dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Der Ausverkauf

Unter der dauernden Einwirkung meines Dackels Kläffke ließ meine Zahnbürste so viele Haare, daß eine Neuerwerbung Gebot der Morgenstunde war. Glücklichen Zufall dankte ich, daß in jene Zeit der große Inventurausverkauf des Kaufhauses Bredullje GmbH fiel, wo man vor allem Zahnbürsten halb geschenkt bekommen sollte. Es interessierte mich besonders das Problem, was die andere Hälfte kosten würde. Also begab ich mich hinorts.
Eine sehr hübsche Verkäuferin, brünett mit Maiglöckchen (meine Lieblingsmischung), nahm mich am Eingang in Empfang und fragte nach meinem Begehr. In ihren holden Anblick getaucht, lispelte ich diskret: „Mit Ihnen in die Operette gehen!“  Sie lachte und bemerkte, die Theaterkasse sei gleich links. Wohin ich mich begab.
Leider waren Operetten-Billetts nicht mehr zu haben. Ein langmähniger Jüngling empfahl mir „Don Carlos“ in der Schauburg. Ich verlangte zwei Karten. „Ein Kind ist frei!“ sagte der Langmähnige. Schämig erwiderte ich, solches käme bei mir weitaus nicht in Betracht.
Ich kam an Ballen feinster Seidenstrümpfe vorbei, anmutig unterspickt von weiblichen Beinhülsen aus gleichem Material, Schlüpfer genannt. Durch eine merkwürdige Ideenverbindung (sollte sie mit der Kantschen Theorie vom „Irreal – Erhofften“ zusammenhängen) zwischen der niedlichen Eingangsverkäuferin und Don Carlos ließ ich mich verleiten, je ein paar Strümpfe mit passendem Darüber zu erstehen. Undelikaterweise fragte mich die Bedienerin nach der Größe. Ich entgegnete verwirrt, das wisse ich nicht. „Aha“, meinte die zudringliche Person, „wohl für das Fräulein Braut?“ Dieses ärgerte mich. Ich habe keine Braut, und wenn ich eine hätte, würde ich nie … Außerdem war die Seidenverkäuferin häßlich und hatte ein links angeleimtes Auge. So entgegnete ich ziemlich rotbarsch: „In Ihrer Größe!“ Worauf sie sich ohne Grund entrüstete, sie sei ein anständiges Mädchen und habe es nicht nötig.
Mit meinen Schlüpfern und den Strümpfen kam ich an einem Nickelwarenlager vorbei. Ein schneidiger junger Herr klopfte mit anmutig gekrümmten Mittelfinger an Aluminiumschüsseln und -töpfe und erklärte dem Publikum, etwas Preiswerteres gäbe es in Europa nicht wieder. „Prima Aluminium! Direkt aus nichtverbrauchten Beständen der Reichsmetallstelle. Ohne den Schandvertrag von Wersähl wären diese Töpfe und Teller Granaten geworden!“ Da hier eine Gelegenheit war, Erinnerungen an die große Zeit zu erstehen, handelte ich sofort eine Waschgarnitur, einen Satz Töpfe und eine Kaffeemühle ein – alles wirklich sehr billig. Leider machte nur der Transport des umfangreichen Pakets Schwierigkeiten: ich hatte das Unglück, einer älteren Dame das Kapotthütchen mit einer daran wippenden Pleureuse vom Haupte zu stoßen. Da ich ihr sofort nebenan einen hochfeinen Tüllabendhut, Kanarienschwanzfedern malerisch besteckt, als Ersatz kaufte, wurde ein Prozeß in letzter Stunde vermieden. Möge es allen Prozessen so ergehen!
Um mich herum tobte ein derartiges Menschengewühl, daß ich mit meinem Fuder Aluminium heftigen Anstoß erregte. Besonders ein älterer Herr, der nach Starkbier roch und einen entblätterten Brasilzigarrenstummel an meinem hellen Paletotärmel zuschanden rieb, daß Funken stoben, heftete sich so lange an meine Fersen, bis ich ihm eine Havanna in der Tabakwarenabteilung kaufte und drei Schachteln Zigaretten: „Feinsliebchen“. Später stellte sich übrigens heraus, die Zigaretten in einem Sammeltransport mit prima Kieler Sprotten gereist sein mußten. Infolgedessen …
Ich strebte zum Eingang zurück, um meinem niedlichen Maiglöckchen die Theaterkarte und das andere zu geben; aber ich fand mich nicht mehr zurecht. Vielmehr ich konnte nicht. Die kompakte Menschenmasse, in die ich hineingequetscht war, verhinderte jedes Ausbrechen. Um verschnaufen zu können, kaufte ich an verschiedenen Ständen, die ich passierte, einen Teppichklopfer, Marke „Immer fest druff!“, eine Zimmerpalme Araucaria Strychnini comm., einen echten Harzer Edelroller, auf den Namen „Hans Teschendorf“ hörend und zwei paar Filzpantoffeln mit Plattfußeinlage. Ich hatte nicht mehr Hände genug, die Dinge zu schleppen, trotzdem ich alle Taschen vollgepfropft hatte. Den Edelroller und die Zimmerpalme hatte ich in die rechte Überziehertasche gestopft, während aus der linken immer noch die Schlüpfer und die Strümpfe wedelten, sehr beengt durch das Kopfstück des Teppichklopfers. Die Filzpantoffeln trug ich am Bindfaden um den Hals geschlungen, während ich mir die Plattfußeinlagen an den Hut gesteckt hatte. In der Brusttasche verwahrte ich ein halbes Pfund Tilsiter und eine polnische Frühstückswurst, die ich inzwischen noch an mich gebracht hatte, obwohl ich im allgemeinen kein Freund allzu starken Parfüms bin.
Am meisten behinderte mich immer noch die Waschgarnitur und sechs Klubdosen mit portugiesischen Oelsardinen, die mir versehentlich überreicht worden waren, als ich mir „Das Leben und Sterben des Kornetts Rilke“ vom R. M. Rilke kaufen wollte. Ich fragte nach dem Kornett und man wies mich zu den Nahrungsmitteln, wo man glaubte, ich verlange nach Corned Beef. Dieses war ausgegangen und kam erst Ende der Woche wieder; inzwischen drückte man mir Oelsardinen in die Hand. Es war ein großes Mißverständnis.
Auf meinem Leidenswege erstand ich dann noch eine komplette Wintersportgarnitur mit Skiern und eine Rindlederhandtasche aus echtem Kaliko. Diese war sehr praktisch, denn ich konnte die Oelsardinen hinein tun. Leider brach sofort der Boden durch.
Zum Glück passierte dieser Augenblick höchster Not gerade vor der Spielwarenabteilung, und ich konnte wieder einmal sehen, daß Gott keinen Deutschen verläßt. Flugs handelte ich ein Kinderautomobil. Dieses sehr sinnreiche Gefährt bestand vorn aus einer Art einfachen Velozipeds, hinten aus einem Kasten auf vier Rädern. Man setzte sich vorn drauf, legte die Füße auf zwei bewegliche Latten und brachte sich auf diese Weise fort. Ich verfrachtete nun alsobald meine Einkäufe in den hinteren Kasten und schwang mich auf den Führersitz. Eine kleine Hupe machte das Publikum auf die Gefahren aufmerksam. Dazu pfiff mir mein Edelroller aus der Tasche, aber nur noch piano. Man machte mir bereitwilligst Platz. Von Gedränge keine Spur mehr. Man bildete geradezu Spalierobst. Durch die Gassen fuhr ich wie Leonore ums Morgenrot leicht und schmerzlos, und Beifallsgeheul lachtobender Mitwelt umraste mich. Ich dankte ergriffen.
Als ich nach mancherlei Fährnissen endlich zu Hause landete, hatte man mir so ziemlich alles geklaut, was ich eingehandelt hatte. Zu guter Letzt holte sich mein Dackel Kläffke den inzwischen selig verschiedenen Edelroller aus meiner Tasche und verspeiste ihn widerstandslos. Kläffkes Anblick rief mir die Tatsache in Erinnerung, daß ich eigentlich ausgezogen war, eine Zahnbürste zu erstehen. Es scheint, als ob man gerade diesen Artikel weniger in den Lagerhäusern als vielmehr in ruhigeren Erdteilen zu kaufen tunlichst nicht unterlassen soll.