dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Buffoterzett

Frau Mira, eine in jeder Hinsicht hinreißende Blondine, korrigierte das Pech in ihrer Ehe im Spiel mit der Liebe. Zur Zeit war ihr Partner ein gewisser Arwed, dessen kühle und stets beherrschte Eleganz, dessen durch Sport gebändigten Sinne vor der spitzbübischen Berechnung kapitulierten, mit der Frau Mira Erfüllungen hinzögerte, die sie – Zeitpunkt vorbehalten – hoch und heilig versprochen hatte.
Wer weiß, zu welcher Katastrophe Miras Taktik geführt hätte, wenn nicht Kurt, der Gatte, Ereignisse beschleunigt hätte, deren Verhinderung seit langem die einzige, eheliche Pflicht bedeutete, der er sich noch hingab.
Eines Tages nun stürmte Kurt das Arbeitszimmer Arweds, das in der Hauptsache für ungestörte Nachmittagsruhe eingerichtet war, um vor Begeisterung den Ruf hinzuschmettern:
„Marion ist wieder da!“
„Ah!“ erwiderte Arwed und verfolgte unbeteiligt den Lauf des pfauenhaften Mandarinenmusters in der Tapete.
„Marion!“ jubilierte Kurt nochmals und rüttelte Arwed an der Schulter, „hast du vergessen, wer das ist?“
„Eine lebhaft gefärbte Rotviolette, mit dem Tic, Schwedenpunsch aus Sektgläsern zu trinken und in die kalte Brühe einen Schreckschuß Kognak zu schütten, eine entartete Marchesa aus der Umgebung des Vesuvs, von Lord Brewster in die Welt und von Herrn Bankdirektor Rabbisohn in die Halbwelt eingeführt, seit fünfviertel Jahren deine Geliebte, wenn sie zufällig mal in deine Nähe kommt.“
„Dein Gedächtnis hat etwas Penetrantes“, ärgerte Kurt, „und im übrigen ist Marion eine Dame!“
„Du bist sehr eitel. Aber nur, um mir darüber eine Privatissimum zu halten, bist du wohl nicht gekommen.“
„Gewiß nicht – -„
„Fahre fort!“
„Also, Marion ist wieder da. Vor zehn Minuten reif sie mich im Büro an. Sie will unbedingt heute Abend mit mir zusammen sein.“
„Ruhet sanft!“
„Hör‘ mit deinem ekelhaften Zynismus auf. Wenn ich dir sage, daß Marion meinem Herzen nahesteht – in gewisser Distanz natürlich“ – –
„Gewisse Distanz ist klassisch edel!“
„So wirst du begreifen, daß ich mich absolut für sie reservieren muß – – heute Abend.“ – –
„Bis zum Hahnenschrei!“
„Ich muß diese – hm, vielleicht längere Abwesenheit vor Mira irgendwie motivieren“ – – –
„Früher gingst du doch in solchen Fällen immer mit Erfolg in eine Sitzung?“
„Das würde ich auch tun, aber – – -„
„Sie glaubt wohl nicht mehr an die Märchen, so beginnen: Es war einmal eine Sitzung, oder es war einmal ein Geschäftsfreund – was? Diese holden Märchen aus tausendundeiner illegitimen Nacht.“
„Herrgott – ist es denn nicht möglich, mit dir ein ernstes Wort zu reden?“
„Versuch’s immerhin, amico!“
„Ich hätte nämlich eine Idee, wie ich Mira begreiflich machen könnte, daß – – -„
„Nun?“
„Ich will ihr sagen, daß ich mit dir auf einen Bock fahren muß.“
„Was willst du mit mir tun?“
„Du hast doch die schöne Jagd in Groß-Olzig“ –  –
„Seit drei Jahren habe ich sie verpachtet, und heute kommst du – -„
„Das weiß doch Mira nicht. Ich werde ihr also sagen, du habest mich eben angerufen, und ich würde heute Nacht auf diesen Anstand fahren – -„
„Auf den Anstand – -„
„Mira hat keine Ahnung, was das ist – – ich meine, was das jagdlich bedeutet. Also, nicht wahr, abgemacht? Du verrätst mich nicht.“
„Natürlich nicht.“
„Dein Förster hat dir geschrieben, und dann hast du mich angerufen, und dann sind wir beide – -„
„Auf den Anstand gefahren. Hm! Die Sache hat aber einen Haken.“
„Welchen?“
„Nun, du wirst nicht erwarten, daß ich den ganzen Abend hier einsam vertraure und vielleicht Jagdgeschichten lese, während du in galanten Revieren pirschst. Auch die Freundschaft hat Grenzen.“
„Es wird dir doch, zum Kuckuck, nicht schwer fallen, einen Abend so zu verbringen, daß Mira nicht erfährt – -„
„Wo du ihn verbracht hast? Hm!“
Und Arwed verfiel in grüblerisches Nachdenken. Hier winkte das Schicksal mit allen zehn Fingern, und er war entschlossen, ihm zu folgen.
„Abgemacht, mein lieber Kurt! Sage Mira ruhig, die führest mit mir auf die Jagd!“
„Wie soll ich dir danken?“
„Schieße einen Rehbock für mich mit. Es braucht ja kein fingierter zu sein.“
„Mit tausend Freuden. Ich kaufe dir dann gleich einen. Mit fünf Zacken.“
„Bitte, das Geweih kannst du behalten!“
„Hahahaha!“
„Hahahaha! Wiedmannsheil!“
„Weimannsdank!“
Und sie schieden als gute Freunde. Kaum aber war Kurt gegangen, als Arwed an das Telephon stürzte und Frau Mira den ganzen Schwindel aufdeckte. Frau Mira war so wütend, wie eine Frau sein kann, die ihrem Manne nur deshalb treu bleibt, weil sie keinen eklatanten Beweis für seine Untreue hat und willigte schließlich darein, Arwed heute Abend gegen 8 Uhr zu besuchen, vorausgesetzt, daß ihr Mann seine Abwesenheit mit der Jagdfahrt entschuldigen würde.
Arwed bestellte ein amüsantes kleines Souper, daß zur Feier des äußeren Anlasses aus lauter Wildbret bestand.

* * *

„Nein, nein, nein – von dem Sekt trinke ich nichts mehr, sträubte sich Frau Mira. Aber sie lachte dabei, und Arwed benutzte die Gelegenheit, ihr den Sektkelch an die heißen Lippen zu setzen. Sie hatte die Wahl, sich zu verschlucken oder zu trinken, und sie tat das letztere.
Eigentlich war der Abend reizen, und Frau Mira bedauerte, ihn so lange hinausgezögert zu haben. Arwed war ein charmanter Gesellschafter, voll verrückter Einfälle, galanter Huldigungen. Als er zum ersten Male den Arm um sie geschlungen hatte, sagte sie: „Mein Freund, ich bin eine anständige Frau!“ Als er ihr den ersten Kuß auf den Nacken drückte, hauchte sie mit geschlossenen Augen: „Schonen Sie mich!“ Und als er sie bat, den seidenen Kimono anzulegen, der angeblich der Prinzessin O’Tschan gehört hatte und suggestiv parfümiert war, flüsterte sie: „Lösch wenigstens das Licht!“ Dann hob er sie in seinen Armen hoch empor und küßte sie hinter das Ohr„Halali!“ flüsterte er.

* * *

„Nun, mein Freund, hast du eine gute Jagd gehabt?“ fragte Frau Mira anderen Tags beim Frühstück ihren Mann.
„An sich ja“, entgegnete der, und seine Phantasie arbeitete fieberhaft. „Das Wetter war prachtvoll. Geradezu mild. Der Mond stand am Himmel, und das große Schweigen der mächtigen Natur umfing uns.“
„O, wie lyrisch!“
„Es war lyrisch. Wir hatten das beste Büchsenlicht. Ich saß auf der Kanzel, die Büchse im Arm, das Glas vorm Munde – eh vorm Auge.“ Plötzlich hörte ich, wie sich etwas regt. Zweige knackten, ein Schatten wird sichtbar. Ich war so aufgeregt, daß ich vor dem Klopfen meines Herzens nichts anderes vernahm. Ich stoße Arwed an, der neben mir einzuschlafen drohte – – „
„Einzuschlafen?“
„Ja, er ist so poesielos. Arwed fährt auf und schreit „Zu Hilfe!“ und kracht sein Gewehr los. Er hatte geträumt, man wollte ihn umbringen, der Trottel. Natürlich war nun das Wild vergrämt, und wir mußten ohne Beute nach Hause fahren. Es ist ein Jammer. Um ein Haar hätten wir den kapitalen Bock gehabt.“
„Sei froh, daß du ihn nicht geschossen hast, sonst hätte man dir den Prozeß wegen Wildfrevels gemacht. Seit dem fünfzehnten haben die Böcke nämlich Schonzeit. Ich habe im Lexikon nachgelesen, mein Freund, denn die Geschichte mit der plötzlichen Nachtfahrt war die unglücklichste Ausrede, die dir jemals eingefallen ist. Kurt, Kurt – wenn du nicht so gute Freunde und eine anständige Frau hättest!!“