dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Konstantinopel – Wien

Selim Abbas Effendi, ein reicher Kaufmann, der in Stambul mit getrockneten Zibeben und Libanonfeigen handelte, mußte nach Wien reisen. Er betete lange zu Allah, denn er war ein alter, rechtgläubiger Moslem, und er zog keine Tratte, ohne vorher in der Moschee gebetet zu haben. Das schützte ihn vor Verlusten, denn wenn er die Moschee verließ, war der Schuldner bereits pleite, und die Tratte wurde überhaupt nicht gezogen.
Außerdem hatte Selim Abbas Effendi einen Harem mit 34 wunderschönen Frauen. Er selbst wohnte drei Stunden von dem Harem entfernt, und auf diese Weise war er zahlreich und dennoch glücklich verheiratet.
Selim Abbas Effendi war glücklich. Da aber mußte er nach Wien reisen.
Sein Weg führte durch viele Länder: Bulgarien, Jugoslawien, Ungarn. Jedes dieser Länder hatte Grenzen, die durch Paßvisa geschützt wurden.
Selim Abbas Effendi fragte einen weisen Mulah, was er zu tun habe, um diese Grenzen ohne Blutvergießen zu überschreiten, denn seit dem große Kriege, den der Prophet heilig gesprochen hatte, war Selim Abbas mit Grenzen vorsichtig. Der Mullah fuhr mit ihm viele Tage lang durch Konsulate, Generalkonsulate und Gesandtschaften, und schließlich hatte Selim Abbas einen Paß, dick wie ein Heft, und darauf war in unverständlichen Sprachen und bunten Siegeln bescheinigt, daß er die Grenzen überschreiten dürfe, da er die verschiedenen Sporteln bezahlt habe.
Selim Abbas Effendi nahm Abschied von seinen Dienern und Angestellten, von den getrockneten Zibeben und den Libanonfeigen, von den Minaretts und dem Sonnenuntergang bei Büjükdere. Er nahm Abschied von seinem Harem mit den wunderschönen 34 Frauen. Dabei lernten viele von diesen zum ersten Male ihren Gatten kennen, den sie sich durch 34 zu dividieren hatten. Die Frauen weinten und wehklagten laut, und Selim Abbas machte sich rasch davon. Er hielt den Harem nur aus Gründen der Repräsentation. Weil so etwas teuer ist und den Kredit stärkt, und weil es gut ist, wenn das Auskunftsbüro lobend hervorheben kann: „Befragter scheint sonach in guten Verhältnissen zu sein, zumal er im Besitze eines schuldenfreien Harems von 34 Köpfen ist. Ohne Obligo.“
Die Eisenbahn führte Selim Abbas in … Stunden nach Wien. Dort erledigte er seine Geschäfte, besah sich den Stefansturm und die Salamutschimänner, geriet aus Versehen in ein Kino und merkte gar nicht das der Hotelportier einen schwunghaften Handel mit ihm eröffnete, indem er den patriarchalischen Moslem mit dem wallenden weißen Vollbart als Bruder des Sultans ausgab und eine Besichtigungsgebühr erhob, die er zum Teil mit dem Liftboy verrechnen mußte, damit dieser hin und wieder den Aufzug ein bisserl stecken bleiben ließ, wenn Selim darin war.
Dann kam die Stunde der Heimkehr, von der der Prophet sagt, sie sei süß wie der Duft des Flieders und lang wie die Nacht der Liebe (82. Sure des Korans). Selim Abbas Effendi bestieg den Expreßzug und lobte den Ewigen.
An der ungarischen Grenze verlangte ein martialischer Herr, den ein anderer Herr „Servus, Mikosch!“ begrüßte, seinen Paß zu sehen. Lachte und sagte, der sei nicht in Ordnung. Selim habe kein Visum zur wiederholten Einreise in Ungarn. Das erste und einzige Visum habe er benutzt, als er auf der Herfahrt die Grenze zwischen Jugoslawien und Ungarn überschritten habe. Er müsse sofort nach Wien zurück und sich dort auf der ungarischen Gesandtschaft ein zweites Visum verschaffen.

(Zeiter Teil)

Natürlich verstand Selim Abbas Effendi kein Wort von dem, was ihm der martialische Herr sagte, denn er sprach nicht ungarisch. Glücklicherweise aber befand sich ein deutscher Professor im Zuge, der alle Sprachen der Welt beherrschte, sogar deutsch, und der Selim Abbas als Dolmetscher diente.
Allah akbar – die die Türken in solchen Fällen zu sagen pflegen. Du kannst nix mach’n.  Er fuhr nach Wien zurück, begab sich auf die ungarische Gesandtschaft, erlegte seine Sporteln und fuhr wieder ab. Ohne jede Beschwer passierte er die ungarische Grenze, danke Gott und kam nach Risch an die jugoslawische Grenze.
Dort war auch ein martialischer Herr, der ihm eröffnete, er dürfe nicht weiter, denn er habe kein Visum zur wiederholten Einreise in Jugoslawien. Das erste und einzige Visum habe er benutzt, als er auf der Herfahrt die Grenze zwischen Jugoslawien und Bulgarien überschritten habe. Er müsse sofort nach Budapest zurück und sich beim jugoslawischen Generalkonsul ein zweites Visum beschaffen.
Natürlich verstand Selim Abbas kein Wort, denn er sprach nicht serbisch. Glücklicherweise aber verdolmetschte ihm ein Mitreisender die Rede.
Nicht mehr so ganz davon überzeugt, daß es besser sei, die Grenzen friedlich, anstatt mit Blutvergießen zu passieren, fuhr Selim Abbas nach Budapest zurück und erwirkte ein zweites jugoslawisches Visum. Darauf durfte er die Grenze passieren und kam nach Zaribrod. Dort beginnt Bulgarien und der Aufruhr.
Drei bis an die Zähne bewaffnete und nur mit Patronengürtel bekleidete, von Schnellfeuergewehren umgebene Soldaten bemächtigten sich Selims. Sie schleppten ihn ohne weiteres ins Gefängnis, denn er hatte keinen gültigen Paß. Es fehlte nämlich das Visum zur wiederholten Einreise in Bulgarien. Das erste und einzige Visum hatte er verwirkt, als er auf der Herfahrt die Grenze zwischen Bulgarien und Jugoslawien überschritten hatte.
Natürlich verstand Selim Abbas kein Wort, denn er sprach nicht bulgarisch. Aber er konnte sich nun schon denken, was los war.
Vierzehn Tage behielt man ihn im Gefängnis, da man ihn für einen verkleideten Attentäter nahm. Man untersuchte seinen Bart nach Bomben und Granaten und glaubte nicht, daß er angewachsen sei. Man nahm ihm sämtliche Gewänder fort, um sie chemisch auf Nitroglyzerin untersuchen zu lassen, und als er sie endlich wieder bekam, hatten die chemischen Säuren die türkischen Pfunde weggefressen. Selim Abbas erkannte, das der Prophet den großen Krieg mit Recht heilig gesprochen hatte, und daß eine Grenze nur durch Blutvergießen überschritten werden konnte.
Zu Fuß und unter den größten Mühsalen wanderte er nach Zaribrod. Er wollte auf das bulgarische Konsulat in Belgrad, um sich dort ein zweites Visum ausstellen zu lassen. Aber das er jetzt überhaupt keinen Paß mehr hatte, nahm man ihn fest und warf ihn ins Loch.
Dort soll er sich noch immer befinden. Niemals mehr wird er Stambul wiedersehen, seine Diener und Angestellten, seine getrockneten Zibeben und Libanonfeigen, die Minarets und den Sonnenuntergang von Büjükdere. Niemals mehr seinen Harem mit den vierunddreißig schönen Frauen. Er verschellt immer mehr auf der Strecke zwischen Zaribrod und Sofia, ein warnendes Beispiel allen Türken, die glauben, Sporteln zu sparen, wenn man Grenzen überschreiten will.