dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Hurra – mein Telephon!!!

Motto:
Wie fruchtbar ist der kleinste Kreis,
Wenn man ihn wohl zu pflegen weiß.
(Goethe: Zahme Xenien)

Nichts verbindet das Angenehme mit dem Nützlichen so zuverlässig und preiswert, wie mein Telephon. Rund um mich heult die Meute der Fernsprechteilnehmer einen tragischen Chorus über Qual und Verhängnis der Drahtleitungen, gräßliche Beschimpfungen reizender Fräuleins vom Amt machen die Schöffengerichte voll, blühende Unternehmungen sinken in die Aschegrube, Tobsuchtsanfälle rasender Spekulanten mehren sich wie Notverordnungen – ich sitze inmitten dieser Katastrophen ruhig und milde lächelnd wie ein Kind und blase auf der Schalmei des Wohlwollens ein Preislied auf mein Telephon.
Ich werde nämlich nicht nur falsch, sondern gar nicht verbunden. Mein Apparat ist ein Wunderwerk der Technik, das einen Edison erblassen machen würde. Jenseits aller Hyperbeln der Gehirnersatzmaschinen arbeitet mein schlichter Apparat mit seinen Zahlenrädchen, das noch dazu durch einen sorglichen Beamten doppelt plombiert worden ist, weil ich grundsätzlich keine Gebühren entrichte. Ich bin überzeugt: er löst die Rätsel des Jahrhunderts und würde sogar prompt Antwort erteilen, wenn ihn ein rettungslos Irrsinniger fragen würde, wieviel eine Reise von Pottwinkel nach Kotznich mit allen Zuschlägen auf Dollarparität zum Marktfriedenskurse bei einem Index unter Berücksichtigung des morgigen Wucherpreises für ein viertelachtel Ziegenkäse kostet.
Nachdem ich hoffentlich die Neugier meiner Leser zum Weißglühen gebracht habe, will ich nun auch verraten, aus welchem Grunde mein Telephon den Superlativ der Glückseligkeit bedeutet. Ich brauche nämlich nur den Hörer abzuheben, und ich habe das Vergnügen, kein fremdes Gespräch zu belauschen. Ursprünglich empfand ich dabei nur die genüßliche Freude eines Menschen, der unbemerkt und sicher durch ein diskretes Schlüsselloch die Intimitäten der anderen beobachtet. Manch bitterkalten Winterabend habe ich so an meinem Apparat verbracht, die Hörmuschel am Ohrwaschel, und ich gestehe, daß ich mich bei keinem Theaterstück so amüsiert habe, wie bei den Telephongesprächen meiner Nächsten.
Nicht, als ob nicht der bessere Mensch in mir den Adam an der Stirnlocke gepackt und geboten hätte, den Defekt zu melden und Abhilfe zu heischen. Aber: nachdem ich einige Dutzend Mal der Störungsstelle Kenntnis von der Durchlässigkeit meiner Leitung gegeben hatte, und nachdem einige Dutzend treffliche und sachverständige Beamte viele Achtstundentage lang an meinem Apparat herumgeklempnert hatten, ohne des Uebels Herr zu werden, unterließ ich weitere Meldungen. Dern Mensch wird mürbe, und steter Tropfen höhlt den Zahn.
Umso mehr, als das Zuhören vom bloßen Vergnügen zur praktischen Nutzbarkeit reifte. Eines Tages nämlich hörte ich, daß sich ein gewisser Max mit einer gewissen Irma ein Stelldichein für punkt acht Uhr abends besprach. Feiner Kenner der weiblichen Psyche, wußte ich, daß Irma frühestens um 1/2  9 Uhr antanzen würde. Also ging ich pünktlich um acht an den Treffpunkt, sah dort einen einsamen Max auf- und abtigern und häufige Zeichen sehnsüchtiger Ungeduld von sich geben. Ich nahte mich ihm, erklärte, im gleichen Hause wie Fräulein Irma zu wohnen und beauftragt zu sein, genannte Göttin zu entschuldigen. Sie käme heute nicht. Worauf Max sich zähneknirschend bedankte und mir mit herzlichsten Grüßen die Botschaft an Irma auftrug, er habe die ewige Warterei satt und käme überhaupt nicht mehr. Hierauf entstob er. Gegen neun Uhr kam Irma atemlos angehetzt – ich eilte auf sie zu, stellte mich als Maxens Freund Moritz vor und richtete wortgetrau meine Botschaft aus. Seitdem habe ich eine entzückende Braut.
Ein andermal vernahm ich, wie eine Dame der anderen verriet, sie habe billige Butter aus Holstein bekommen und könne ihr zwei Pfund ablassen, wenn ihr Mann in einer Stunde des Markthelfer zum Abholen schicken würde. Worauf ich mich auf das zufällig vor meinem Hause stehende Fahrrad eines Depeschenboten schwang, zu der Buttermagnatin fuhr und auf Grund meines minderbemittelten Aussehens als angeblicher Markthelfer zwei Pfund feinste Butter erhielt. Ich zahlte noch dazu in Notschecks des Turnvereins „Schenkeldruck“, die tags zu vor als grobe Fälschung inseriert worden waren, und die ich in meinem Stammkaffee in Zahlung hatte nehmen müssen. Das Rad lieferte ich bei der Oberpostdirektion ab, ohne Finderlohn zu heischen, denn unsaubere Geschäfte mache ich grundsätzlich nicht.
Zwischen dem Inhaber der Firma Turteltaub und Benscher, Textilien en gros, und einem Herrn, der offensichtlich auf den Namen Schweißgelb hörte, fand eine diskrete Unterredung statt. Die Turteltaube verkündete Herrn Schweißgelb, daß er in der beneidenswerten Lage sei, etliche Meter feinfein Garbardine, zum Preise von einem holländischen Gulden pro Meter abzugeben. Aber unter strengster Diskretion und auf Ehrenwort mit Doppelsohlen. Schweißgelb griff mit beiden Händen zu, soweit er nicht den Hörer halten mußte, und fragte seinen Freund, ob er ihm nicht ausnahmsweise, und weil er ihm damals den Schweizer-Voile zollfrei verschafft habe, fünf Meter für seinen Schwager ablassen würde. Turteltaub war einverstanden und man verabredete, daß der Schwager heute nach Geschäftsschluß zum ersten Disponenten gehen und unter dem Kennwort „halb geschenkt“ die fünf Meter verlangen solle. Verrechnen würden sie morgen. Ich verkaufte diesen Tip sofort an meinen Freund Emil Frohlachen, der mir seit Jahren zu höchsten Preisen meine Garderobe abkauft, für eine Goldmark, und Emil kam auch glücklich in den Besitz der Garbardine. Wie sich später die Abrechnung mit Turteltaub gestaltete, weiß ich nicht. Ich las nur neulich in der Zeitung, daß ein gewisser Turteltaub einem gewissen Schweißgelb nach heftigem Streite auf offener Straße den Hut und die Nase eingeschlagen habe und dafür zu einem Papierkorb voll Millionen Geldstrafe verurteilt worden sei. Inwieweit dieser beklagenswerte Vorfall etwa auf die von mir vermittelte Garbardinetransaktion zurückzuführen ist, entzieht sich naturgemäß meiner Kenntnis.
Den größten Coup landete ich in der vorigen Woche innerhalb der allgemeinen Marktflucht in die Effekten, oder, wie ich die Katastrophenhausse zu bezeichnen geneigt bin: anläßlich des Austausches der Krachwerte in Sachwerte. Nichts Böses ahnend, griff ich morgens zwischen Frühstück und Feierabend nach meinem Hörer und vernahm alsobald nachfolgenden höchstaktuellen Dialog:
Herr A.: „Also was raten Sie?“
Herr B.: „Kaufen Sie sofort bestens 6000 Totatitu.“
Herr A.: „Was heißt das?“
Herr B.: „Torftabaktinktur.“
Herr A.: „Pui Deibel! Zigarren aus Torf?“
Herr B.: „Warum nicht? Torf brennt ausgezeichnet. Übrigens sollen Sie die Zigarren nicht kaufen, sondern das Papier.“
Herr A.: „Wenn Sie meinen —“
Herr B.: „Ganz dicke Bohne! Ich weiß, es kommt ‘n Bezugsrecht raus, 1 : 25.“
Herr A.: „Wahrhaftig?“
Herr B.: „Bestimmt!“
Herr A.: „Na, dann rin ins Vergnügen.“
Ich raste auf meine Bank und gab Order, mir 6000 Totatitu bestens zu kaufen. Leider war das Kreditinstitut nicht geneigt, mir Kredit zu gewähren und verlangte Deckung. Ich raste wieder heim und ging zu Mister Nepmaker, der nebenan wohnt und mir seit langem den Antrag macht, ihm mein Telephon zu verpachten. Um in den Besitz von Barmitteln zu kommen, schloß ich mit ihm einen Vertrag ab, wonach er mir 30 Dollar gegen Überlassung meines Apparates auf einen Monat im voraus zahlte. Als ich mit meinen 30 Dollar wieder in der Bank erschien, wurden Börsenaufträge nicht mehr angenommen. Tiefgebrochen kehrte ich ohne Effekten heim.
Wer aber beschreibt mein freudiges Entsetzen, als ich am selben Abend erfuhr, daß Totatitu eine Schwindergründung sei, über die bereits der Konkurs hereingebrochen sei. So waltet das Schicksal.
Drei Tage später brachte man Mister Nepmaker in die Gummizelle. Er hatte nicht verstanden, mit meinem Telephon umzugehen und war bei den ohnmächtigen Versuchen, eine Verbindung zu bekommen, aus dem Leim gegangen. Ich habe mein Telephon wieder und dreißig Dollar dazu, für die ich mir Zuckelhausener Trichinosepapiere gekauft habe, die unberufen so hoch stehen, daß sie kein Mensch mehr sieht.
Aber – wie gesagt – so dicke Eier legt man nicht alle Tage!