dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Herein stürmte in einem farbenjauchzenden Frühlingskleider und einer Wolke von „Ersten Veilchen“ eine bildschöne Frau. Jenseits der besten, aber inmitten der guten Jahre. Von der süßen Schlankheit, die die zärtlichsten Rundungen garantiert. Unter einem deliziösen Hütchen das rotblonde Haar der italienischen Sonnette. Gleich echt die purpurnen Lippen, die leuchtende Nacht der Augen und der rosige Flaum der Wangen. Ein allererstes Ensemble.
Ich saß in Filzpantoffeln, Schillerkragen und historischer Hausjacke am Schreibtisch und dichtete allerhand in die Steuereinschätzung. Auf einmal hatte ich die Dame auf den Knien, fühlte zarteste Gabardine am Halse und einen Kuß auf dem Mund, der geradezu nach Scheherazade duftete. Gegen diese Begrüßung hatte ich nichts einzuwenden, fand mich rasch in die Situation und küßte retour, da ich mir in dieser Beziehung nichts schenken lassen wollte. So küßten wir reziprok einige Minuten, als mir schwerlastend meine Frau auf die Seele fiel, die jeden Augenblick zurückkommen mußte und, wie ich aus Erfahrung wußte, dagegen Einspruch erheben würde, daß eine fremde Dame von solcher Schönheit meine Knie als Fauteuil benutzte. Ich legte also den Kopf zurück und geriet dabei an Konturen – – zum Kuckuck! In den unpassendsten Momenten ist man verheiratet.
„Ja, Liebling, ich bin‘s wirklich, schau mich nur an!“ sagte die Dame, und es klang direkt nach Wiener Walzer. „Gelt, das hast du nicht erwartet, daß ich heute zu dir kommen würde!“
Ich hatte es in der Tat nicht erwartet.
„Du weißt natürlich nicht, was heute für ein Tag ist, du Schlingel? Du hast keine Ahnung, daß heute der 1. April ist, he?“ beutelte mich Scheherazade an den geringen Locken, die aus dem Bankrott meiner Jugend gerettet hatte. Der 1. April? Hm? Natürlich! Es konnte nicht anders sein!
„Du hast sie freilich vergessen, deine kleine Alice, den Lixerl, wie du sie nanntest, seit jenem seligunseligen 1. April des Jahres – – aber lassen wir das. Du bist auch nicht jünger geworden.“
„Eine logische Folge des – – -„ warf ich in die Konversation ein.
„- – des Ruhmes,“ warf sie mich aus der Konversation hinaus. „Ja freilich, berühmt bist du geworden! Und noch ganz der liebe gute Kerl von damals. Du – weißt du noch, wie ich deine erste Operette kreierte? Und was du für Angst hattest, daß ich dir den Walzer im zweiten Akt verpatzen würde, den du mir direkt auf den Leib geschrieben hattest – damals – – am – -„
„Am 1. April,“ bemerkte ich.
„Aber nein,“ lachte sie in Cascaden, „am Gardasee! Du scheinst ja recht viel Walzer komponiert zu haben, du!“
„Es macht sich!“ schwerenöterte ich.
„Ach, du Süßes, du! Weißt, ich bin nicht prüde, eine gefeierte Künstlerin, wär ja blöd, na ja, also gut, ich hab meine Pantscherln, aber das schwör ich dir: Du bist mir doch der Liebste gewesen. Dich hab‘ ich nie vergessen. Sonst wär‘ ich heute bestimmt nicht gekommen an unserem Gedenktag.“
„Ein reizender Einfall!“ stellte ich fest.
„Hast dich wohl ein bissel gewundert, daß ich damals so spurlos verschwunden bin?“
„Allerdings – – -„
„Ja, schau, ich wollte dir immer schreiben, all die Jahre hindurch, aber dann hab‘ ich mir gedacht, sagst es lieber bei Gelegenheit. Wenn es mal so klappt mit dem 1. April!“
„Es hat geklappt!“
„Lumpi!“ Längere Kußfermate. Schließlich unterbrochen durch einen schwefelgelben Blitz in meinem Bewußtsein. Der Blitz war meine Frau. Hoffentlich streikt die Straßenbahn. Eine Republik für einen Streik!
Geh, was machst denn für Angstaugen auf einmal?“ fragte die Holde. „Ich bin dir ja noch immer gut, und wenn mein Mann nicht gar so eifersüchtig wär‘ – – gelt, du hast doch gelesen, daß ich mich verheiratet hab‘?“
„Reden wir nicht vom Heiraten!“ bog ich aus.
„Ja, du hast gut reden, du alter Hagestolz!“
„Wie man’s nimmt!“
„Und was macht denn allweil die Milli Sanfoni? Und die Lola Gutberg? Und der schöne Ralph, weißt, der immer so g‘schwinde Hüterl‘n trug und den du mal windelweich geprügelt hast, weil du glaubtest, er stieg mir nach. Jessas, die Zeiten! Und der Kapellmeister Dippelmann, der immer eine g’schwollene Backe hatte – wegen die Zähn‘, wie er sagte – ‚s war aber wegen z’weg’n der Frau! Lebt der noch?“
„Ja, aber die Frau ist tot!“
„Unberufen! Die alte Bisgurn! Was die sektiert hat, weil ‚s glaubt hat, ich mach mir was aus ihr‘m Egon! Pah! Wie ich gebaut bin! Und wo ich doch dich hatte!“
Die gänzlich unerwartete Treue mußte nachträglich belohnt werden. Ich tat es mit der Generosität, die mich in solchen Stimmungen auszeichnet.
„Aber geh!“ machte sich Lixerl von mir los und lachte. „Artig sein! Und daß ‚d mich fei net so zerrauffst. Wo doch der Ulli so eifersüchtig is.“
„Dein Mann!“
„Geh, hör mir auf! Mein Mann heißt doch Franzl. Der Ulli ist mein – no?“
„Dein Liebhaber?“
„Daß i net lach! Solchene G’schichten gibt’s fei net mehr bei mir. Naa, der Ulli ist mei Pudel! Du, der is g’scheiter als wie a Mensch! Wann i heim komm und hab‘ die Haar zerrauft, der weiß glei, was los war. Und dann bellt er, wie net g’scheit. Und mein Mann lacht denn immer und sagt: Nein, was der Hund sich freut. Ja, so blöd is er.“
„Der Pudel?“
„Naa, der Franzl! Aber du, jetzt muß ich gehn. Nein, nein, laß mich, ich hab‘ noch alle Händ voll zu tun. Aber morgen komm i wieder, wann‘s dir paßt.“
„Leider nicht. Morgen verreise ich.“
„Wohin denn? Am End gar nach – – -?“
„Ja, gewiß!“
„Is wirklich wahr? Nu, das g’freut mi aber. I hab’s ja in die Zeitungen g’lesen, aber i hab’s net recht glauben wollen. Naa, wie berühmt du bist. Alsdann Servus! Und schreib mir amal, hörst du? Da – noch a Busserl – – Naa, jetzt is Schluß! Hier hast du das Veilchenbuketterl – hab’s unterm Herzen getragen. Servus, Lumpi!“
Hinaus war sie! Und ich saß da im grauen Alltag vor meiner Steuereinschätzung, ein Veilchensträußchen in der Hand und die Nase voll von unbeschreiblichen Düften. Dann machte ich das Fenster auf und zündete eine Zigarette an und war das Buketterl hoch im Bogen auf die Gasse. Jeder Ehemann wird mich verstehen.
Ich habe in meinem Leben an keinem 1. April ein solches Glück gehabt, ich habe nie eine Lixerl gekannt, ich habe nie eine Operette komponiert, ich kann keinen Finger Klavier spielen, ich habe mit der Kunst nur insoweit zu tun, als ich gegen Provision in Kunstdünger mache, und ich war niemals am Gardasee.
Jetzt möchte ich nur wissen, mit wem mich Scheherazade  verwechselt hat.