dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Erlebnisse eines Herrenfahrers

Nachdem mir durch einen amtlich beglaubigten, gestempelten und mit Steckbrief-Lichtbild versehenen sogenannten Führerschein die Zensur IIIb und das Recht verliehen worden war, eigenmächtig Autounfälle herbeizuführen und polizeiliche Verkehrsverhinderungstänze heraufzubeschwören, setzte ich mich mit stolz geschwollenem Busen an die Lenkstange meines nagelneuen Dreiachtel-PS-Zylinders, dessen Marke ich verschweigen will, und hupte zunächst e4inmal durch das Boschhorn. Hierdurch lockte ich einige Kinder, eine stellungslose Waschfrau und einen gelbgefleckten Pudel herbei.
Hierauf drückte ich auf den Anlasser und erzeugte ein neurasthenisches Zappeln im Motor. Dann drückte ich mit dem linken Fuß die Kupplung nieder, schalteten ersten Gang ein, zog den Fuß langsam von der Kupplung weg und gab ein bißchen Gas. Gleichzeitig hielt ich das Lenkrad mit beiden Händen umklammert.
Meine Erwartung, daß der Zwositzer sich nunmehr in Bewegung setzen würde, erfüllte sich nicht. Dagegen verstummte das neurasthenische Geräusch. Ein inzwischen zur Vermehrung des Publikums angelangter, offenbar den Monteurkreisen angehöriger, jüngerer Herr meinte sachverständig: „Das Luder zieht nicht!“
Ich dankte erst durch Salutieren mit zwei Fingern am Mützenrand und fragte, was dagegen zu machen sei. „Drehn Se nur vorne!“ rief der Sachverständige.
Worauf ich, wiederholt grüßend, ausstieg und den Hebel am Kühler in lebhafte Bewegung versetzte. Nach einigen Minuten erklang wieder das neurasthenische Geräusch. Der Pudel, den die Sache ebenfalls sehr interessierte, hatte sich vor mein Auto gelagert. Scheinbar befürchtete er hieraus nichts für seine Gesundheit. Die Kinder unterhielten sich mit den Hupen, die Waschfrau mit Kopfschütteln. Das Auto selbst stand wie die bekannte Mauer aus Lehm.
Ich war rat- und hilflos wie ein Säugling auf dem Nordpol. Dazu kam die Scheu vor öffentlicher Blamage. Ich reichte dem Monteur stumm eine Zigarette, auf diese Weise seine Unterstützung anrufend. Juristisch gesprochen beging ich eine „konkludente Handlung“. Es zeigte sich, daß das Volk der Jurisprudenz nicht so weltfremd gegenübersteht wie die Jurisprudenz dem Volke. Der schlichte Mann verstand mich. „Se müssen ’n anfahr’n – das Luder!“
Also begab ich mich hinter das Auto, stemmte mich mit beiden Schulterblättern gegen die Rückwand und schon es an wie ein Motorrad. Ich hatte die Freude, es so in Bewegung setzen zu können. Da ich aber vergessen hatte, den Gang auszuschalten, und da es sich zur Unzeit erinnerte, ein selbsttägiges Fahrzeug zu sein, fuhr es plötzlich von selber los und ich fiel in den Straßenschmutz. Noch ehe ich mich aufraffen konnte, war das Schreckliche geschehen. Der Pudel, der die Gefahr so frech unterschätzt hatte, verquiekte sein Veteranendasein unter der Vierradbremse. Selten ist Hochmut derart zu Falle gekommen.
Ich galoppierte neben dem beängstigend hin und her schlingernden Wagen und enterte mit beispielloser Geschicklichkeit den Führersitz. Hinter mir schrien die Kinder und die Waschfrau. Nur der Pudel war stumm.
Da ich Konflikte mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch, dem Strafgesetzbuch und der Verkehrspolizeiordnung voraussah, gedachte ich, mich diesen sybillinischen Büchern durch die Flucht zu entziehen. Ha! Wozu hatte ich ein Auto? Im Nu kuppelte ich – zweiter Gang – Gas, kuppeln – dritter Gang – Vollgas! Schon fühlte ich, wie meine Verfolger im Staube verschwanden, da stand „das Luder“ abermals still wie ein Hünengrab, und im Nu war ich eingeholt und der Amtsgewalt eines eben aus der Erde schießenden Schupo anheimgestellt.  Wegen Pudel-Totschlages.
Ich hatte vergessen, die Handbremse auszuhebeln.
Soweit ich den Prozeß wegen Ersatz des Pudels zu überblicken vermag, wird mich dieser Leichnam annähernd soviel kosten wie das Auto. Der als Sachverständiger gehörte Tierarzt hat bekundet, der Pudel wäre sicher am nächsten Tage infolge Altersschwäche ohne fremde Unterstützung verschieden.

Man soll sich nie zu früh ein Auto kaufen.