dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Der Schicksalsdackel

Am gleichen Tage, da Filberlings der Dackel zulief, gewannen sie 5000 Mark in der Preußischen Klassenlotterie. Beide Ereignisse fielen sozusagen in einen Topf.
Der Dackel war schokoladenbraun, männlichen Geschlechts und schätzungsweise dreiviertel Jahr alt. Im übrigen waren und blieben seine Verhältnisse im dunkel.
Die alte Auguste Filberling, von einem geradezu mittelalterlichen Aberglauben besessen, war gußeisern überzeugt, daß nur der Dackel schuld an dem Lotteriegewinn sei, daß er das Glück ins Haus gebracht habe, daß er ein Pensionär des Schicksals sei, bestimmt, das Los und die Lose der Familie Filberling einer strahlenden Zukunft entgegenzuführen, in Gegenrechnung für liebevollste Behandlung und erstklassige Verpflegung. Ihre Schwiegertochter Flora schloß sich der folkloristischen Auffassung ohne weiteres an, und nur ihr Sohn Heinrich lächelte überlegen und skeptisch. Er war von jeher ein Freigeist gewesen, und das hatte ihm schon mehrfach geschadet.
Der Dackel aber war sehr schlau, wie fast alle Dackel, und merkte bald, daß er das Richtige getroffen hatte, als er Filberlings zugelaufen war. Er hatte längere Zeit geschwankt, ob er nicht vielleicht zu Schmidts in die erste Etage oder zu Richters in die zweite laufen sollte und hatte sich erst eine Weile mit den näheren Verhältnissen vertraut gemacht. Er überdachte mit ernsthaft gerunzelter Stirn eingehend alle Chancen. Bei Schmidts wäre es soweit nicht schlecht gewesen. Es roch von dort gut nach Braten, das Dienstmädchen machte einen gutmütigen Eindruck, und im Korridor stand ein schöner, weichgepolsterter Stuhl, der – wie die anatomische Untersuchung wohl einwandfrei ergeben würde – offensichtlich keine Sprungfedern, sondern Roßhaar enthielt. Aber die Kinder! Schmidts hatten drei Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren, und der Dackel verabscheute nicht so sehr wie Kinder in diesem Alter. Er mußte wohl nach der Richtung bestimmte und sehr peinliche Erfahrungen gemacht haben.
Richters waren reputierliche Leute. Aeltere Leute mit einem erwachsenen Sohn, der leider Klavier spielte. Das vertrug der Dackel nicht, aber schließlich hätte er sich geholfen. Denn selbst das stärkste Fortissimo ist auf die Dauer gegen das Geheul eines Dackels wehrlos. Aber Richters waren Vegetarianer, und dagegen hilft kein Heulen.
Blieben also Filberlings. Kinderloses Ehepaar mit gutem Auskommen und gemischter Kost. Im Erdgeschoß wohnhaft. Geräumiger Küchenbalkon und kleines Gärtchen, in dem – man ist nicht umsonst Jäger! – eine Hühnerfamilie gehalten wurde. Der Dackel entschloß sich für diese Heimat und wischte durch die Vorsaaltür hinein, als diese dem Briefträger geöffnet wurde, der die freudige Botschaft von dem Lotteriegewinn brachte.
„Wir wollen ihn Midas nennen!“ sagte mit Freudentränen und gerunzeltem Zeigefinger die Schwiegermutter Auguste. „Der hatte auch so viel Geld und so lange Ohren!“
Midas II. feixte und schleppte sich das brokatseidene Fußbänkchen aus dem Salon in die Küche neben den warmen Ofen. Niemand wagte es ihm streitig zu machen.
Mit Rücksicht auf seine magnetischen Eigenschaften fürderhin zu erwartende Fortuna wurde Midas in einer Weise verzogen, die einen Hund hätte jammern können, wenn er es bei Menschen beobachtet hätte. Insbesondere Auguste leistete darin Unübertreffliches. An den Tagen, wo Filderlings nur Gemüse aßen, bekam Midas von ein ihr geschabtes rohes Beefsteak. Es bekam ihm eigentlich nicht besonders, er kriegte die unliebsamen Spulwürmer davon, die Krämpfe hervorrufen, und der Spezialarzt meinte, der Dackel würde bei dieser Ernährung bald eingehen. Trotzdem fuhr Auguste fort, das Glückstierchen mit Leckerbissen zu ruinieren. Das ärgerte Midas, und er dankte, indem er Augustes nagelneue Kamelhaarfilzpantoffel für 8,50 Mark zerfetzte. Heinrich wollte ihn dafür verprügeln, aber die Damen fielen ihm in den rächenden Arm. Wollte er etwa das Glück zum Hause hinaus prügeln?
Daß Midas auf den Namen Midas überhaupt nicht hörte, versteht sich von selbst. Daß er, was die Reinlichkeit anlangt, die Straße mit der Stube und umgekehrt dauernd verwechselte, hätte ihm beinahe das Leben gekostet, weil die Hausmannsfrau, über den Zustand des Stiegenteppichs im Treppenhaus ergrimmt, eine Kohleschaufel nach ihm schleuderte, die leider den alten Herrn Richter so empfindlich am Schienbein traf, daß er vierzehn Tage das Bett hüten mußte. Auguste war empört. Sie nannte die Hausmannsfrau eine ekelhafte, ungebildete Person, worüber im Schöffengericht entschieden wurde. Für 20 Mark bekam es die Hausmannsfrau schriftlich, daß niemand sie der Ekelhaftigkeit und der Unbildung zeihen durfte. Darauf nannte sie ihrerseits Auguste „die olle Klamotte mit’n Dackelklaps“, aber man konnte es ihr nicht beweisen.
Midas aber gedieh. Nicht nur die ihm gespendete, reichliche Kost, sondern auch die vielen, auf eigene Faust unternommenen Raubzüge machten ihn prall und rund. Die Hühner starben aus, die Grünkramhändler schlossen ihre Läden, wenn Midas auftauchte, weil er Bücklinge, Wurstzipfel und Rollmöpse stahl. Filberlings zahlten enorme Fleischrechnungen, weil sich Midas auch bei den umwohnenden Schlächtern selbst verköstigte, wenn ihn die Laune packte. Wurde er deswegen gescholten, so stellte er die Ohren auf, wackelte mit dem Schwanze und ging, totbeleidigt, auf Reisen. Drei, vier, acht Tage lang blieb er fort. Dann brachten ihn mildherzige Leute zurück, verlangten Futtergeld, Finderlohn und Ersatz für zerrissene Textilien. Heinrich Filberling meine grimmig, jetzt würde Midas wohl bald den Gewinn aufgezehrt haben, den er seinerzeit ins Haus gebracht hätte.
Das Schlimmste aber war, daß der Dackel seiner eigentlichen Bestimmung Glück zu bringen, nicht gerecht wurde. Im Gegenteil: alle Dienstmädchen kündigten Knall auf Fall, weil ihnen Midas die Garderobe zerfetzte, der Hauswirt klagte auf Räumung, weil das „Vieh“ aus seinem Hause einen Schweinestall machte, Auguste rutschte auf den Spuren des Dackels aus und brach den Arm, ein sehr einflußreicher Herr, der Filberling eine glänzende Position verschaffen wollte, blieb dauernd und ergrimmt weg, weil Midas seinen unter dem Stuhl gestellten Zylinder für einen Baum gehalten hatte. Kurz: eigentlich brachte der Glückshund scheußliches Pech.
Eines Tages ging Heinrich finster und mißmutig mit dem Dackel in den Anlagen spazieren. Auf einer Bank saß ein netter, junger Mann neben einer älteren, sehr bunt gekleideten Dame. „Ein reizendes Hündchen!“ sagte der junge Mann, und die bunte Dame nickte. Heinrich Filberling hatte eine Idee.  „Wollen Sie es haben?“ fragte er gewinnend. Der junge Mann meinte, das könne er nicht annehmen. „Aber ich bitte Sie!“, warb Heinrich, „wir haben noch drei und müssen sowieso einen abgeben. Aber nur in gute Hände!“ Darauf bedankte sich der junge Mann, Heinrich gab ihm den Strick in die Hand, an dem Midas hing, und eilte spornstreichs davon.
Fast wollte er seinen Entschluß bereuen. Auguste und auch Flora zogen sich von ihm zurück. „Wie kann man ein wehrloses Tier so behandeln?“ schlu
chzte Auguste, „wart‘ nur, das wird dir kein Glück bringen!“ Aber Heinrich war dennoch glücklich, daß er Midas endlich los geworden war.
Eines Frühmorgens klingelte es. Draußen stand der junge Mann mit Midas, der so tat, als kenne er Filberlings überhaupt nicht.
„Ihr Dackel hat mir Glück gebracht!“ meinte der junge Mann.
„Siehst du!“ rief Auguste zu Heinrich und war eine beleidigte Königin.
„Wieso?“ stammelte Heinrich, sehr blaß.
„Meine Braut – die ältere Dame, sie erinnern sich an die schreckliche Person? – hatte einen Vogel. Einen Kanarienvogel, den sie über alles liebte, und der frei im Zimmer rumflog. Eines Tages entdeckte ihn der Dackel und bald darauf – Sie verstehen?“
„Ja, ja“ seufzte Filberling, „Geflügel mochte er immer gern!“
„Na – meine Braut fiel in Ohnmacht und dann machte sie mir einen furchtbaren Skandal. Infolgedessen ging die Verlobung in die Brüche und das war mein größtes Glück. Denn es stellte sich heraus, daß meine Braut die Mitgift gar nicht hatte, die sie angeblich geerbt haben wollte. Das hätte ein schöner Reinfall werden können. Wie gesagt, Ihr Dackel hat mir Glück gebracht!“
„Siehst du, siehst du!“ wiederholte Auguste schmerzdurchbebt.
„Und weil ich keine Egoist bin und meinen Mitmenschen auch ein bißchen Glück gönne, deshalb bringe ich ihn wieder!“ schloß der junge Mann, ließ die Familie Filberling stehen und sauste davon.
„Gott sei Dank, daß wir ihn wiederhaben!“ jubelte Auguste und drückte Midas an die Brust.
Am selben Tage noch reiste Heinrich Filberling nach Amerika, um dort spurlos zu verschellen.