Hirzgachlers Frechheit, mir einen Bock als Ziege andrehen zu wollen.
Mein Erwachen war fürchterlich. Nachdem sich der Kreistierarzt einigermaßen beruhigt hatte, sagte er, so etwas wäre ihm noch nicht vorgekommen, das „Tier“ wäre beides, sowohl Bock als auch Ziege, es wäre halb und halb, es wäre ein Zwitter!!!
Bei der nächsten Verhandlung war das Zimmer Nr. 333 des Amtsgerichts bis auf den letzten Stehplatz ausverkauft. Als der Sachverständige sein Gutachten erstattete, brach unter tobendem Gelächter auf offener Szene Beifall aus. Vor lauter Verlegenheit neigte ich mich vor dem Publikum. Darauf wurde aus dem Beifall ein Orkan. Das Gericht zog sich zur Beratung zurück, aber ich bin überzeugt, es wollte sich nur in aller Stille auslachen.
Um er kurz zu machen: ich gewann meinen Prozeß mit Glanz. Leider war die Zwangsvollstreckung bei Hirzgachler erfolglos, und ich mußte dem Justizrat Bruchband noch die Kosten ersetzen. Den Bock verkaufte ich für 10 Mark, die sofort bei mir von der Familie gepfändet wurden, deren Blumen der Zwitter gefressen hatte. Ich war zufrieden, daß er nicht den ganzen Garten gefressen hatte. Zwitter sind ja so unzuverlässig.
Ich selbst stand lange Zeit im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Man erkundigte sich schriftlich, mündlich und telephonisch nach dem Schicksal der „Bockziege“. Viele Leute, die es gar nichts anging, schenkten mir zoologische Werke. Franz Werfel dedizierte mir ein Exemplar seines „Bocksgesanges“.
In meiner Straße heiße ich seitdem der Ziegenpeter!