dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Oftmals stehe ich vor dem Meldezettel der Gasthöfe, ratlos und weiß nicht, was ich in die Berufsspalte eintragen soll. Deutschland ist auch im neuen Zeitalter bürokratisch gründlich, und man muß sich genau über Dinge ausweisen, die eigentlich in diesem besonderen Falle keinen Menschen etwas angehen und für die Bewertung der Persönlichkeit ohne Belang sind. Weitgereiste Leute haben mir berichtet, daß eine Einrichtung, wie der Meldezettel, in England z. B. mit Hohngelächter zu Fidibussen verwendet werden würde.
Ich gebe zu, was sich für den Engländer ziemt, ziemt sich noch nicht für den Deutschen, dessen politische und sonstige Unreife der sorglichen Bevormundung durch reife Behörden dringend bedarf. Deshalb stimme ich an sich dem Meldezettel aus frohem Herzen zu, soweit er nur den Namen des Gastes heischt und allenfalls seinen Wohnsitz. Alles andere ist aber vom Uebel, z.B. genaues Geburtsdatum, Geburtsort, Familienstand, Halsweite, Leibgericht, Paßnummer, Bankkonto, Impfungsergebnisse, Kinderkrankheiten und Beruf. Auf jeden Fall muß das Berufsgeheimnis gewahrt bleiben. Daran habe ich ein persönliches Interesse.
Denn ich verfüge über mehrere Berufe, und sie sind leider so beschaffen, daß sie nicht immer und überall gern gelitten sind. Schreibe ich mich als Schriftsteller ein, so mache ich merkwürdige Erfahrungen. Unter einem Schriftsteller stellen sich die intelligentesten Leute, also auch Empfangschef in Hotels, einen Menschen vor, der eigentlich nicht weiß, was er ist. Ebenso kann man nur Direktor schreiben oder Chef oder Statist. Diejenigen, die den Begriff „Schriftsteller“ irgendwie in ihr Vorstellungsvermögen aufgenommen haben, verbinden damit einen oft fatalen Beigeschmack von „Zigeuner“ oder augenblicklich stellungslosen Stadtreisenden. Jedenfalls denken sie an Individuen, deren geringes Gepäck kein ausreichendes Pfand für die Zeche bietet. Ja – wenn man Goethe hieße Oder Gerhart Hauptmann! Oder Sherlock Holmes! Das sind natürlich Namen von internationaler Valuta, und das schriftstellerisch-berufliche tritt demgegenüber völlig in den Hintergrund. Wenn ich Courths-Mahler hieße, würde ich überhaupt nichts weiter hinschreiben. Die Behauptung „Schriftsteller“ würde im Gegenteil dazu führen, daß der Kredit des bloßen Namens beeinträchtigt würde.
Aber leider heiße ich nicht Courths-Mahler oder Strindberg oder Jack London. Und mich trifft nur die ganze Verachtung, die einem Lebewesen gebührt, von dessen angeblicher Tätigkeit man sich keinen oder einen peinlichen Begriff macht. Einmal – in Dortmund – lachte der Hotelportier, als ich mich als Schriftsteller bloßstellte. Aha, dachte ich, der kennt mich. Der weiß, daß ich lustige Sachen schreibe. Der freut sich, daß er mich nun persönlich kennen lernt. Weit gefehlt! In vergangener Woche war ein Stück von mir durchgefallen, und darüber amüsierte sich der Mensch mit der ganzen Inbrunst der Schadenfreude. Natürlich verließ ich das Hotel stehenden Fußes, aber die anderen waren besetzt, und ich mußte die Nacht auf dem Bahnhof kampieren. Die Kunst ist eben nicht auf Rosen gebettet.
Manchmal unterdrücke ich den Schriftsteller und schreibe Rechtsanwalt, was mir zwar nicht an der Wiege gesungen wurde, was ich aber nichtsdestoweniger auch bin. Es ist an sich bestimmt nichts gegen den ehrenhaften Beruf eines Advokaten zu erinnern, aber die meisten Menschen haben nun einmal ein Vorurteil. Denn die Härte des Lebens führt dazu, daß fast jeder Erwachsene einmal mit einem Anwalt zu tun, also einen Prozeß zu führen hatte. Prozeße haben die Eigentümlichkeit, daß sie nur von einer Partei gewonnen werden können, ausgenommen Scheidungsprozesse, denn da können beide Parteien nur gewinnen. Im Falle der Scheidung natürlich. Aber sonst ist bei Rechtsstreitigkeit immer ein Teil der Leid- und Kostentragende. Man kann von diesen Mitmenschen nicht verlangen, daß sie die Advokaten lieben. Beim Militär hatte ich einen Feldwebel, der hatte vor acht Jahren einen Alimentenprozeß verloren. Dieser Krieger gedacht, in mir die ganze Juristerei auszurotten, und es ist ein Wunder, daß ich noch lebe. Scheinbar habe ich aber das Glück, in den Hotels immer an Meldezettelträger zu geraten, die zur Gattung der Prozeßverlierer gehören. Denn kaum habe ich meinen Beruf mit Mühe lesbar hingekritzelt, so bekomme ich ein Zimmer, wo die Heizung nicht funktioniert, oder wo das Fenster klappert, oder wo einem der Schrank auf den Kopf fällt, oder das neben dem Fahrstuhl liegt. Die Rachsucht der Menschen ist ja umso größer, je gefahrloser ihre Befriedigung erscheint.
Einmal schrieb ich mich als Schriftsteller und Rechtsanwalt ein. Da sollte ich den Zimmerpreis vorausbezahlen.
Man wird hiermit verstehen, daß ich mich mit der betreffenden Spalte im Meldezettel nicht befreunden kann.