dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Die Siege des Caligula

Am Jahrestag der Schlacht bei den Thermopylen (wir hatten Erbspüree und Bockwürstchen) erhielt ich von der Mieke-Meike-Filmcompanie in Wuhlheide bei Berlin die telegraphische Anfrage, ob ich in dem Riesensensationsparadefilm „Die Siege des Caligula“ mitwirken und einige Kilometer über die Leinwand laufen wolle. Später stellte sich heraus, daß die Depesche eigentlich für Reinhold Schünzel bestimmt war. Wieso die Verwechslung entstehen konnte, ist bis heute in das Dunkel des Postgeheimnisses getaucht.
Da die Bedingungen ungemein günstig waren – 5 Dollar täglich, freie Fahrt, Versicherung gegen Leib-, Lebens-, Feuer- und Hagelgefahr, achtwöchiger Eheurlaub – packte ich sofort meine Botanissiertrommel und reiste ab. Vorher hatte ich noch aus dem Kleinen Meyer festgestellt, daß Caligula ein römischer Kaiser, größenwahnsinnig und von rasendem Blutdurst erfüllt war. Ich glaube, wenigstens in Hinblick auf die letztgenannten Eigenschaften, der Rolle gewachsen zu sein.
Als ich in Wuhlheide dem Auto entstieg, verlangte der Benzinsklave 120 Mark. Ich gab ihm einen Scheck über das Doppelte. Auch Caligula war größenwahnsinnig. Ueberdies hatte ich kein Bankkonto.
Ein bis in den Nacken glattrasierter Herr mit Sprachfehler und Shimmyschuhen begrüßte mich freundlich. Das taten auch alle anderen aktiven und passiven Mitglieder der Mieke-Meike-Company. Ich verfüge über eine weit entfernte Aehnlichkeit mit Schünzel, dem berühmten Kinematkowsky, namentlich in der Brust. Ich nahm sofort eine Miene an, die der Bedeutung Caligulas ungefähr entsprechen mochte.
„Fangen wir an!“ sagte ich guttural.
„Nischt kann uns lieber sein!“ pfiff der Glattrasierte durch die Goldzähne. Er geleitete mich zu einem großen Rasenplatz, der wie eine Oktoberwiese aussah und demgemäß stank. Dieses war aber die Komparserie.
In einem kleinen Schuppen sollte ich mein Kostüm anlegen und mich schminken. Aha, dachte ich großzügig, jetzt kommt die Toga und ein goldener Kranz am die Melone. Vor meinem geistigen Auge wuchs schreckhaft die Gestalt des Oberlehrers Remmler empor, der meine Jugend mit Cornelius Nepos und anderen antiken Bildsäulen verschönert hat.
In dem Ankleideraum wartete meiner ein Friseur und ein Jockeyanzug. Ich grüßte gemessen und sagte ernst zum dem Lockenroller, er möge einen erstklassigen Caligulakopf aus mir machen. Worüber der Glattrasierte dermaßen lachte, daß ich ihn am liebsten den Bestien vorgeworfen hätte.
Der Friseur schminkte mich so, daß ich aussah, wie eine verfaulte Tomate oder ein expressionistischer Pavianpopo. Er nannte das „wettergebräunt“. Gegen diese Auffassung ließ sich wenig einwenden. Möglicherweise war Caligula wettergebräunt. Ich habe ihn nicht gekannt.
Nunmehr forderte man mich auf, den Jockeyanzug überzuziehen. Wie das? Unmöglich konnte diese Tracht der Uniform eines Caligula nachempfunden sein. Ich drückte mein Befremden aus.
„Nu, Sie sind doch Ben Mesisse der Todesjockey – Gott behüte!“ erklärte der Golbezahnte.
„Ich denke, ich bin Caligula!“ äußerte ich.
„Caligula is doch e Ferd!“
„Ein Pferd???“
„Ein berehmtes Ferd, was immer siegt mit 1000 for 10.“
„Ach deshalb – „Die Siege des Caligula“!“
„Nunee nich! Schinzel Se wer‘n alt!“
Ich erlebte eine starke Enttäuschung. Von Caligula zu Ben Mesisse. Mein Selbstgefühl stand unter pari, und beinahe hätte ich die Rolle abgegeben. Nur die glänzenden Bedingungen meines Gastspiels und die Gewißheit, daß in meiner Heimatstadt abermals erhöht worden war, hielt mich zurück.
Der Jockeyanzug stand mir nicht übel. Er zerfiel in eine weiße Hose, eine grüne Bluse, schwarze Kappe und Reitstiefel mit Sporen. Da ich infolge erbliche Belastung zu einem Embonpoint neige, das hinten einen ausschweifenden Expansionsdrang hat, stellte ich als Todesjockey vielleicht etwas starke Anforderungen an die Phantasie der Zuschauer. Doch gedachte ich, durch hinreißendes Spiel und eherne Miene auszugleichen, was unangebrachte Fettansammlungen gefährden konnten.
Rechts vom Friseurs, links von dem Glatzigen flankiert, begab ich mich auf den grünen Rasen, wo bereits eine halbe Mandel Hilfsregisseure sich abschwitzten, um der Komparserie Ausdruck und Bewegung eines dem Highlife entsprungenen Turfpublikums zu geben. Zu diesem Zwecke trugen die Damen Sonnenschirme, die an die Keulen der Baboneger erinnerten und die Herrn spielten Schäntelmöns, indem sie Zigaretten rauchten, durch Krimstecher guckten, Rennprobleme studierten und einander im Wege waren. Bei meinem Auftreten schrie man allgemein Hurra! Ich dankte ernst.
Herbei jappste ein übermittelgroßer Herr in einem Mantel, wie ihn die Rauchwarenzurichter tragen, schwenkte ein in Leder gebundenes Buch und schrie: „Doppelkopf!“ Ich entgegnete, Skat sei mir lieber. Worauf der Zurichter erklärte, er heiße Doppelkopf und sei der Regisseur. Und wir wollten erst einmal ein wenig probieren.
In diesem Augenblick verfinsterte sich die Sonne und ich vernahm hinter mir ein Schnauben, als ob ich in einer Tenorgarderobe sei. Erschreckt wendete ich mich um und sah – ein Pferd. Schwaches Wort. Einen Wolkenkratzer, eine Art Chimborasso auf vier Beinen und mit einem Schädel, der an ein melancholisches Krokodil erinnerte. Es war ein fürchterlicher Gaul, gegen das das trojanische Pferd ein Zwergpony war. Sein langer Schweif peitschte jaguarhaft die enormen Flanken, und die Augen glotzten ohne Wohlwollen auf mich. Dieses war Caligula und es stand ersichtlich nichts Gutes von ihm zu erwarten. Aus dem Maule hing der Kreatur ein Strick und an dem Strick baumelte eine Art menschlichen Lebewesens mit Spinnenbeinen und einem von Altmeister Zille entworfenen Wasserkopf unter einer karierten Sportmütze. Das war der Stallbursche. Es ging sehr echt zu.
Während sich der Glatzige beim Auftauchen Caligulas zurückgezogen hatte, schrie Doppelkopf aus geringer, aber immer noch achtungsgebietender Entfernung, ich möge nun aufsitzen.
Während des Krieges habe ich einmal als freiwilliges Mitglied des Landsturm ohne Waffen ein Pferd halten müssen. Und jetzt sollte ich auf diese Bestie klettern!
Dennoch ging ich es an. Ich zog mich im Klimmzug an einem Steigbügel in die Höhe, krallte mich mit beiden Händen am Sattel fest und enterte so auf die Kruppe Caligulas. Mit dem einzigen Erfolge, daß ich a tempo auf der anderen Seite heruntersauste, wie ein Wasserfall. Jatty hätte es nicht besser gekonnt, und das internationale Turfpublikum tobte vor Vergnügen.
Ich rappelte mich mühsam auf, spazierte unter Caligulas Bauch wie durch das Brandenburger Tor auf die andere Seite, fühlte mich von nervigen Fäusten gepackt und saß wieder auf dem Gipfel des Rosses. Als ich hinunter blickte auf die bewohnte Erde, schwindelte mir dermaßen, daß ich mich in die Haarbüschel verkrallte, die Caligulas Nacken zierten, was der Gaul mißverstand und sich in Bewegung setzte. Ich schrie vor Entsetzen auf und schloß die Augen. Doch passierte weiter nichts – im Gegenteil: der schaukelnde Gang der Mähre, der an das gemütliche Latschen eines Kamels erinnerte, beruhigte mich. Außerdem sah ich mit unbewaffneten Auge auf der Erde den Stalljungen am Strick Caligulas und vernahm aus weiter Ferne Doppelkopfs Ruf: „Der geborene Reiter!“ Das Turfpublikum äußerte gleichfalls seine Anerkennung und gaukelte sich so echt, als sei ich ein garantierte Todesjockey, und ganz weit hinten stand der Operateur neben seinem Kurbelkasten in der Pose des Henkers am Richtblock.
Da kam über mich der Geist des römischen Caligula: ich war größenwahnsinnig! Das Reiten – ha! – lächerliche Bagatelle! Caligula ein übertrojanisches Pferd? Ein Droschkengaul! Dir werde ich zeigen, was ich kann! Ich krabbelte den Schinder ein wenig mit den Sporen am Bauch, o, nur ein klein wenig, nebenbei gewissermaßen ohne böse Absicht, mehr zum Spaß. Aaaber: Quäle nie ein Tier zum Schmerz, denn es geht von selber los! Ich hatte das magenumstülpende Gefühl, als sause ich einen Fahrstuhlschacht hinunter, ich flog wie ein Bumerang in die Höhe, in die Tiefe, ich bekam Nasenbluten vom Luftdruck, neben mir rasten Bäume, Häuser, Telegraphenstangen, Felder, Wälder, Wiesen, Ströme und Flüsse vorbei, ich blitzte auf einem irrsinnig gewordenen Aeroplan durch das Kosmos. Straßenbahnen klingelten, Schupos brüllten, Autos trillerten, Mütter wimmerten – auf einmal krach bumm, klirr, radautz! Ich funke durch die Spiegelscheibe des Café Josty am Potsdamer Platz mitten auf das Büfett in eine Niederlassung von Vanillecremetörtchen und Mohrenköpfen, und verlor das letzte Bewußtsein.
Um Jahre gealtert, früh ergraut, ein Menschenhasser und Tierfeind kehrte ich nach Wochen, notdürftig verbunden nach Hause zurück. Die größte Gemeinheit ist, daß meine Frau die Geschichte mit Caligula nicht glaubt. Am selben Tage war nämlich in einem Berliner Nachlokal ein den besseren Kreisen angehörender Provinzlafe mit einem Meisterschaftsbohrer in Streit geraten. Und nun vermutete meine Frau, mein bejammernswerte Zustand rühre davon her, daß ausgerechnet ich — sie verstehen.
Mir soll noch einer ein Filmangebot machen.