dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Mörder

Dreimal bin ich ihn meinem Leben mit richtiggehenden Mördern in Berührung gekommen. Nicht in Ausübung ihres, sondern meines Berufes. Der erste war ein kleiner Buckliger mit Orang-Utan-Händen und einem Gesicht, das unter Zuhilfenahme einer Wäschemangel fabriziert zu sein schien, so plattgedrückt war es. Die Augen standen beinahe seitlich, und die Ohren waren spitz wie die eines Dobermanns. Lombroso hätte seine Freude gehabt. Ich war ihm, junger Referendar, als Pflichtverteidiger beigeordnet worden und versuchte von ihm zu erfahren, wie das Verbrechen begangen worden wäre.  Der Mörder hatte gute Umgangsformen, verneigte sich höflich und lächelte mich freundlich an. Die sonst übliche Reue oder Zerknirschung ließ er vermissen, und zur Sache meinte er wegwerfend, es habe sich eigentlich nicht gelohnt. Er sei auf dem Nachhauseweg von seiner Stammkneipe einem alten Weibe begegnet, und da habe ihn die Lust gepackt, es ein wenig zu hänseln. Er sei scherzhafter Natur und lache gern. Da habe er nun die Alte von hinten gepackt und ihr mit einer Hand ein bißchen die Kehle zugepreßt. Sie habe die Augen verdreht und schreien wollen. Aber das sei nicht gegangen, und als er nach einigen Minuten geglaubt habe, dem Spaß ein Ende machen zu wollen, sie die Alte plötzlich tot gewesen. Er habe das für Simulation gehalten – die Frauenseien ja alle hysterisch! – und habe sie liegen gelassen, indem er ihr noch höflich „Gute Nacht!“ gewünscht habe. Nach einigen Schritten sei er umgekehrt, die Alte hätte sich nicht gerührt.  Da habe er ihre Handtasche und ein Portemonnaie an sich genommen, denn er sei überzeugt gewesen, daß die Frau schlimmstenfalls ohnmächtig sei, und habe verhüten wollen, daß man sie ausplündere. „Die Gegend da ist ein bißchen unsicher!“ Er hätte beabsichtigt, die Sachen andern Tages aufs Fundbüro zu tragen, er hätte aber zur Kindtaufe bei einem Freunde gemußt, so hätte sich die Ablieferung leider verzögert, und erst als man ihn verhaftet habe, habe er gehört, die Alte sei wirklich tot gewesen. Doch hätte er sie bestimmt nicht umgebracht, sondern der Tod sei unbedingt durch Herzschlag infolge des Schreckens verursacht worden. Das alles berichtete er in einem liebenswürdigen Plauderton, mit allgemeinen Betrachtungen über die Unzuverlässigkeit der Damen vermischt, und als ich ihm sagte, ich könne ihm nach Lage der Sache keine großen Hoffnungen machen, bemerkte er kühl, er sei anderer Meinung, sonst hätte ihm das Gericht wohl einen reiferen Verteidiger bestellt.
Nun – er wurde zum Tode verurteilt, und in der Verhandlung ergab sich, daß er noch vier ungesühnte Morde auf dem Kerbholze hatte.
Der zweite Mörder war siebzehnjährig, Sohn eines angesehenen Beamten, von einer verblüffenden Frühreife in Dingen der Ästhetik, und angeklagt, eine Tanzstundenfreundin auf dem Nachhausewege von einem Kränzchenausflug mittels einer alten Pistole im Walde erschossen zu haben. Sehr von oben herab und mit beinahe geistreichen Wendungen gab er mir, der als Staatsanwaltssubstitut die Sache zu führen hatte, an, zwischen ihm und Frieda – so hieß das gleichaltrige Opfer – hätte seit zwei Jahren ein Liebesverhältnis bestanden. „Nicht, wie Sie derartige Beziehungen auffassen mögen,“ bemerkte er, „sondern aus dem idyllischen Bedürfnis der Freude am Schönen. Frieda war sehr schön, und ich schmeichle mir, ihren Geist und ihre Seele dem edlen Körper angeglichen zu haben. Als ich erfuhr, sie werde einen Mann heiraten, der mit Terpentin und solchen Dingen handle und der mir als skrupelloser Schürzenjäger bekannt war, ertrug ich den Gedanken nicht, ihn mir als ihren Gatten vorzustellen. Da sie allen vernünftigen Gegengründen sich verschloß, fragte ich sie gelegentlich des Ausfluges, ob es wahr sein, daß eine heimliche Verlobung bereits bestände, und als sie das entschieden bejahte, schoß ich sie nieder. Es geht nicht an, daß das Schöne dieser Welt im Sumpfe weiterlebt. Was das Leben verwüsten will, kann der Tod erhalten.“
Er kam mit drei Jahren Gefängnis davon, wurde Schauspieler und fiel im Weltkriege vor Ypern als Freiwilliger.
Mein juristisches Tagebuch weist als dritten Mörder einen auf, der keiner war. Angeklagt und von mir vor dem Schwurgericht verteidigt wurde eine Frau, beschuldigt, eine Grünwarenhändlerin in den Abendstunden mit einem Hammer erschlagen und sodann die Ladenkasse beraubt zu haben. Trotz geradezu erdrückender Indizien leugnete sie mit einer unbeirrbaren Standhaftigkeit, verplapperte sich niemals, und ich hatte den Eindruck: Ist diese Frau schuldig, dann hat sie ihre Verteidigung schon vor der Tat bis ins kleinste ersonnen und auswendig gelernt.  Urteil: Od, begnadigt zu lebenslänglichem Zuchthaus.
Wiederaufnahmegesuche waren erfolglos. Vor allem stand einwandfrei fest, daß die Verurteilte alsbald nach der Tat eine Obligation verkauft hatte, die sicher Eigentum der Ermordeten gewesen war. Eines Tages wurde ich zum Staatsanwalt gebeten, der mir sagte, meine Klientin habe als Mörder einen Bauarbeiter bezichtigt, der bereits verhaftet und geständig sei. Er hatte mit der Verurteilten ein Liebesverhältnis. Es ging ihnen schlecht. Eines Tages schenkte er ihr eine Obligation mit der Bitte, sie für ihn zu versilbern. Die Frau gehorchte ahnungslos. Als sie später erfuhr, daß das Wertpapier Verbrechensbeute sei, leugnete sie zwar die Tat, verreit aber den Geliebten nicht. Erst als sie im dritten Jahre ihrer Haft erfuhr, der ehemalige Geliebte habe ein Dienstmädchen geheiratet, litt ihre Eifersucht kein längeres Stillschweigen.
Wo in den Gehirnen meiner drei Mörder der Defekt lag, mögen Psychiater ergründen.