Anlagen
Ottokar und sein Automobilchen
Ottokar Schmer, ein Mann von 40 Jahren, über mittelgroß, vollschlank, kurzsichtig, gut beleumundet, geimpft, buddhistischer Konfession, ohne Orden, Ehren- und besondere Kennzeichen, lag der Kommission und Agentur ob und erfreute sich seit über 20 Jahren eines durch Kinder ungetrübten Eheglücks, das er umso treuer wahrte, als seine Gattin mit ganz hervorragenden und -stehenden Argusaugen darüber wachte.
An einem schönen Frühlingstage sauste Ottokar Schmer in seinem neuen Egozweisitzer durch die Gefilde der thüringischen Landschaft. Erst vor kurzen hatte er das Abtiurientenexamen der Chauffeure bestanden, und in seiner Brusttasche unter dem Lederjackett knisterte der behördlich abgestempelte Schein, der ihm das Recht verlieh, ohne fremde Hilfe Zusammenstöße herbeizuführen.
Neben Ottokar saß eine sportlich maskierte Dame, so jung, hübsch, verwirrend, daß die Annahme, sie sei seine Frau, von selbst im Keime erstickte.
Nichts trübte das junge Glück, dem Ottokar durch jene Frühlingsfahrt die Weihe einer romantischen Reise verleihen wollte. Umso mehr, als seine Gattin verreist war.
Hingegendoch – o schnöde Schicksalsstücke! – hatte Ottokar nicht mit Erfurt gerechnet. Eben durchquerte er diese liebliche Stadt, wo schon Goethe mit Napoleon zusammentraf. Eben also durchquerte er sie im schlankem Trabe, fröhlich hupend, als ihm ein biederer Mann aus dem Volke begegnete, der auf dem Rücken einen Sack trug. Auffallend war, daß dieser Mann durch nichts zu bewegen war, seine Richtung zu ändern, die sich in mathematischer Exaktheit auf den Egozweisitzer Ottokars zuhielt. Ottokar verübte mit dem ganzen Orchester seines Lärmmechanismus einen schauerlichen Radau: er stieß wilde Hupenschreie, von höchstem Diskant bis zum brummenden Baß, aus, er tirilierte, er flötete, er schrie höchst eigenstimmig, und Martrude kreischte mit. Eine Taubstummenanstalt wäre betroffen gewesen. Nicht so der Betreffende. Er hielt unverwandt geraden Kurs ohne jede Schwankung auf das Automobilchen Ottokars.
Merkwürdig, aber für die Kompliziertheit von Ottokars Gehirnfunktionen aufschluchzend war, daß er dem einfachsten Mittel, dem gräßlich-drohenden Zusammenstoß auszuweichen: nämlich stehenzubleiben, mit peinlichster Berechnung auswich, indem er gleichfalls in geradem Kurs auf den harthörigen Fußgänger zuhielt. Bei einer derart scharf eingestellten, gegenseitigen Opposition konnte das Unvermeidliche nicht ausbleiben. Plötzlich stand der Kühler vor der Brust des Unbelehrbaren. Ottokar trat mit beiden Füßen auf die Bremse, Martrude schrie gellend auf und schloß die Augen unter der Schutzbrille, weil sie kein Blut sehen konnte. Im nächsten Augenblick saß der renitente Fußgänger rittlings auf dem Kühler und ließ dabei den Sack von seinem Rücken auf das Pflaster gleiten. Dabei merkte man, daß er (der Sack) mit Flaschen gefüllt gewesen war, deren Aggregatzustand sich in Scherben verwandelt hatte.
Obzwar dem Besitzer dieser Scherben nicht das Mindeste am körperlichen Leibe widerfahren war, erhob er dennoch ein geradezu wahnsinniges Gebrüll. Die praktische Martrude aber gab dem Reiter auf dem Kühler zu bedenken, daß man sich gleich einigen wolle; er möge seinen Schaden beziffern. Worauf der Mensch 50 Mark verlangte.
Rundherum belohnte brausendes Gelächter des Publikums das glückliche Ex tempore. Ottokar riß mit einer Hand das Portefeuille aus der Tasche und bat Martrude, dem Manne 50 Mark zu geben. Das geschah, und der so fürstlich Belohnte verließ sogleich seinen schwankenden Sitz.
Ottokar atmete auf, setzte seine Lärminstrumente in Tätigkeit, um die Straße frei zu bekommen und wollte weiterfahren. Da legte sich eine Hand in der annähernden Größe einer kleinen Waldparzelle auf seine Schulter, und eine rauhe Stimme gebot halt. Alles, mit Ausnahme der Schulter, gehörte einem Sipo.
„Sie haben durch groben Unfug einen Menschenauflauf veranlaßt! – Ihren Namen!?“
Ottokar verriet ihn bebend.
„Die Dame?“ fragte das Auge des Gesetzes der Republik und zückte einen Bajonettblick auf Martrude.
Ottokar wurde blaß wie die bekannte Luise. Aber die Marosy bemerkte höhnisch und fast gekränkt:
„No, wer wir ich scho sein, bitte? Die Frau Gemahlin bitte!“
Da der Sipo nicht ruhte, bevor sie das durch Vorzeigung ihres Passes bewies, stellte sich das Gegenteil rasch heraus; das Volk heulte vor Entzücken.
Worauf der Sipo Herrn Ottokar mit einem Blick ansah, in dem ungezählte Jahre Zuchthaus neben dauerndem Ehrverlust ruhten, und die Straße soweit säuberte, daß das Auto abstinken konnte.
Einige Tage später kehrte Frau Schmer von der Reise wieder zurück und kam gerade recht, um ein Schreiben an ihren abwesenden Gatten in Empfang nehmen zu können. Es war ein Strafbefehl über 75 Mark für Verübung groben Unfugs auf einer öffentlichen Straße und Irreführung eines Polizeibeamten „dadurch, daß ihm auf Befragen die in Begleitung des Beschuldigten befindliche Artistin Martrude Marosy aus Krepeskasarhely als dessen Ehefrau bezeichnet worden war“.
Da man sich unschwer denken kann, was nunmehr geschah, unterbleibt die Schilderung. Nur darf nicht verschwiegen werden, daß Frau Schmer noch am selben Tage den Egositzer um den dritten Teil des Anschaffungspreises veräußerte.