dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Nie werde ich den Tag vergessen – es war, soviel ich mich halbdunkel erinnere – der 30. Februar, an dem meine Frau größenwahnsinnig wurde. Zu unserer bescheidenen Vierzimmerwohnung gehörte seit Jahren ein stilles Kämmerlein, das wir mit den Biedermeiermöbeln aus Tante Hildchens Nachlaß ausstaffiert hatten. Es sah sehr hübsch aus mit den Stühlen, Tisch und Schrank aus hellem Kirschholz (obwohl mir eigentlich der helle Kirsch in flüssiger Form lieber ist), seinem unbequemen, aber stilechten Schreibsekretär, auf dem unter einem gläsernen Fliegenschutz eine Pendüle pendelte, neben dem Bild von Tante Hildchen als Silberbraut. Wer zu uns kam, fragte, woher wir das wunderhübsche „Interieur“ hätten. Im Laufe der Zeiten hatten wir das Zimmer mit einer innigen Blümchenmustertapete und einem runden Axminsterteppich im Möricke-Geschmack veredelt, und den Ofen heizten wir nur mit Buchenkloben. Es rauchte zwar genauso, wie wenn wir gleich Briketts genommen hätten, aber meine Frau meinte, man müsse doch der Illusion gerecht werden. Auf Kosten der Illusion ist es auch zu buchen, daß sie sich ein seidenes Baregekleid machen ließ mit kurzen, bauschigen Ärmeln, weitem, gefältetem Rock und enger Holzpuppentaille, in deren Ausschnitt ein goldenes Kreuzchen am schwarzen Bande baumelte. Das Haar trug sie in Schnecken und sah in der Rohbilanz eigentlich recht scheußlich aus.
Da heiratete Gerda Schönchen, eine Freundin meiner Frau, die ich von jeher nicht leiden konnte. Sie berichtete eines Tages, sie hätten sich ein herrliches Rokokozimmer gekauft – nach irgendeinem französischen Louis benannt -, und es seit der Vierzehnte oder der Sechzehnte. „Nein“, sagte ich, „es ist der Dreizehnte!“
„Wieso wissen Sie das?“ fragte Fräulein Schönchen. Ich deutete stumm auf den Kalender. Es war in der Tat der 13. Februar, aber Fräulein Schönchen wandte sich indigniert ab, und meine Frau meinte dann, sie habe sich wegen meiner Unbildung sehr geschämt.
Mit der unangenehmen Braut Gerda Schönchen trat jedenfalls der Wurm in meine bis dahin wolkenlose Ehe. Man begreift, daß meine Frau nicht ruhte und rastete, bis sie das Rokokozimmer gesehen hatte, und man begreift weiterhin, daß ihr ganzes Sinnen, Trachten und Denken einseitig auf den Erwerb eines gleichen Zimmers gerichtet war. Es hatte sich inzwischen herausgestellt, daß das Rokokozimmer von Ludwig den Vierzehnten stammte, und wandte vergebens meine Beredsamkeit auf, um meine Gattin von der Anschaffung eines derartigen Meublements abzubringen.
„Siehe“, so tönte ich, „ Du bist ein deutsches Weib, eines von denen, die schon Tacitus besungen hat. Was rühmt der berühmte griechische Geschichtenschreiber vor allem an den deutschen Frauen? Ihr Vaterlandsliebe! Soll es doch sogar vorgekommen sein, daß die Germaninnen die Streitaxt gegen die Feinde geschwungen und eine grenzenlose Tapferkeit mit wildem Blutdurst entwickelt haben. Wenn ich nun auch von dir dergleichen nicht fordern kann, noch will – ich weiß, du kannst kein Huhn schlachten! – so will ich doch deinen Sinn auf Ludwig den Vierzehnten richten, jenen schrecklichen Wüterich und Tyrannen, der die Pfalz mit Mord, Brand und Pestilenz überzogen und Heidelberg so zerstört hat, daß die Ruine des Schlosses bis auf den heutigen Tag nicht wieder ganz geworden ist. Und angesichts dieser schrecklichen Taten wagst du es, unser deutsches Heim durch die Besudelung mit einem Gemöbel zu entweihen, das nach jenem Ludwig genannt wird. Da kann ich nur kurz und schrill hohnlachend und „Pfui!“ ausrufen.
Nun – man hätte eher ein Krokodil zum Weinen oder einen Elefanten zum Niesen bringen können, als meine Frau zur Vernunft.
Nicht einmal das wichtigste Argument, daß mir zum Ankauf eines französischen Ludewig das Geld fehle, schlug durch, denn meine Frau bemerkte kühl, man würde natürlich das ekelhafte Biedermeierzimmer verkaufen und von dem Erlöse Rokoko kaufen. Sowieso hätte kein Mensch heute mehr ein Biedermeierzimmer, und was etwa die Pietät gegenüber der Asche von Tante Hildchen anbeträfe, so wolle ich doch gefälligst nicht vergessen, daß gerade Tante Hildchen es gewesen sei, die damals mit Zähnen und Klauen dagegen gewesen wäre, daß meine Frau mich heirate, mich, einen Menschen, der Schriftsteller, also ohne jeden Beruf sei. Das wurmte mich nun allerdings sehr und ich entfernte noch in gleicher Stunde das Bild der Tante vom Schreibsekretär, der übrigens wirklich furchtbar unbequem war. Ich glaube nicht, daß jemals an einem Schreibsekretär aus der Biedermeierzeit ein unsterbliches Werk geschaffen worden ist. Man kann wahrhaftig kein Auge auf der Platte zumachen.
Ich will sie nicht aufhalten. Um es kurz zu machen: Eines Tages hatte meine Frau den beabsichtigten Verkauf eines echten Biedermeierinterieurs annonciert, und es erschien Herr Gotthold Säumlich, seines Zeichens Altwarenhändler zu höchsten Preisen. Er ging nachdenklich und in sich gekehrt von einem Möbelstück zum andern, zog Kisten und Kästen auf, beklopfte das Holz, wie der Arzt den Brustkorb eines Invaliden, der Rente beansprucht, und legte schließlich seine Stirn in tiefe Falten. Dann nahm er seine Stahlbrille von der Nase – sie sah aus als ob sie von Gottfried von Boullion stamme, die Brille natürlich, nicht die Nase -, schnäuzte sich in ein rotbaumwollenes Schnupftuch, und sagte seufzend und voller Mitgefühl, er wolle 700 Mark für den Krempel geben. Aber nur, wenn wir sofort einschlügen, und weil er sehe, wir brauchten Geld, und weil er ein Menschenfreund sei, obwohl er es nicht verantworten könne, denn er lege Kopf, Kragen und Krawatte bei dem Geschäfte zu. Kurz, er benahm sich so, daß man hätte befürchten müssen, er würde durch den Erwerb unseres Biedermeiers gezwungen sein, Konkurs anzumelden.
„Siebenhundert Mark für ein echtes Biedermeierzimmer“, entrüstete sich meine Frau. Aber Herr Säumlich kicherte diabolisch wie Franz Moor in seinen kannaillehaftesten Stunden.
„Echt??“ rief er, und bohrte mit dem kleinen Finger im Ohr, als habe er einen Pfropf darin, „ich höre immer echt! Junge Frau, das ist lächerlich. Das Zimmer ist eine absolut wertlose Imitation! Wie? Sie haben es von einer Dame geerbt, die selber noch das Biedermeier erlebt hat? Wenn schon! Glauben Sie, man hat damals keine nachgemachten Biedermeiermöbel gehabt? Feste! Die Hälfte, ach was, neun Zehntel aller falschen Biedermeierzimmer stammen doch eben aus der Biedermeierzeit. Siebenhundert Mark ist ein Sündengeld, und ich weiß nicht, wie ich es vor meinen Kindern verantworten soll!“
Muß ich sagen, daß eine halbe Stunde später Herr Säumlich unser Zimmer und wir seine 700 Mark hatten?
Nun begann das Suchen nach einem Rokokomeublement. Meine Frau war, wie gesagt, größenwahnsinnig geworden, sie wollte absolut einen echten vierzehnten Ludwig haben. Denn nachdem man mit dem falschen Biedermeier so ‘reingefallen war – Sie verstehen! Sie lief von morgens mit Mitternacht bei allen Antiquaren herum, ich bekam sie überhaupt nicht mehr zu Gesicht. Ich aß im Restaurant, ich frühstückte im Kaffeehaus, ich führte in jeder Beziehung das Leben eines Junggesellen ohne dessen Freuden, aber mit allen seinen Leiden. Zufällig traf ich meine Gattin einmal auf dem Hinterperron der Straßenbahn. Beinahe hätte sie mich nicht wiedererkannt, denn ich hatte mir einen Vollbart wachsen lassen. „Ach, du bist es“ sagte sie schließlich, „ich fahre eben zu Graupke, unserem größten Antiquitätenhändler. Er soll ein garantiert echtes Louis-des Vierzehnten-Zimmer haben. Komm, sieh’s dir an!“ Ich hatte weiter nichts zu tun und fuhr mit zu Graupke.
Wenn zerbrochene und geleimte Leisten, verschlissener, farbloser Brokat, hervorquellendes Werg, geborstenes Spiegelglas und mottenzerfressene Stoffbezüge die Symptome der Echtheit bilden, so war Graupke allerdings im Besitze eines wassereinen Ludwigs. Ich fand ihn so scheußlich, daß ich still in eine Ecke sah. Meine Frau erkundigte sich nach dem Preise und Herr Graupke meinte, ihr zuliebe (er kannte sie gar nicht) würde er das Zimmer für 5800 Mark geben, aber er könne es weder vor Gott, noch den Menschen verantworten, meine Frau müsse schwören, es niemanden zu sagen.
Dem Himmel sei Dank: die Spanne zwischen 700 und 5800 Mark war zu groß. Meine Frau lehnte tränenden Augapfels ab. Meinte Herr Graupke, es müsse ja nicht Ludwig XIV. sein, dahinten hätte er etwas sehr Hübsches – das sei bedeutend billiger und auch garantiert echt. Und er führte uns in eine dunkle Ecke seines Ladens, und dort stand und lag durch- und untereinander unser Biedermeierzimmer, wie wir es von Tante Hildchen geerbt und an Herrn Säumlich verkauft hatten. Wir waren sprachlos wie die Aale. Herr Graupke nahm es aber für bewundernde Ergriffenheit und rühmte den hohen Kunstwert des Zimmers in höchsten Tönen. Und damit wir sehen, wie reell er sei, und daß er niemanden übervorteilen wolle, vermaß er sich, uns das Zimmer für 3500 Mark abzulassen. Aber nur, wenn wir sofort einschlügen, denn er gehe eigentlich daran zugrunde, und er habe selbst 3475 dafür bezahlt, so wahr er hier stehe. Dabei setzte er sich rasch auf einen Stuhl.
Ich brachte meine Frau ohnmächtig nach Hause. Sie war mit geringen Unterbrechungen vierzehn Tage ohnmächtig und mußte dann ins Sanatorium, was rund 700 Mark kostete.
Das ehemalige Biedermeierzimmer haben wir an einen alleinstehenden Herrn mit eigenen Möbeln vermietet.