dr. jur. Hubert Lang

Hans Bachwitz

Windmüllers Erlebnisse mit Frauen

An einem Dezembermorgen wurde in der Nähe des Eisenbahnviaduktes, zwanzig Minuten von der Stadt, die Leiche einer 23jährigen Buchhandelsgehilfin in einer Lage und Verfassung aufgefunden, die an einem Lustmord keinen Zweifel ließ. Die Polizei entwickelt sofort die bekannte fieberhafte Tätigkeit, sparte nicht mit der Aussetzung hoher Prämien für Hilfeleistung bei der Ergreifung des Mörders und erreichte in der Tat, daß manche Verhaftung erfolgte, die nach wenigen Tagen als irrtümlich wieder aufgehoben werden mußte. Schon begann Gras über die Leiche der Ermordeten und über die Tatsache zu wachsen, die Polizeiaffichen an den Litfaßsäulen wurden mit Varietéplakaten und Einladungen zu Boxwettkämpfen überklebt, als bei einem Assessor auf der Staatsanwaltschaft ein Mann erschien und nach den einleitenden Höflichkeitsfloskeln ohne Umschweife sich des Mordes am Viadukt bezichtigte. Er schilderte die Einzelheiten des abscheulichen Verbrechens mit so realistischer Treue, daß an der Aufrichtigkeit des Geständnisses nicht zu zweifeln war, und der Assessor ließ sofort vom zuständigen Richter die Untersuchungshaft über den Besucher verhängen, nachdem er ihn aufgefordert hatte, sich schleunigst wieder von dem Stuhle zu erheben, den er ihm zu Beginn der Unterhaltung angewiesen hatte.
Friedrich Leopold Ignatius Windmüller war 48 Jahre alt, Sohn des verstorbenen Ehepaares Leopold und Friederike Windmüller, unverheiratet, unbestraft, ohne Glaube, Inhaber einer zoologischen Handlung und vom Militärdienst wegen Doppelhöckers s.Z. befreit worden. Er stellte sich als einen kleinen Mann vor, dem schütterer Haarwuchs, graufaltiges, überpickeltes Gesicht mit fliehendem Kinn und schielenden Augen keine besonderen Empfehlungen gaben, und der bislang nur aus instinktiver Hemmung und Mangel an Gelegenheit noch nichts verbrochen hatte. Daß er seine Delinquentenlaufbahn allerdings gleich mit einem Kapitalverbrechen von ungeheuerlicher Scheußlichkeit eröffnet hatte, bezeichnete der zum Sarkasmus neigende Oberstaatsanwalt als einen Ehrgeiz von beinahe renaissancehaften Charakter. Was Windmüller mit demütig gesenktem Kopfe und einem dünnen, in die Mundwinkel rinnenden Lächeln entgegen nahm, und wie alles andere zur Tat Gehörige nicht bestritt. Da der Fall hoffnungslos war, sah man davon ab, ihm einen richtigen Rechtsanwalt beizuordnen und ließ es bei der Ernennung des Referendars Süßmilch von der zweiten Kammer für Handelssachen bewenden.
Unter ungeheurem Zulauf, besonders des weiblichen Publikums, wurde nach einigen Wochen der Prozeß gegen Windmüller vor dem Schwurgericht durchgeführt. Der Antrag des Staatsanwaltes auf Ausschluß der Oeffentlichkeit wegen zu besorgender Gefährdung der Sittlichkeit verfiel der Ablehnung, denn das Publikum hatte, wie der Vorsitzende ausführte, Recht und Interesse an der öffentlichen Verhandlung einer Straftat, deren Einzelheiten vor allem der Frauenwelt offenkundig machen mußten, welche Gefahren alleingehenden und -stehenden Frauenspersonen, besonders in der Nähe von Eisenbahnviadukten, drohen. Diese Begründung und die Tatsache, daß der Prozeß öffentlich geführt werden sollte, trug dem Vorsitzenden lebhaftes Händeklatschen und Bravorufe seitens der Damen ein, ohne daß nunmehr deswegen die Zuhörertribüne geräumt worden war.
Nachdem Windmüller, der zur Feier des Tages schwarzen Gehrock, Klappkragen, Atlasfliege und Röllchen trug, mit seiner etwas heiseren, aber völlig unerregten Stimme sein Geständnis wiederholt hatte, hatte in der Sache eigentlich nichts weiter zu erfolgen als die Verkündung des Todesurteils, und die Geschichte hätte einen höchst banalen Schluß gefunden, wäre nicht Referendar Süßmilch auf den Gedanken verfallen, den Angeklagten durch den Mund des Vorgesetzten fragen zu lassen, welches Motiv ihn eigentlich zu der Straftat veranlaßt hätte. Der Vorsitzende ergrimmte zwar wegen dieser höchst überflüssigen Verzögerung und merkte sich vor, daß Referendar Süßmilch als völlig ungeeignet hinfort nicht mehr mit der Uebernahme von Offizialverteidigungen zu betrauen sei, aber im Hinblick auf drohende Revisionsgründe ließ er sich herbei, die gewünschte Frage an Windmüller zu stellen. Worau er sein Barett in die Stirn rückte, die Robenärmel über dem Bauch faltete und entschlossen zeigte, daß er hiermit aus der Reihe der Wahrnehmungsfähigen in diesem Saale ausschied. Aehnliche Manifestationen richterlichen Unwillen ließen die Beisitzer merken, und nur der Staatsanwalt spielte mit einem langen gelben Bleistift und einem Papierkügelchen auf dem Aktendeckel Billard.
Windmüller sagte: „Meine Herren, ich tat es aus Liebe!“ Worauf der Vorsitzende plus Beisitzern aufschnellte und, eine Faust auf dem Richtertisch, donnerte, das Gericht werde sich von einem Mörder nicht verspotten lassen, und wenn auch die absurde Frage des Herrn Verteidigers an sich zugelassen worden sei, so möge sich der Angeklagte dennoch hüten, darauf mit frivolen Scherzen zu reagieren.
Windmüller aber sagte: „Ich tat es aus Liebe und bitte die hohen Herren deswegen um Verzeihung. Aber da es meine Pflicht ist, auf alle Fragen nur mit der lautersten Wahrheit zu antworten, und weil ich gehen diese Pflicht noch niemals verstoßen habe, so muß ich eben sagen, daß ich es aus Liebe tat. Natürlich nicht aus Liebe zu der Getöteten, sondern aus Liebe zu den Frauen im allgemeinen. Wie ich hier vor Ihnen stehe, bin ich von den Grazien verstoßen. (Hier lächelte Windmüller in hündischer Demut, um den Eindruck der Phrase abzuschwächen.) Ich bin körperlich nicht geschaffen, Frauen zu gefallen, und ich habe auch noch niemals einer Frau gefallen. Ich sage das nicht, um meine Tat zu beschönigen, sondern, weil ich, wie gesagt, die Wahrheit sage. Trotz meinem Mißgeschick, und weil ich von unfaßbarer Sehnsucht nach dem schönen Geschlecht zeitlebens erfüllt war, suchte ich immer wieder von neuem die Liebe, die vor mir floh. Dirnen meidete ich grundsätzlich, ich wollte um meiner selbst willen geliebt werden, aber alle Versuche mißlangen schmählich, und ich verzweifelte sehr. Wiederholt nun hatte ich in den Zeitungen und manchmal auch in Romane gelesen, daß die Frauen den Männern geneigt sind, die im Mittelpunkte von Sensationen standen. Besonders häufig erfuhr ich, daß die Damen sich zu Verbrechern hingezogen fühlten, und ich vernahm mit Staunen, daß z. B. ein gewisser Manolescu von Liebesbeteuerungen verfolgt wurde. Ich sagte mir also, daß es nur eines sensationellen Verbrechens bedurfte, um das im Uebermaße zu erhalten, was mir unbescholten immer versagt war. Deshalb tötete ich damals die kleine Buchhandlungsgehilfin, der ich übrigens außer den mörderischen Messerstichen kein Leid zugefügt habe. Dazu war ich viel zu schüchtern —-“
Die sonderbare Rede Windmüllers hatte die Zuhörer in die äußerste Spannung versetzt. Man folgte mit atemloser Aufmerksamkeit seinen Worten, diesem Gemisch von Unbeholfenheit, Pathos und zynischer Schlichtheit, und nur das abbrechen einer Reporterbleistiftspitze machte sich bemerkbar. Der Staatsanwalt spielte nicht mehr Billard, die Richter waren erwacht, die Geschworenen neigten sich mit roten Köpfen vor, und Ref. Süßmilch machte sich Notizen in ein kleines Goldschnittbuch, das auch die ersten Versversuche des jungen Mannes barg. In das rosige Ohr der merkwürdig erregten Gattin des Geschworenenobmanns flüsterte Herr von Hansen etwas von der „perversen Philosophie des Obszönen“, ohne mehr zu erreichen als eine ungeduldige Geste, die Schweigen befahl.
„Ich sollte mich auch nicht getäuscht haben“, fuhr Windmüller fort, und mit einem dankbaren Blick seiner schielenden Augen streifte er über seine zahlreichen Zuhörerinnen. „Ich bekam soviel Liebesbriefe, daß ich einen stattlichen Band davon herausgeben könnte. Die verlockendsten Anerbietungen wurden mir gemacht, man beklagte mein Geschick und legte mir die sonderbarsten Verteidigungen nahe. Gewiß habe jene Buchhandlungsgehilfin sich mir grundlos verweigert oder sie habe mich betrogen – jedenfalls würde ich diesen Mord aus Leidenschaft nur begangen haben, um mich für eine Unbill zu rächen. Ich bekam Süßigkeiten, Leckerbissen, Zerstreuungen ins Gefängnis, und ich war mit einem Male von den Frauen verwöhnter als Casanova oder Don Juan, von dem die Herren wohl gehört haben werden. Eine Regierungsratswitwe bot mir für den Fall meiner Freisprechung den Posten eines Chauffeurs an, und vorgestern bekam ich ein Strumpfband zugeschickt, das der Gattin jenes Herrn dort gehörte, der, wie ich bemerke, Obmann der Geschworenen ist, und ich bin überzeugt, —-“
Weiter kam er nicht. Der Vorsitzende schnitt ihm donnernd das Wort ab, das sonst im Gelächter der Zuhörerschaft ertrunken wäre.
„Wie können Sie es wagen, Bursche —?“ dröhnte der Vorsitzende, nachdem er Ruhe erzwungen hatte.
„Es ist nur, weil man mich gefragt hat, und weil es meine sittliche Pflicht ist, die Wahrheit zu sagen!“ entgegnete demütig Windmüller, während der Obmann der Geschworenen seinen glühenden Kopf tief zu Boden gesenkt hatte und tat, als sei ihm ein Schuhband aufgegangen.
In gebotener Eile wurde Windmüller zum Tode verurteilt, und, da er sich dem Urteil unterwarf, bald darauf hingerichtet. In seiner rechten Faust hielt er dabei ein Strumpfband. Alle Welt fand das Urteil streng, aber gerecht, und besonders die Frauen waren tief befriedigt über die Bestrafung unerhörter Indiskretion.
Umso mehr verblüffte es, als man nach geraumer Zeit vernahm, die cour de’assises zu Rennes hätte einen gewissen Gomez Aquirre, einen geborenen Katalonier, wegen Lustmordes zum Tode verurteilt, nachdem dieser Aquirre außer seinen sonstigen Straftaten von seinem Gewissen gepeinigt gestanden hatte, an einem Dezembermorgen, in der Nähe eines Eisenbahnviaduktes, zwanzig Minuten von einer Stadt in Deutschland eine junge Buchhandlungsgehilfin getötet zu haben.
Seitdem betreiben die Schwestern Windmüllers, Frau verehl. Günstling und Frau geschiedene Radebeul, als Erben legitimiert, nicht ohne Erfolg die Wiederaufnahme des Verfahrens.